Wie in Irland

Die israelische Besiedlung Cisjordaniens ist rechtswidrig und unmoralisch
Der Boykott von Waren, die israelische Siedlungen im Westjordanland herstellen, kann Israelis und Palästinenser bewegen, engagierter nach einer Lösung ihres Konfliktes zu suchen.
Die israelische Siedlung Har Homa bei Beit Sahur, einer überwiegend christlichen Stadt im Westjordanland. Foto: dpa/Debbie Hill
Die israelische Siedlung Har Homa bei Beit Sahur, einer überwiegend christlichen Stadt im Westjordanland. Foto: dpa/Debbie Hill

pro und contra:

Israel ist im Großen und Ganzen ein demokratischer Rechtsstaat, der einzige im Nahen Osten. Und wenn Deutsche Israel kritisieren, sollten sie immer bedenken, wie sie reagieren würden, wären sie und ihre Angehörige und Freunde jahrzehntelang, immer wieder, Anschlägen ausgesetzt. Dann dürfte hierzulande nicht nur gefordert werden, den Rechtsstaat einzuschränken, sondern auch die Todesstrafe einzuführen. In Israel ist die Todesstrafe dagegen, anders als in seinen Nachbarstaaten, nie verhängt und vollstreckt worden. Einzige Ausnahme: der Massenmörder Adolf Eichmann. Es gibt also keine Gründe, israelische Waren und Institutionen, zum Beispiel Universitäten, zu boykottieren. Ja, der Boykott eines ganzen Landes ist nur dann angebracht, wenn es sich um eine Diktatur handelt, erst recht um eine, die andere Staaten bedroht oder mit Krieg überzieht.

Sinnvoll und moralisch geboten ist dagegen, gezielt und gewaltlos rechtswidrige und unmoralische Maßnahmen zu bekämpfen, die ein Staat duldet oder anstößt und fördert, wie die israelischen Siedlungen im Westjordanland. Ein Mittel dazu ist der Boykott von Waren, die dort hergestellt werden. Und damit ein deutscher Kunde diese erkennen und auf den Kauf verzichten kann, müssen sie gekennzeichnet werden, wie das in Europa einige Staaten oder Lebensmittelhändler tun. Damit würde auch der in Deutschland geltenden Rechtslage entsprochen. So erklärte die Bundesregierung im vergangenen Jahr auf Anfrage der Bundestagsfraktion der Grünen, "eine Kennzeichnung 'Made in Israel'" sei "nur zulässig für Produkte aus dem israelischen Staatsgebiet in den Grenzen von vor 1967".

Anders als bei den N azis

Wer den Boykott von Produkten israelischer Siedlungen in Cisjordanien mit der NS-Aktion "Kauft nicht bei Juden" gleichsetzt, kennt die Geschichte nicht oder verdreht sie bewusst. Was die Nazis 1933 "Boykott" nannten, war eigentlich keiner. Bei einem Boykott handelt es sich - jedenfalls meist - um den gewaltlosen Widerstand von Bürgerinnen und Bürgern gegen die, die ihre wirtschaftliche und politische Macht ungerecht einsetzen. So boykottierten irische Pächter und Landarbeiter den Gutsverwalter Charles Boycott, Inder die britische Kolonialherren, Schwarze die städtische Busgesellschaft von Montgomery/Alabama, und deutsche evangelische Frauen riefen dazu auf, keine "Früchte der Apartheid" aus Südafrika zu kaufen.

Diese Aktionen unterscheiden sich wie die Weigerung, Produkte israelischer Siedler im Westjordanland zu kaufen und mit ihren Institutionen zusammenzuarbeiten, fundamental von dem, was die Nazis als "Boykott" ausgaben. Am 1. April 1933 bauten sich SA-Männer vor Geschäften und Praxen von Juden auf und schüchterten diejenigen ein, die sie betreten wollten. Die Maßnahmen der Nazis richteten sich nicht gegen Eindringlinge, die sich fremdes Land unter den Nagel gerissen hatten, sondern gegen Deutsche, deren Familien schon vor langer Zeit eingebürgert worden waren, während der staatenlose, aus Österreich stammende Anstreicher erst 1932 Deutscher geworden war. Außerdem richtete sich die Aktion der Nazis gezielt gegen Menschen, die sie aufgrund ihrer rassistischen Ideologie als "Nichtarier" und minderwertig betrachteten. Für den Boykott israelischer Siedlungen und Institutionen in Cisjordanien ist dagegen unerheblich, von wem ihre Bewohner oder Mitarbeiter abstammen und welche Religion sie ausüben. Sicher, in diesem Fall sind es Juden, die unrecht handeln. Darf man sie boykottieren, wie man das bei Christen, Muslimen und Atheisten täte, die sich genauso verhielten?

Zum Nachdenken bewegen

Der deutsch-österreichische Schriftsteller Robert Neumann (1897-1975) schrieb, Juden wollten "keine Sonderbehandlung - nicht die Himmlersche noch jene, die uns wie rohe Eier behandeln und in Gold fassen will". Nur sollte es, wenn ein Jude falsch parkt, einen Kunden beim Autokauf übers Ohr haut, auf der Straße betrunken randaliert "oder sogar Raub und Totschlag" begeht, wie bei Nichtjuden heißen: "Der Meier hat es getan, nicht der Jude Meier, nicht alle Juden haben's getan, nicht alle Juden sind Raubmörder, randalieren auf der Straße und parken die Autos falsch." Erst dann werde es ein Ende haben mit Judenfeindschaft und Philosemitismus, mit dem "schwarzen und dem weißen Antisemitismus in Deutschland", wie Neumann es ausdrückt.

Ein Boykott der Waren aus den israelischen Siedlungen des Westjordanlandes und eine Verweigerung der Zusammenarbeit mit dortigen Einrichtungen würde zeigen, dass Europäer nicht nur von Gewaltlosigkeit reden, sondern entsprechend handeln. Und das könnte Palästinenser und Israelis zum Nachdenken bewegen. Die Ersteren könnten sehen, dass gewaltloser Widerstand möglich, ja erfolgreicher ist als Terror. Und die Letzteren würden von einer Politik abgebracht, die sich noch bitter rächen, gegen ihre Urheber wenden und sehr lange einen Frieden im Nahen Osten verhindern wird. Im 17. Jahrhundert siedelten die Briten in Nordirland schottische Protestanten an. Der daraus entstandene Konflikt dauerte Jahrhunderte, vergiftete das politische Klima und kostete viele Menschenleben. Erst vor einigen Jahren konnte Nordirland befriedet werden. Aber unterschwellig hält der Hass bis heute an.

Michael Volkmann: Kooperation statt Konfrontation

Jürgen Wandel

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