Schafft es ab!

Warum das "Wort zum Sonntag" immer wieder scheitert
Foto: privat
Welchen Sinn stiftet ein "Wort zum Sonntag", das allwöchentlich den ohnehin Bekehrten rein gar nichts predigt, was über das Niveau handelsüblicher Frauenzeitschriften hinausginge?

Nein, es mangelt nicht an landläufigen Witzen über das "Wort zum Sonntag". Eine fromme Pinkelpause sei das und so langweilig, dass selbst Gott regelmäßig darüber einschlafe. Diese Scherze erzählen weniger über das "Wort zum Sonntag" als über denjenigen, der sie macht - wir halten damit den Ernst auf Distanz, mit dem uns diese religiöse Ansprache zwischen Nachrichten und Spielfilm auf den Leib rückt. Zugleich erzählen diese Witze aber davon, dass das "Wort zum Sonntag" scheitert. Dass es scheitern muss, und das nun schon seit sechzig Jahren. Nicht an seinem Anspruch, wie der Spott vermuten lässt. Sondern an seiner mangelnden intellektuellen Redlichkeit. Es gehört abgeschafft.

Man nimmt das "Wort zum Sonntag" mit, wie man notgedrungen auch die Werbung mitnimmt. Kein Zuschauer, und sei er auch noch so fromm, hätte jemals ausgerufen: "Nun aber schnell den Fernseher an! Gleich kommt das Wort zum Sonntag!" Und wie die Werbung folgt das "Wort zum Sonntag" Woche für Woche dem gleichen Strickmuster. Zunächst präsentiert die Sprecherin oder der Sprecher eine alltägliche Beobachtung oder eine aktuelle Nachricht, während die Kamera langsam an den Sprecher heranfährt, weil das Nähe suggeriert und damit Vertraulichkeit. Gut, denn die Exposition ist vorbei, das Problem vorgestellt. Und jetzt folgt immer - immer! - ein Verweis auf die Schrift. Leider gehört dazu oft genug auch, nicht sauber zu zitieren, sondern selektiv.

Neulich beispielsweise ging es wieder einmal um ein ganz alltägliches Problem. Die Theologin sprach über die gestörte Balance zwischen "Leben und Arbeit" unserer Tage und das Gefühl, "zu nichts mehr" zu kommen. Das ist keine Kleinigkeit, sondern ein ernsthaftes systemisches Problem, das seine Gründe und Profiteure hat. Was kann mir hier die Kirche sagen? Sie verweist mit besänftigendem Lächeln auf eine Bibelstelle: "Gott lässt Zeiten des Aufatmens kommen." Aufatmen? So kümmerlich kann doch keine frohe Botschaft sein, oder? Schriftreligion ist Schriftreligion, es lässt sich alles nachschlagen. Und siehe da, das Zitat ist dem Zusammenhang einer Rede von Petrus entrissen: "Also kehrt um und tut Buße, damit eure Sünden getilgt werden und der Herr Zeiten des Aufatmens kommen lässt und Jesus sendet als den für euch bestimmten Messias." Was auch immer damit gemeint ist: "Mach mal Pause!" ist es sicher nicht.

Kleinlaut und unterkomplex

Und so geht das immer. Da wird dann das Attentat der Taliban auf ein Mädchen in Pakistan ins Verhältnis gesetzt zum "Kindermord von Bethlehem, einer der größten Gräueltaten der Geschichte". Was selbst für den Fall, dass dieser Kindermord wirklich stattgefunden hat, ein hanebüchener argumentativer Kurzschluss ist. Da interessiert dann auch die banale Botschaft nicht mehr, dass manchmal die Großen vor den Kleinen zittern müssen.

Nun halten selbst Atheisten und Agnostiker den christlichen Kirchen zugute, dass sie auch auf Fragen von Leben und Tod gewisse Antworten kennen, dass sie als metaphysische Lebensversicherungen unverzichtbar sind. Aber gerade bei seinen Kernkompetenzen bleibt das Wort seltsam kleinlaut und unterkomplex.

Da nennt dann eine junge Pastorin "die treibende Kraft des Lebens" kurzerhand "Gott". Ein niederschwelliger Gott ist das, der uns mit dem Leben ein "Riesengeschenk" macht, das "gefeiert" werden muss, und zwar "egal wie elend". Egal wie elend, wirklich? Warum? Weil, so ist es eben "niedergeschrieben in der Bibel". An anderer Stelle spricht der bärtige Pastor gewählte Worte über den Verlust, die Kamera zoomt interessiert näher, und dann: "Als Christ vertraue ich auf einen Gott, der Leben schenkt, über den Tod hinaus. Wie das sein wird? Weiß ich nicht. Aber ich ahne etwas ganz Großartiges, etwas unvorstellbar Schönes, wie wenn sich ein wunderbarer Sonnenaufgang ankündigt."

Welchen Trost könnte privater Sonnenaufgangskitsch jenen Menschen spenden, die in einer existenziellen Krise stecken? Wie sollten ausgerechnet kritische Kirchenferne von vitalistischer Glaubensheiterkeit angezogen werden? Welchen Sinn stiftet überhaupt ein "Wort zum Sonntag", das allwöchentlich den ohnehin Bekehrten rein gar nichts predigt, was über das Niveau handelsüblicher Frauenzeitschriften hinausginge? Wo bleibt bei aller Verkündungsfreude der Begründungsfleiß? Denn gute Gründe für den Glauben gibt es doch, oder?

Keine Frage: Das Fernsehen ist, sieht man von seinen wenigen Informationsinseln ab, ein Ozean der Zerstreuung. Diese Nachbarschaft tut dem Wort nicht gut, solange es sich an die Oberflächlichkeit des Mediums anbiedert. Deshalb gehört es abgeschafft - und durch ein Format ersetzt, dass der Tiefe und Dringlichkeit der christlichen Botschaft angemessener ist, als es die frömmelnden Miniaturen von vier Minuten jemals sein könnten.

Arno Frank ist Journalist und schreibt unter anderem regelmäßig TV-Kritiken für Spiegel Online.

Arno Frank

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