Klimahelden dringend gesucht

Was in diesem Jahr beim Klimaschutz der Vereinten Nationen passieren muss
"Jedes Blatt nimmt CO2 auf" – nur nicht diese Blätter. Foto: dpa / Czarek Sokolowski
"Jedes Blatt nimmt CO2 auf" – nur nicht diese Blätter. Foto: dpa / Czarek Sokolowski
2014 gilt mit Blick auf den Klimaschutzprozess der Vereinten Nationen als "Jahr der Ambitionen". Denn schließlich soll ein neues weltweites Klimaschutzabkommen in der Nachfolge des Kyoto-Protokolls vorbereitet werden. Ein schweres Unterfangen, wenn man auf die für viele Beobachter frustrierenden Ergebnisse der Warschauer Klimakonferenz zurückblickt.

Wenn Thomas Hirsch in diesen Tagen an die UN-Klimakonferenz in Warschau zurückdenkt, fällt ihm ein Bild ein: "Über der Konferenz lag Mehltau", sagt der Entwicklungspolitische Beauftragte von Brot für Welt, der seit 2008 das jährliche Ringen der weltweiten Klimadiplomatie vor Ort beobachtet. Das Bild ist insofern stimmig, als dass der Pilz, der die Pflanzenblätter zunächst mit weißem Belag überzieht und sie dann austrocknet, vor allem bei starken Temperaturschwankungen auftritt. Und die drohen bei fortschreitendem Klimawandel, ebenso wie stärkere Stürme, höhere Hochwasser und trockenere Dürren in immer schnellerem Wechsel.

Das soweit wie möglich zu verhindern, war das erklärte Ziel der UN-Klimakonferenzen, die seit 1995 jährlich zusammentreten und zunächst große Erfolge aufweisen konnten - allen voran das Kyoto-Protokoll, in dem sich die teilnehmenden Industrieländer zu einer Verringerung ihres Treibhausgasausstoßes verpflichtet hatten. Doch spätestens seit 2009, als in Kopenhagen die Mächtigen der Welt es nicht schafften, ein Folgeabkommen für Kyoto zu vereinbaren, sind Enthusiasmus und Pioniergeist dahin. Klimaschutz wird wieder vor allem als Kostenfaktor gesehen, der das wirtschaftliche Wachstum bedrohe, weshalb China, Indien und Brasilien mit Blick auf verbindliche Reduktionsziele auf die Bremse treten. "Diese Konferenz war die frustrierendste, die ich erlebt habe", sagt Hirsch. "Es wurden noch nicht mal kleinste Schritte nach vorne erzielt, man ist auf der Stelle getrippelt."

Dabei ist durchaus eine Menge passiert im Warschauer Fußballstadion, das das Gastgeberland Polen als Veranstaltungsort ausgewählt hatte. Der philippinische Chefunterhändler Naderev Sano, in dessen Land kurz vor der Konferenz tausende Menschen von dem Monster-Taifun Hayan getötet wurden, trat zum Auftakt in den Hungerstreik, um die Delegierten zu Ergebnissen zu zwingen. Dreißig Aktivisten schlossen sich an. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon reiste an, um den Delegierten ins Gewissen zu reden und forderte mehr Engagement für den Klimaschutz. Die größten Nichtregierungsorganisationen zogen kurz vor Ende der Konferenz demonstrativ aus dem Stadion aus, um gegen den Verlauf der Verhandlungen zu protestieren. Und wohl auch gegen die Düpierungen der polnischen Regierung: Sie unterstützte das während der Konferenz stattfindende Treffen der World Coal Association in Warschau und entließ den sowieso schon nicht als engagierten Klimaschützer auftretenden Umweltminister - erneut während der Konferenz -, was seine Verhandlungsführung weiter schwächte. Und dann kündigten Japan und Australien noch an, ihre bereits zugesagten Verpflichtungen zur CO2-Reduktion kippen zu wollen, zudem blieb der australische Umweltminister von der Konferenz fern, weil er sich um die Abschaffung der von der Vorgängerregierung eingeführten CO2-Steuer kümmern musste.

Gesamtergebnis: Peanuts

Vor diesem Szenario ist es erstaunlich, dass die Konferenz am Ende tatsächlich noch konkrete Ergebnisse lieferte. Der Fonds, der Entwicklungsländern helfen soll, sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen, wurde mit 105 Millionen US-Dollar aufgefüllt, allein Deutschland hat 40 Millionen US-Dollar zugesagt. Allerdings sollen künftig mehrstellige Milliardenbeträge in verschiedenen Fonds bereitstehen - bis dahin ist es noch ein weiter Weg und konkrete Schritte dorthin wurden noch nicht festgelegt. Neu geschaffen wurde eine Institution für das Thema "klimawandelbedingte Verluste und Schäden", der "Warschau-Mechanismus". Angeleitet durch einen Exekutivausschuss soll er das Wissen und Verständnis zu dem Thema verbessern, aber auch Schäden, die der Klimawandel verursacht hat, finanziell ausgleichen. Viel konkreter wurde es aber nicht, bis Sommer 2015 soll eine Arbeitsgruppe ein Programm zur Umsetzung des Mechanismus erarbeiten. Das wohl konkreteste Ergebnis gab es beim Waldschutzprogramm. Hier wurden die technischen Details festgelegt, mit denen die Emissionsminderungen durch den Schutz der Wälder in Entwicklungsländern berechnet werden können. Jetzt könne das Programm endlich auch national umgesetzt werden, frohlockte das Bundesumweltministerium in seinem Fazit.

Wie sind diese Ergebnisse nun zu bewerten? "Im Gesamtergebnis Peanuts", meint Thomas Hirsch. Hans Diefenbacher, Leiter der Abteilung "Frieden und Nachhaltige Entwicklung" bei der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) in Heidelberg und Umweltbeauftragter des Rates der EKD, sagt: "Kein großer Durchbruch mit Blick auf Paris 2015." "Aber auch kein Schiffbruch", ergänzt Nick Reimer, Chefredakteur des Nachrichtenportals www.klimaretter.info, der als Journalist an zahlreichen UN-Klimakonferenzen teilgenommen hat. "Was die Verhandler als Mandat auf dem Tisch hatten, haben sie abgearbeitet. Aber da lag ja fast nichts. Der Weltklimagipfel 2013 hat also genau die Ergebnisse geliefert, die ihm möglich waren."

Das entspricht dem Bild, das der UN-Prozess in der Öffentlichkeit seit Jahren abgibt: Jährlich große Konferenzen über zwei Wochen mit hunderten von Delegierten, dazwischen immer wieder Arbeitskonferenzen und am Ende minimale Ergebnisse. Und eine zunehmend gelangweilte und von der Vielzahl der Gremien, Themen und Fachvokabeln verwirrte Weltöffentlichkeit nimmt auch die immer dramatischeren Warnungen der Wissenschaftler nur noch schulterzuckend zur Kenntnis. Denn es ist ja nicht so, dass die Fachleute Entwarnung geben. Der IPCC, das mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Gremium, welches in regelmäßigem Abstand den aktuellen Stand der Klimaforschung zusammenträgt, hat im neuesten Bericht im Herbst vergangenen Jahres erklärt, dass der Meeresspiegel schneller steigen wird, als erwartet. Zudem wird das grönländische Eisschild wohl schon bei einem Grad höherer Durchschnittstemperatur schmelzen und nicht, wie in früheren Prognosen erwartet, erst bei 1,9 Grad plus. Das war die Grundlage für das international vereinbarte Ziel, die Erderwärmung nicht um mehr als zwei Grad ansteigen zu lassen.

Kirche und Klima

Solche Zahlen müssten die Klimadiplomatie doch eigentlich aufrütteln und in Unruhe versetzen. Doch stattdessen Blockade, Zögern, ermüdendes Ringen um einzelne Begriffe, Frustration und das Warten auf den Durchbruch irgendwann - Mehltau. Wie ist es dazu gekommen? Hans Diefenbacher von der FEST sieht das Kernproblem darin, dass sich mit den alten Mitteln, wie etwa der Energieerzeugung aus fossilen Quellen, noch immer Geld verdienen lässt. Die Länder, die davon profitieren, seien aber nicht die, die unter dem Klimawandel besonders leiden werden. Und ein starkes internationales Regime, das hier für Ausgleich sorgen könnte, sei nicht in Sicht. Thomas Hirsch vermisst die "Climate Leader", die vorangehen und nicht auf die anderen warten, weil sie die wirtschaftlichen Chancen einer klimafreundlichen Wirtschaft sehen. Diese Rolle hätten die EU-Länder und besonders Deutschland mal besetzt, sie mittlerweile aber eingebüßt. Und für Nick Reimer sind die Verhandlungen in ihren Grundstrukturen auseinandergebrochen. Aus der früheren "Win-Win-Situation" für alle Beteiligten wurde eine Diskussion um Rechtstitel und die Frage, wer am Ende tatsächlich das Geld auf den Tisch legt, um den Schaden, den der Klimawandel mit sich bringt, auszugleichen.

Was muss also passieren, damit 2015 in Paris ein Nachfolgeabkommen für Kyoto zustande kommt? Das ist der letztmögliche Zeitpunkt, an dem eine Vereinbarung getroffen werden kann, damit - wie von den Wissenschaftlern des IPCC gefordert - ab 2020 die CO2-Emissionen weltweit wirklich sinken. Denn nach dem Beschluss einer UN-Klimakonferenz dauert es ja einige Jahre, bis ein solches Abkommen in alle Staaten ratifiziert und in nationales Recht umgesetzt wurde. Beim Kyoto-Protokoll brauchten die Unterzeichnerstaaten dafür sogar insgesamt gut sieben Jahre. Die kommenden Monate werden also entscheidend sein, das Jahr 2014 gilt unter Beobachtern der Klimakonferenzen deshalb als das "Jahr der Ambitionen". Für September hat Ban Ki Moon die Regierungschefs zu einem Treffen eingeladen, auf dem diese die Reduktionsziele für ihr Land vorlegen sollen. Diese sollen dann in Lima auf der nächsten Weltklimakonferenz bewertet und im Anschluss daran gegebenenfalls nochmal verändert werden. Dann könnte in Paris ein substanzielles Ergebnis verabschiedet werden.

Dazu braucht es neue Klimahelden, meint Thomas Hirsch. "Es müssen auf den Konferenzen Erfolgsgeschichten erzählt werden, die zeigen, dass Klimaschutz und wirtschaftliches Wachstum miteinander vereinbar sind." Dabei dürfe man aber nicht nur auf den UN-Prozess setzen. Bilaterale Entwicklungsabkommen und die Geld gebenden Entwicklungsbanken spielten hier eine wichtige Rolle. Positiv sieht Hirsch in diesem Zusammenhang die Rolle der Weltbank, die das Thema mittlerweile sehr ernst nehme. Es gehe um "Agenda Setting", gerade in den Schwellen- und Entwicklungsländern, denn auch in Deutschland sei ja die Energiewende nicht vom Himmel gefallen, sondern habe vor dreißig Jahren mit einzelnen Windrädern begonnen.

Doch es geht nicht nur um Regierungen, auch die Zivilgesellschaft kann ihren Beitrag leisten, das Thema auf der Tagesordnung zu halten. So werden sich in diesem Jahr auch die Synodalen der EKD mit den zukünftigen Klimaschutzzielen der evangelischen Kirche beschäftigen. Die Synode hatte ja den Mitgliedskirchen empfohlen, bis 2015 ihre CO2-Emissionen um 25 Prozent im Vergleich zu 2005 zu senken. Inwieweit dieses Ziel erreicht wird und wie es ab 2015 weitergehen kann, das werden Hans Diefenbacher und sein Team im laufenden Jahr ermitteln und dem Rat und der Synode vorstellen. Grundsätzlich werde in den Kirchen das Thema noch immer engagiert angegangen, acht Landeskirchen hätten ein Klimaschutzprogramm mit entsprechenden Reduktionszielen formuliert, zwei haben bereits mit der Umsetzung begonnen. Zumindest dort, so Diefenbacher, "ist der Klimaschutz im Alltag angekommen".

Stephan Kosch

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