Die Königin der Blumen

Warum die christliche Bilderwelt auf Attribute heidnischer Göttinnen zurückgreift
der Heiligen Elisabeth und dem Rosenwunder im Museum der Wartburg. Foto: dpa/ Lou Avers
der Heiligen Elisabeth und dem Rosenwunder im Museum der Wartburg. Foto: dpa/ Lou Avers
Die mythologischen, religiösen und symbolischen Zuschreibungen der Rose überdauern Jahrhunderte und Kulturkreise. Warum die Rose unangefochten die "Königin der Blumen" ist, erläutert die Leipziger Kulturwissenschaftlerin Sabine Frank.

Rosen sind die Gabe einer Göttin. Eos, die Tagverkünderin, streut sie über der Erde aus, und die Menschen sehen den Blütenregen als Morgenröte am Horizont. Die "Rosenfingrige", wie sie bei Homer heißt, beendet mit diesem großartigen Farbenspiel Tag für Tag die Herrschaft ihrer Schwester, der Mondgöttin Selene, und bahnt ihrem Bruder, dem Sonnengott Helios, den Weg. Einer anderen Legende zufolge wuchs die Rose ursprünglich nur im Paradies. Nach dem Sündenfall hatte Eva bei ihrer Vertreibung von dort heimlich eine Rose mitgenommen. Ihr Duft und ihre Schönheit sollten einen Abglanz der paradiesischen Süße und Unschuld auf die Erde bringen.

Welcher Erzählung auch immer man den Vorzug gibt, es ist offenkundig, dass man der Rose eine geradezu göttliche Herkunft zutraute. Doch nicht nur das: Dieser zarten Blume wurde mehr an Bedeutung aufgebürdet, als andere Pflanzen je zu tragen hatten. Ihre Knospen, die zarten Blütenblätter, aber auch die Dornen bergen offenbar ein unerschöpfliches Reservoir an Anspielungen und Metaphern. Sie stehen unter anderem für Reinheit, Geheimnis oder Leidenschaft. Vor allem aber wurde die Rose in Mythos, Literatur und Kunst zum Symbol für die Reize und rätselhaften Seiten des schönen Geschlechts.

Als Aphrodite zum ersten Mal einen Fuß auf die Erde setzte, soll ihr zu Ehren ein weißer Rosenstrauch erblüht sein. Homer erzählt, wie die Göttin der Liebe und Schönheit ihrem Gemahl Hephaistos untreu wurde und dass dieser aus Rache seinen Nebenbuhler erschlug. Die untröstliche Göttin eilte zu ihrem sterbenden Geliebten und trat dabei in die Dornen der Rose. Ihr Blut färbte die weißen Blüten rot. Fortan stand die weiße Rose für die reine, himmlische Liebe, während Rot die Farbe der Begierde und Leidenschaft wurde.

Es ist erstaunlich, mit welcher Beständigkeit sich diese Symbolik über die Jahrhunderte hinweg und in vielen Kulturkreisen erhalten hat. Eine persische Legende erzählt von einer Nachtigall, die die Schönheit der weißen Rose mit ihrem Lobgesang pries. Ihre Begeisterung ließ sie alle Vorsicht vergessen: Als sie sich auf einem Zweig niederließ, durchbohrte ein Dorn ihre Brust, und die Blutstropfen färbten die Blütenblätter rot.

Bedingungslose Hingabe

Auch in Ägypten stand die rote Rose für bedingungslose Hingabe. Kleopatra hatte sich als Liebesgöttin Isis kostümiert, um den römischen Feldherrn Marcus Antonius zu umgarnen, und empfing ihn in einer goldenen Barke mit purpurfarbenen Segeln, bekränzt mit schweren Rosengirlanden. Um den Bedarf ihrer verschwenderischen Herrscherin an Rosen zu decken, legten findige Gärtner im oberen Niltal die ersten Rosenplantagen an. Sie belieferten nicht nur den Hof, sondern auch die Marktplätze der Umgebung. Schließlich brachten auch die weniger begüterten Ägypterinnen Rosen als Opfergaben in den Tempel der Isis, dem ägyptischen Pendant zu Aphrodite.

An den Kult- und Opferstätten für Frigga, der germanischen Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit, pflanzte man die Hundsrose "Rosa canina", die am Niederrhein auch heute noch als "Friggas Dorn" bekannt ist. Die Göttin soll Beistand bei Schwangerschaft und Geburt gewähren, und nach glücklich überstandener Entbindung vergruben Hebammen oftmals die Nachgeburt unter einem Rosenbusch. Selbst nach der Christianisierung hielten sich solcherlei Beschwörungsformeln und Hausrezepte in einem Zwischenreich aus Aberglaube und Pflanzenkunde.

Die christliche Bilderwelt griff auf Attribute der heidnischen Göttinnen zurück und verlieh die Rose der Jungfrau Maria - selbstredend nicht die rote Rose, sondern die weiße - als Zeichen der reinen, jungfräulichen Liebe. Die frühesten verbürgten Überlieferungen der Marienverehrung stammen aus der Ostkirche. Wahrscheinlich entstand der "Hymnos Akathistos an die allerheiligste Gottesgebärerin und Immerjungfrau Maria" bereits im sechsten Jahrhundert, denn bereits hier wird Maria mit einer Rose verglichen.

Rote Rosen erinnern an Mut und Leid

Die Perlenschnur, an der man die vorgeschriebenen Litaneien der Marienverehrung gewissermaßen abzählen kann, heißt noch heute "Rosenkranz". Die Vorstellung, diese Gebetskette könnte ursprünglich aus aufgefädelten Rosenblüten bestanden haben, klingt zwar sehr poetisch, aber wahrscheinlicher ist, dass auch dieser Begriff auf die symbolische Zuordnung der Rose zu Maria zurückgeführt werden muss. Eine Legende berichtet, der Gründer des Dominikanerordens, der Heilige Dominikus, habe 1208 selbst den ersten Rosenkranz aus der Hand der Muttergottes erhalten.

Im Mittelalter wurde Maria eine eigene Gartenform gewidmet, der "Hortus conclusus", ein von einer Mauer umgebener, geschlossener Garten. Nach den Worten aus dem "Hohelied" Salomos "Meine Schwester, liebe Braut, du bist ein verschlossener Garten, eine verschlossene Quelle (...)" symbolisiert der Garten die Jungfrau selbst. Sie ist fruchtbar, doch ihre Fruchtbarkeit ist allein Gott vorbehalten. Sie ist der Quell, dem das Leben entspringt. Dieser Garten, der auch in der bildenden Kunst immer wieder ein beliebtes Motiv darstellte, ist nur sparsam ausgestattet, etwa mit einer Rasenbank und einem Brunnen in der Mitte. Oftmals gibt es eine Blumenwiese, die unverzichtbar an einem Gitterwerk aus Hasel- oder Weidenruten entlang von Rosenstöcken gesäumt ist.

Um die Jungfräulichkeit zu symbolisieren, muss die Marienrose nicht nur weiß sein, sondern auch dornenlos wie die Rosen des Paradieses. In einem volkstümlichen Marienlied, dessen Text bis ins achte Jahrhundert zurückzuführen ist, heißt es: "Rose ohne Dornen, O Maria hilf! Du von Gott Erkor'ne, O Maria hilf." Der englische Dichter John Milton (1608-1674) beschrieb diesen unschuldsvollen Ort in seinem Epos "Das verlorene Paradies" aus dem Jahr 1667 als einen hübschen ländlichen Flecken mit abwechslungsreichem Panorama: "Wälder, aus deren Bäumen duft'ge Harze tropfen, (...) dazwischen lagen Au'n und holde Matten, (...) und Blüthen jeder Farbe sich erwiesen und ohne Dorn die Rose selbst erblüht." Erst als Adam nach dem Apfel griff, wuchsen der Paradiesrose augenblicklich Dornen.

Doch standen durchaus auch rote Rosen im Klostergarten. Sie erinnerten an die Hingabe, den Mut und das Leid vieler Heiliger. Die rote Rose ist zum Beispiel das Attribut der Heiligen Rosa von Lima, der Schutzpatronin Lateinamerikas, oder der Karmelitin Thérèse von Lisieux. Besonders populär wurde das Rosenwunder der Heiligen Elisabeth von Thüringen (1207-1231): Die junge Gräfin wollte gegen den erklärten Willen ihres strengen Gemahls den armen Bauern am Fuße der Wartburg einen Korb voller Brot bringen. Als ihr Mann sie fragte, was sie in ihrem Korb hätte, behauptete sie, es seien Rosen. Und als das Tuch über dem Korb gelüftet wurde, hatte sich das Brot tatsächlich in duftende rote Rosen verwandelt.

In die Rosendame verliebt

Zu diesen christlichen Legenden und der Marienverehrung gesellten sich im Mittelalter Werke der weltlichen Literatur, in denen die Rose das Zeichen der Liebe und der Sinnlichkeit ist. Hier klingt der antike Mythos von der liebenden Aphrodite noch nach, indem die rote Rose der irdischen Frau zugedacht ist, ihrer sinnlichen und leidenschaftlichen Liebe. Die Hohe Minne wurde als weltliche Entsprechung der Marienverehrung gefeiert. Doch die Gebote der Minne erforderten es, die erotischen Aspekte der Liebe nicht beim Namen zu nennen. Also wurden sowohl die angebeteten Damen als auch die angestrebte Vereinigung mit allen denkbaren Bildern aus der Garten- und Blumenwelt umschrieben. So stand die Wiese zum Beispiel für das Liebeslager, der Brunnen für die fließende Lust und der Rosengarten für die Liebeswonne selbst. Bei Walther von der Vogelweide heißt es in einer Nachdichtung: "Könnt ich's noch erleben, daß ich Rosen läse mit dem süßen Mägdelein!"

Auch der populärste Roman des Mittelalters, "Le Roman de la Rose", bedient sich dieser Bilder. Seine Handlung trägt sich in einem ummauerten Garten zu, dessen Besitzerin die Sinnenlust ist. Amant, der Held der Geschichte, begegnet in diesem Garten einer jungen Dame in Gestalt einer Rose und verliebt sich unsterblich in sie. Von allegorischen Figuren wie der Furcht, der Eifersucht und der Verleumdung werden ihm zahlreiche Prüfungen auferlegt, ehe er seine Rosendame erringen kann. Am Ende erweist sich aber dieses Abenteuer, in dem der Held alle Licht- und Schattenseiten der Liebe und Leidenschaft erfährt, als ein Traum.

Schließlich ist die Rose ein mystisches Symbol, auch wenn uns diese mystischen Bedeutungen heute nicht immer ohne weiteres verständlich sind, wie das Beispiel der Rosenkreuzer zeigt. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts, zwischen Reformation und Frühaufklärung, sammelten sich in solchen Geheimgesellschaften Naturwissenschaftler und Sterndeuter, Alchemisten und Kabbalisten, aber auch Aufrührer mit politischen Ambitionen. Der Ruhm der Rosenkreuzer gründete auf drei Manifesten, die neue Wege zur Erkenntnis der Natur, Begegnung mit Gott und Vervollkommnung des Menschen verhießen. Sie wurden einem gewissen Christian Rosencreutz zugeschrieben, dem fiktiven Gründer des sagenumwobenen Geheimbundes. Dessen Name steht für die zentralen Symbole Kreuz und Rose. Während das Kreuz für den sich vervollkommnenden Menschen steht, ist die aufblühende rote Rose teils ein Symbol der Liebe, teils eines der menschlichen Seele, deren Harmonie dadurch erreicht wird, dass zu den vier Elementen der antiken Philosophie ein fünftes hinzukommt, die Quintessenz. Sie entsteht, wenn der Mensch die in ihm schlummernden Kräfte und die Gesetze des Geistes erkennt und ihnen zur Wirkung verhilft - das Sinnbild der Quintessenz findet sich in den fünf Blütenblättern der Wildrosen.

Die Rose ist zudem in einem ganz anderen Sinn die Blume der Geheimgesellschaften und Verschwörer: Sie alle verwendeten die Rose auch als Zeichen der Diskretion. Die Heckenrose, die sorgsam das Innere ihrer Knospe verbirgt, ist schon rein äußerlich ein Sinnbild der Abgeschlossenheit und des Geheimnisses. Bereits die Pythagoreer hatten die fünfteilige Blütenanordnung der Rose nachempfunden und daraus das Pentagramm konstruiert - das Symbol für Geheimnis schlechthin. Über Beratungstischen wurde eine weiße Rose aufgehängt. "Sub rose dictum", was "unter der Rose gesprochen" wurde, musste geheim bleiben.

Liebe und Betrug, Geheimnis und Verrat, Leiden, Askese und Reinheit und immer wieder Sinnlichkeit: Diese mythologischen, religiösen und symbolischen Bezüge geraten heute mehr und mehr in Vergessenheit. Dennoch gilt die Rose auch heute noch unangefochten als "Königin der Blumen". Es lohnt sich, daran zu erinnern, warum sie diese Krone einst errungen hat.

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Sabine Frank

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