Aus der Deckung gekommen

Der römische Frühling sorgt bei Deutschlands Katholiken für Blütenträume
Kardinal Reinhard Marx (links) gehört zur "Gruppe der Acht", die den Papst berät. Foto: dpa
Kardinal Reinhard Marx (links) gehört zur "Gruppe der Acht", die den Papst berät. Foto: dpa
Ein neuer Papst und ein neuer Vorsitzender der Bischofskonferenz eröffnen der katholischen Kirche auch in Deutschland neue Chancen. Wird sie diese nutzen? Ist der Geist schon aus der Flasche, wie Kardinal Reinhard Marx nach seiner Wahl meinte? Philipp Gessler, Kirchenredakteur des Deutschlandradios und Katholik, geht diesen Fragen nach.

Wie ein angeschlagener Boxer", dieses Bild ist in Erinnerung geblieben. Weil es so stark ist - und weil es getroffen hat wie ein Punch von Muhammed Ali oder Vitali Klitschko, um es aktuell zu sagen. "Wie ein angeschlagener Boxer", so beschrieb in einem internen Papier ein führender Mann im EKD-Kirchenamt vor drei Jahren die römisch-katholische Kirche in Deutschland: ein Boxer, der zwar noch stark sei und austeilen könne, aber zugleich erschöpft und unberechenbar sei, irrational, auch weil verunsichert. Ein schwieriger Partner, aber nicht zu unterschätzen.

Auch wenn das an die Öffentlichkeit gelangte Papier bei den katholischen Brüdern und Schwestern für ordentlich verschnupfte Nasen sorgte und einen eilfertig einberaumten Entschuldigungsbesuch nach sich zog, der dem Gang nach Canossa ähnelte - im Kern stimmte die Analyse. Denn man kann es kaum höflicher sagen: Die katholische Kirche der Bundesrepublik bot in der Spätphase des Pontifikats von Papst Benedikt XVI. ein Bild des Jammers: Ins Mark getroffen durch den Skandal der in der Regel jahrzehntelang vertuschten sexualisierten Gewalt gegen Minderjährige und verängstigt durch die Erfahrung, immer kleiner zu werden und an gesellschaftlichem Einfluss zu verlieren, und zerstritten über eine angemessene Reaktion auf die Vorgaben des greisen Deutschen auf dem Papstthron - das war die katholische Kirche hierzulande.

Zwei Paukenschläge

Was zunächst wie ein Glücksfall für die katholische Kirche Deutschlands schien - ein bayerischer Kardinal an der Spitze der Weltkirche - wurde zunehmend als Belastung empfunden. Schließlich war es Joseph Ratzinger, der seit Anfang der Achtzigerjahre als Präfekt der Glaubenskongregation und ab 2005 als Papst ein uneingestandenes Programm der Rückkehr in die Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil verfolgte. Dieses Programm war im deutschen Episkopat nicht mehrheitsfähig - aber ihm zu entrinnen, war schwer. Denn die katholische Kirche in der Heimat des Papstes, die er gleich drei Mal besuchte, stand nun unter besonderer Beobachtung Roms.

Dann der überraschende Papstrücktritt. Wie überraschend er selbst für die Kardinäle war, beschrieb sein Privatsekretär Georg Gänswein jüngst in einem Interview. Und diesem Paukenschlag folgte einen Monat später der nächste: die Wahl Jorge Mario Bergoglios zum neuen Papst. Auch wenn es darüber verständlicherweise nur vage Informationen gibt, spricht einiges dafür, dass die Mehrheit der deutschen Kardinäle für Bergoglio stimmte. Gerade Kardinal Walter Kasper wird nachgesagt, er habe für den Erzbischof von Buenos Aires ordentlich die Werbetrommel gerührt. Der vor kurzen aus dem Amt geschiedene Kölner Kardinal Joachim Meisner, der konservative Flügelmann des deutschen Episkopats, verbarg dagegen kaum, dass ihn Bergoglios Wahl wenig begeistert hat.

Der Franziskusfrühling hat die deutsche katholische Kirche nicht gerade in einer Zeit der Blüte erfasst. Vielleicht war deshalb das Aufatmen im deutschen Episkopat über die Papstwahl besonders groß - sind die Hoffnungen enorm. Denn auch wenn es nur ein Abglanz ist, die weltweit sehr guten, fast euphorischen Reaktionen auf Gesten und Worte von Papst Franziskus in seinem ersten Jahr, tun auch der hiesigen katholischen Kirche gut. Endlich einmal aus der Defensive kommen. Immer wieder zitieren deutsche Laien, Priester und Prälaten den Papst, beziehen sich auf ihn. Was früher eher pflichtschuldig wirkte, klingt nun ehrlich.

Tatsächlich hat Franziskus ja Denkverbote aufgehoben, die gerade die katholische Kirche in Europa bedrängte. Das prominenteste Beispiel ist der Umgang mit Homosexuellen. Auch wenn der Papst keine neue Doktrin verkündete, so deutete er doch zumindest eine entspanntere Herangehensweise an: "Wer bin ich, darüber zu urteilen?", lautete sein viel zitierter Satz, der auf dem Rückflug vom Weltjugendtag in Rio nach Rom fiel. Diese Offenheit und Gelassenheit ist schon viel, wenn man bedenkt, wie verkrampft das Thema in den Jahren vor Franziskus behandelt worden war - und zwar Jahrzehnte lang.

Auch in der Frage, wie die Kirche mit wiederverheirateten Geschiedenen umgehen soll, deutet sich im Vatikan Bewegung an, mag Kardinal Gerhard Müller, der Präfekt der Glaubenskongregation, auch noch so heftig auf die Bremse treten.

Wind der Veränderung

Früher war innerkirchlich Mut nötig, brennende Probleme der deutschen katholischen Kirche anzusprechen, heute wird dies dagegen als notwendige Anregung zur Diskussion akzeptiert. Es weht aus Rom über die Alpen ein Wind der Veränderung, des Dialogs und der Freiheit. Dazu gehört nicht zuletzt, was der Papst in seinem Lehrschreiben "Evangelii gaudium" betonte, dass eine "übertriebene Zentralisierung" das Leben der Kirche nur verkompliziere. Und noch deutlicher wird er mit dem Gedanken, der Papst müsse keineswegs die Ortsbischöfe in der Bewertung aller Probleme ersetzen.

In diese Richtung - weniger Überwachung und Gängelung der "Ortskirchen", auch der deutschen Bistümer - geht die Etablierung des achtköpfigen Kardinalskollegiums, das den Papst nun regelmäßig berät. In dieses erlauchte Gremium wurde auch, ziemlich überraschend, Münchens Erzbischof Reinhard Marx berufen. Und es dürfte der deutschen katholischen Kirche eher nützen als schaden, einen Mund direkt am Ohr des Papstes zu haben.

Für mehr Freiheit der Bischöfe sprechen auch erste Überlegungen im Vatikan, wie die Bischofssynoden, die regelmäßig nach Rom einberufen werden, dialogischer werden können. Noch dienen sie nur der Beratung des Papstes. Aber auch hier scheint Bewegung aufzukommen. Wenn im Herbst die lange mit Spannung erwartete Bischofssynode zusammentritt, die die Ergebnisse der weltweiten Umfrage des Vatikan zur Familien- und Sexuallehre diskutieren wird, ist damit zu rechnen, dass der Geist größerer Autonomie die Bischöfe beflügelt.

In der katholischen Kirche Deutschlands scheinen seit dem Amtsantritt von Papst Franziskus einige liberalere Geister aus der Deckung - höflicher gesagt: aus der inneren Emigration - zu kommen. Freiburgs Erzbischof Robert Zollitsch, auch als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz die Vorsicht in Person, wagte sich bei der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Eucharistie mit liberalen pastoralen Regelungen nach vorne. Auch wenn am Ende unklar war, ob er sie an die große Glocke hängen wollte und er einiges auch wieder verschämt zurücknahm, als sich unter seinen Mitbrüdern Empörung breitgemacht hatte.

Auch im Dialogprozess zwischen den katholischen Laien und Bischöfen Deutschlands scheint langsam Fahrt aufzukommen. Ein gewisses Vertrauen ist jedenfalls gewachsen, glaubt man den öffentlichen Äußerungen Alois Glücks, des Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (zdk). Die von Papst Franziskus angestoßene Rede- und Denkfreiheit beflügelt. Denn die deutschen Bischöfe müssen nun nicht mehr dauernd ängstlich nach Rom schielen, wenn sie heiße Themen ansprechen.

Zwei Riesenskandale

Es könnte also alles schön sein. Aber die katholische Kirche in Deutschland wird nach wie vor von zwei riesigen Skandalen geschüttelt, die im Wesentlichen unaufgearbeitet sind: Erstens dem Missbrauchsskandal, der - völlig zu Recht - seit Jahren die öffentliche Wahrnehmung der Kirche belastet. Nach wie vor scheinen viele Laien und Bischöfe die Dimension des Skandals nicht ausreichend verstanden zu haben, als sei er lediglich ein Betriebsunfall in einer eigentlich gut funktionierenden Institution. Dass dieser Skandal die Kirche in ihrer heutigen Form selbst infragestellt und es darauf ankäme, ihn aus der Perspektive der Opfer zu betrachten und somit die Kirche neu zu verstehen - das Mantra des frühen Aufklärers des Mißbrauches, des Jesuiten Klaus Mertes - wollen viele um des lieben Frieden willens beiseiteschieben.

Hinzu kommt ein weiterer Skandal, der die katholische Kirche in Deutschland nun schon bald ein Jahr lang beutelt - oberflächlicher zwar, aber das muss in einer Mediengesellschaft wie der deutschen nicht weniger schädlich sein. Der Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst wird den Ruf der katholischen Kirche noch lange schädigen, auch wenn der komplizierte Name des Bischofs schon längst (und zurecht!) vergessen ist.

Dieser Skandal ist auch deshalb toxisch, da er eins zu eins zu einer alten Erzählung und Erfahrung der Leute passt: Die Kirchen seien doch eigentlich stinkreich, predigten seit Jahrhunderten Wasser und tränken Wein. Es ist kein Zufall, dass im Zuge des Tebartzskandals so intensiv über den Reichtum und die versteckten Einnahmen gerade der katholischen Kirche recherchiert und diskutiert wurde.

So werden die Staatsleistungen, die die beiden großen Kirchen seit der Säkularisierung Anfang des 19. Jahrhunderts erhalten, auf Dauer nicht zu halten sein, obwohl sie juristisch kaum angreifbar sind. Einer Kirche, die ihr eigenes Finanzgebaren nicht transparent machen kann oder will, wird man nicht abnehmen, dass es ihr nur um das Gute und um Transparenz geht. Auch die Botschaft des Papstes, er wolle eine arme Kirche der Armen hat schon jetzt durch den Monate lang schwelenden Skandal um den Limburger Bischof Schaden genommen.

Ob die Wahl von Kardinal Reinhard Marx zum neuen Vorsitzenden der Bischofskonferenz der deutschen katholischen Kirche helfen wird, die Wagenburg zu verlassen? Wird sie sich nach draußen wagen?

Der medien- und machtbewusste Barockmensch Marx sagte unmittelbar nach seiner Wahl im schattigen Innenhof des Münsteraner Priesterseminars, er wolle für "gute Nachrichten" sorgen und die Kirche in einer pluralen Gesellschaft wieder stärker zu Wort kommen lassen. Der Geist sei aus der Flasche, der Papst wolle mehr Autonomie der nationalen Bischofskonferenzen. Ob die Deutschen diese neue Freiheit nutzen werden? Das Selbstbewusstsein dazu besitzt Marx jedenfalls.

Philipp Gessler

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