Polemik

Ehrenamt: Freiwillig, ohne Lohn
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23 Millionen Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler werden massiv ausgebeutet, Gratisarbeit soweit der Blick reicht - auf Kosten sozialversicherungspflichtiger Jobs.

Schon das Cover versprüht Polemik: Der sprichwörtliche Apfel und das Ei als Lohnersatz prangen auf dem Buchtitel. Diesem Duktus bleibt Claudia Pinl treu, wenn sie in ihrer leicht lesbaren und eingängigen Analyse der Frage nachspürt, wie es in Deutschland mit seinem "entkernten Sozialstaat" um das Ehrenamt bestellt ist. "Nicht gut", um ihre Quintessenz gleich vorwegzunehmen. Die Kölner Pathologin sieht die Ressource Ehrenamt in Gefahr, weil Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe heute nur "als Kitt einer auf Egoismus und sozialer Kälte basierenden Leistungsgesellschaft" dienten.

Aus ihrer Sicht werden 23 Millionen Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler massiv ausgebeutet, ganz gleich ob sie im Vorstand des Sportvereins wirken, bei der Tafel Lebensmittel ausgeben, das kirchliche Altencafé betreuen oder an der Schwimmbadkasse sitzen. Gratisarbeit soweit der Blick reicht - auf Kosten sozialversicherungspflichtiger Jobs. Dass die Ehrenamtler so manche Lücke stopfen, die eine kritikwürdige Sozial- und Steuerpolitik gerissen hat, liegt auf der Hand. Wie vielfältig die Arbeit "für lau" bundesweit ist, skizziert Pinl in mehreren reportageartigen Sequenzen. Ja, es stimmt, dass diese Engagierten mit ihrer Gratisarbeit den Betrieb von Pflegeheimen, die Mittagsbetreuung in Schulen und Kindertagesstätten oder die Flüchtlingsarbeit erst aufrechterhalten.

Aber ist das zu verteufeln? Der Einsatz für das Gemeinwesen ist so alt wie das Gemeinwesen selbst. Es wäre lohnend gewesen, den unterschiedlichen Motiven des vielfältigen freiwilligen Einsatzes mehr Raum zu geben. Denn es geht um sinnvolle Freizeitgestaltung, die Zufriedenheit schafft, um Kontaktpflege mit Gleichgesinnten, um Mitgestaltung des eigenen Lebensumfeldes, um Anerkennung, die viele Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler oft selbst in jahrzehntelangem Berufsleben nicht erfahren haben. Die Frage ihrer Bezahlung, und sei es auch nur mittels einer schmalen Aufwandsentschädigung, stellt sich vielen engagierten Bürgerinnen und Bürgern überhaupt nicht. Im Gegenteil. Erst die unentgeltliche Tätigkeit bringt ihnen Gewinn.

Diese rührige Klientel mit der zunehmenden Zahl an Minijobbern, Teilnehmern an Freiwilligendiensten oder prekär Beschäftigten, wie etwa den Ein-Euro-Jobbern, zu vermischen, die professionelle Kräfte überflüssig machen, ist die Schwäche des aufschlussreichen Buches Freiwillig zu Diensten? Natürlich ist der Einsatz von Ein-Euro-Jobbern Ausbeutung, sofern es nicht gelingt, diese Tätigkeiten als Sprungbrett in den ersten Arbeitsmarkt zu nutzen. Und es sind unter den Millionen von 400-Euro-Jobbern zweifelsohne viele, vor allem Frauen, die bestens qualifiziert und ausgebildet sind und gerne eine reguläre Stelle antreten würden.

Und doch ist dieses Feld der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sehr wohl vom Ehrenamt zu trennen. Denn gerade hier existieren wirtschaftliche Zwänge nicht. Der Freiwillige hat einen "freien Willen" und kann sein Amt jederzeit aufgeben. Dass die Demokratie aktive Bürger und Bürgerinnen braucht, konstatiert auch Claudia Pinl und fordert, dass sie gesellschaftliche Verantwortung auch jenseits der Wahlen übernehmen: "Aktive Bürgerschaft aber kann heute nur heißen, sich aktiv einzusetzen für eine andere Politik, die den Reichtum in Deutschland umverteilt und die Almosengesellschaft verabschiedet." Dann käme wieder mehr Geld für Bildung, Soziales und Kultur in die Kassen. Doch selbst wenn der Staat sein Engagement auf diesen Feldern wieder merklich ausweiten würde, den engagierten Bürger braucht es weiterhin: in der Kirche, bei den Wohlfahrtsverbänden und im Sportverein.

Claudia Pinl: Freiwillig zu Diensten? Nomen Verlag, Frankfurt/Main 2013, 144 Seiten, Euro 14,90.

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