Wir brauchen Schulden ...

... denn ohne sie gibt es keine Ersparnisse auf der Welt
Foto: privat
Wenn alle versuchen zu sparen, wird die Wirtschaft in einer immerwährenden Schrumpfung versinken.

In der deutschen Sprache ist das Wort schon verräterisch: Schulden haben mit Schuld zu tun. Offenbar lädt der Schuld auf sich, der Schulden macht. Noch schlimmer ist es, wenn der Staat Schulden macht. Staatsschulden haben zudem den großen "Vorteil", dass Schuld generell auf den Staat und weg vom Markt geschoben werden kann. So passt die Ächtung der Schulden und insbesondere der Staatsschulden perfekt zu den Parteiprogrammen aller konservativen und liberalen Parteien. Eine in der Verfassung verankerte "Schuldenbremse" bildet den Höhepunkt dieser absurden Vorverurteilung des Schuldners.

Was diejenigen, die solch einfachen Mustern folgen, aber bei weitem unterschätzen, sind die systemischen Wirkungen, die ihr undifferenziertes Handeln hat. Sie zerstören die Grundlagen für eine funktionierende Marktwirtschaft.

Der gute deutsche private Haushalt sorgt nämlich vor, indem er spart, also weniger ausgibt als er einnimmt. Wenn er das tut, müssen aber zwingend diejenigen, die dem privaten Haushalt sein Einkommen zahlen, dauernd mehr ausgeben als sie einnehmen. Sie, das sind der Staat und die Unternehmen, machen also Verluste. Wenn in einer Wirtschaft investiert werden soll, in der eine große Gruppe spart, muss sich also eine andere Gruppe verschulden, damit die Wirtschaft insgesamt funktionieren kann.

Unsinn Abend für Abend

Suggeriert man dem Bürger, dass er zwar sparen darf, die anderen aber gleichwohl ihre Einnahmen und Ausgaben ausgleichen sollen, dann ist es gefährlicher Unsinn. Wenn alle versuchen zu sparen, wird die Wirtschaft in einer immerwährenden Schrumpfung versinken. Dann muss, so wie das derzeit ist, der Zins Richtung Null sinken, aber auch das wird nicht helfen, eine neue Krise zu verhindern. Der Unsinn mit dem Sparen ohne Schulden wird aber Abend für Abend von den Politikern über den "Börsenexperten" bis hin zum Anchorman der TV-Nachrichten verbreitet.

Wenn es aber ohne Schulden bestimmter Gruppen der Wirtschaft nicht geht, weil einige Gruppen der Wirtschaft immer sparen, kann man den Staat bei den Schulden mit einer Schuldenbremse nicht aus der Verantwortung nehmen. Wenn der Staat sich nicht verschuldet, die privaten Haushalte aber sparen, muss man eine Wirtschaftspolitik betreiben, bei der die Unternehmen gezwungen sind, sich zu verschulden und in Sachanlagen zu investieren. Die deutsche Wirtschaftspolitik ist aber auf das Gegenteil ausgerichtet. Sie fördert die Unternehmen bei jeder Gelegenheit via Steuerpolitik und verschafft den Unternehmen Gewinne, die nicht am Markt über mühsame Sachinvestitionen verdient werden müssen. Da auch die Lohnpolitik in den letzten fünfzehn Jahren über massive Lohnzurückhaltung versucht hat, den Unternehmen besonders hohe Gewinne zuzuschanzen, hat sich Deutschland in die absurde Lage manövriert, dass auch die Unternehmen als Gruppe sparen, also mehr Gewinne machen, als sie investieren wollen. Sie sind damit nicht mehr, wie noch zu Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders, der wichtigste Schuldner und der Gegenposten zum privaten Sparen.

Das wäre noch hinzunehmen, wenn der Allgemeinheit oder wenigstens der Politik bewusst wäre, dass in dieser Lage nur noch das Ausland dafür sorgen kann, dass deutsche Sparwünsche nicht sofort zur Rezession führen. Doch weit gefehlt. Weil das Ausland schon in hohem Maße verschuldet ist und die Grenzen seiner Verschuldungsfähigkeit erreicht hat, wird es von Deutschland beschimpft und genau bei der Kreditvergabe, die das deutsche Modell am Leben hält, mit Bedingungen überzogen, die in vielen Ländern neue Armut und früher oder später einen Aufstand der Massen provozieren werden.

Weil es aber für die ganze Welt keine Nettoverschuldung gibt, muss der, der weniger verbraucht als er produziert demjenigen, der mehr verbraucht, temporär die Verfügungsrechte über seine ersparten Ressourcen einräumen, weil sonst die Rechnung nicht aufgehen kann. Ersterer gibt einen Kredit, und er gibt den Kredit sicher in der Hoffnung, der andere werde in der Zukunft in der Lage sein, den Kredit zurückzuzahlen. Zurückzahlen heißt aber wiederum zwingend, das derjenige, der bisher Defizite bzw. Schulden (in seiner Leistungsbilanz, wie die Ökonomen sagen) hatte, in Zukunft Überschüsse haben muss, weil er bei andauernder neuer Verschuldung ja niemals etwas zurückzahlen kann. Deutschland muss sich also eines Tages im Ausland verschulden, um den bisherigen Schuldnern die Gelegenheit zu geben, ihre Schulden zurückzuzahlen.

Das schockiert die schwäbische Hausfrau, ist aber nichts anderes als die logische Schlussfolgerung daraus, dass es auf der Welt keine Schulden ohne Ersparnisse gibt und umgekehrt.

Heiner Flassbeck ist Wirtschaftswissenschaftler und war bis Ende 2012 Chef-Volkswirt bei der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung.

Heiner Flassbeck

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