Gemüse statt Cadillac

In Detroit sorgen Farmen für neues Leben in der Stadt
Nach einer Studie könnte Detroit mit Stadtfarmen, Nachbarschaftsgärten und Gewächshäusern dreiviertel seines Gemüses und 40 Prozent seiner Obstes selbst produzieren. Foto: Martin Egbert
Nach einer Studie könnte Detroit mit Stadtfarmen, Nachbarschaftsgärten und Gewächshäusern dreiviertel seines Gemüses und 40 Prozent seiner Obstes selbst produzieren. Foto: Martin Egbert
Farmen und Gemüsegärten hauchen der brach liegenden Industriemetropole Detroit wieder Leben ein. Wissenschaftler halten es sogar für möglich, dass die Stadt ihren Bedarf an Frischkost überwiegend selbst anbaut. Eine der ersten städtischen Farmen war die eines Kapuzinerklosters.

Es herrscht Hochbetrieb auf der Earth Works Farm der Kapuziner Mönche des St. Joseph-Klosters. Studenten, Ex-Musiker, pensionierte Lehrer, Hausfrauen oder arbeitslose Nachbarn wuseln über den ehemaligen Gewerbehof. Einige tragen Spaten oder Harken, andere Säcke mit Kompost oder Kisten mit frisch geerntetem Gemüse. Die Earth Works Farm in East Side Detroit baut mit ihren freiwilligen Helfern Obst und Gemüse für die hauseigene Suppenküche an. Jeden Tag gibt sie zweitausend Essen für Obdachlose, sogenannte Working Poors oder Arbeitslose aus.

"Vierzig Prozent der Zutaten für unsere Mahlzeiten stammen aus eigener Produktion", erklärt Jerry Smith, einer der fünfzehn Mönche des Kapuzinerklosters. Die Suppenküche des Ordens gibt es seit über achtzig Jahren. Immer schon hatten die Männer einen kleinen Gemüsegarten. In den vergangenen Jahren aber hat sich dieser zu einer regelrechten Farm ausgewachsen, mit einer Anbaufläche von über einem Hektar und vier Gewächshäusern, verteilt über drei Blocks in der Nachbarschaft. Sogar eine Bienenzucht und Imkerei betreiben die Kapuziner.

Jeder zweite ohne Job

Und das mitten in Detroit, Motor City Detroit, wo Henry Ford einst das Fließband erfand. Detroit galt damals als Stadt der Zukunft. Tausende Migranten aus dem ländlichen Süden der USA sowie aus Europa oder Südamerika kamen für gut bezahlte Jobs in der Autoindustrie. Die Stadtplaner bauten breite Straßen, Art-Deco-Wolkenkratzer und großzügig angelegte Siedlungen für zwei Millionen Menschen. Heute leben hier keine 700.000 mehr. In einigen Vierteln ist jeder zweite ohne Job. Das Durchschnittseinkommen liegt weit unter der Armutsgrenze.

Foto: Martin Egbert
Foto: Martin Egbert

Blick auf den Demonstrationsgarten "Lafayette Greens", der auf dem Gelände eines ehemaligen Parkplatzes mitten in Detroit entstand.

Der lange Niedergang setzte nach dem Zweiten Weltkrieg ein und fand seinen Höhepunkt vor zwei Jahren in der Bankrotterklärung der Stadtverwaltung. Abgesehen von einigen wenigen Hauptverkehrsadern sind Detroits breite Straßen heute leer. Schwarze Eichhörnchen laufen über den löchrigen Asphalt, selten gestört von anderen Verkehrsteilnehmern.

Raum für Experimente

"Unsere Farm produziert nicht nur frische Lebensmittel, wir beleben die ganze Nachbarschaft", sagt Pater Smith. Das ist bitter nötig in einem Quartier, in dem die Straßenbeleuchtung nicht mehr funktioniert, keine Schulen und Arztpraxen mehr geöffnet sind und Polizei sowie Feuerwehr erst Stunden später erscheinen, nachdem sie gerufen wurden.

Viele der leer stehenden Häuser in East Side Detroit sind ausgebrannt, die Grundstücke, wie auch die zahllosen Gewerbebrachen, von Rankpflanzen und Schilf überwuchert. Kojoten, Rehe und Waschbären sind keine Seltenheit in dem Stadtgebiet voller ungeplanter Biotope.

Foto: Martin Egbert
Foto: Martin Egbert
Foto: Martin Egbert
Foto: Martin Egbert

Wo früher Schnaps verkauft wurde, werden heute Fische gezüchtet.

Der Niedergang eröffnet aber nicht nur Freiräume für die Natur: Künstler, Musiker, Studenten und junge Unternehmer finden in Detroit ihren Abenteuerspielplatz. Sie kaufen Häuser und Grundstücke für wenige hundert Dollar, mieten preiswerte Büros oder ziehen einfach so ein.

Das öffnet Räume für Experimente, weit über die individuelle Lebensgestaltung hinaus. Wo lässt sich besser ausprobieren, wie die Stadt der Zukunft aussehen könnte? Warum aus der Stadt nicht wieder Land machen? Oder zumindest aus Teilen von ihr? Gärten und Farmen sind in der ehemaligen Motor City häufiger zu sehen als funktionierende Autosalons, Motels, Shopping Malls oder Tankstellen. Auf fast zweitausend wird ihre Zahl geschätzt.

Nach einer Studie der Michigan State University könnte Detroit mit Stadtfarmen, Nachbarschaftsgärten und Gewächshäusern dreiviertel seines Gemüses und vierzig Prozent seiner Obstes selbst produzieren. Die Forscher machten mithilfe von Luftaufnahmen und städtischen Grundstücksdaten über 44.000 freie Parzellen mit einer Fläche von fast zweitausend Hektar aus. Wird Detroit also zur selbstversorgenden Stadt?

Foto: Martin Egbert
Foto: Martin Egbert

Das Gemüse aus den Gärten der Stadt wird auch auf dem Eastern Market, einem der größten Bauernmärkte in den USA verkauft.

Foto: Martin Egbert
Foto: Martin Egbert

Produkte mit dem Label "Grown in Detroit" sind hier beliebt.

Der Weg dorthin kann steinig sein. "Wir haben riesige Mengen Kompost gebraucht, um die Böden fruchtbar zu machen", erklärt Greg Willerer. Der ehemalige Lehrer ist einer von rund neunzig so genannten Marketgardenern in Detroit. Das sind Stadtfarmer, die nicht nur für den persönlichen Bedarf oder den einer sozialen Organisation produzieren, sondern für den Markt. Aber selbst ein so erfolgreicher Farmer wie Willerer, der als "Brother Nature" stadtbekannt ist, muss im Winter zusätzlich Geld mit Schneeräumen verdienen. Aber es geht ihm und den vielen anderen um mehr, als den Lebensunterhalt: "Wir müssen uns von der industriellen Nahrungsmittelproduktion befreien, von dem staatlich geförderten Anbau von Monokulturen und dem ungesunden Essen."

Kurzer Weg zum Verbraucher

Greg Willerer stellt seinen Kompost selbst her, unter anderem mit Dung aus dem Detroiter Zoo. Chemischen Dünger oder Pflanzenschutzmittel lehnt er ab. Regelmäßig muss er zudem die Schadstoffbelastung der Böden überprüfen lassen, die sich in den Wohnquartieren Detroits aber in Grenzen hält. "Unser Gemüse hat Bioqualität, eine Zertifizierung allerdings ist für uns zu aufwändig."

Dafür ist der Weg zu den Verbrauchern kurz. Zum Eastern Market im Stadtzentrum, einem der größten Bauernmärkte in den USA, braucht Willerer nur wenigen Minuten in seinem verbeulten Pick Up. Dort gibt es eine gut besuchte Abteilung mit Obst und Gemüse "Grown in Detroit". Zudem beliefert er einige Restaurants der Stadt, die vorzugsweise mit lokalen Produkten kochen.

Foto: Martin Egbert
Foto: Martin Egbert

Die Suppenküche der Kapuziner baut die Zutaten für ihr Essen selbst an.

Foto: Martin Egbert
Foto: Martin Egbert

Die breiten Straßen Detroits sind leer, viele Häuser wurden von ihren Bewohnern verlassen und verfallen.

Auch die gemeinnützige Organisation Central Detroit Christian (CDC) produziert Lebensmittel inmitten der ehemaligen Motor City, um sie zu verkaufen. Dadurch finanziert sie einen Teil ihrer Sozialprogramme, bei denen es unter anderem um gesunde Ernährung und Alphabetisierung geht. Neben Gärten und Gewächshäusern betreibt CDC einen Obst- und Gemüseladen und seit neuestem eine Fischzucht in einem ehemaligen Liquor Store. Die Community Gardens der Organisation aber sind zum Teil gescheitert. "Die Leute haben sich zwar Gemüse geholt, die Gärten aber nicht wie geplant gepflegt", erklärt Anthony Hatinger von CDC. Die Dekaden des Niedergangs und der Abhängigkeit von Sozialleistungen hätten viele in der Nachbarschaft jegliche Initiative und Selbstverantwortung genommen. Die ältere Generation der Afroamerikaner sei zudem nach Detroit gegangen, um dem Leben mit schlecht bezahlter Feldarbeit im ländlichen Süden zu entkommen, Rassentrennung und den immer noch lebendigen Erinnerungen an die Sklaverei. "Sie verbinden mit der Arbeit auf dem Feld nichts Gutes."

Angst vor Investoren

Anders läuft es im Cadillac Garden, im Südwesten der Stadt, am Rande einer hispanischen Nachbarschaft. Der Cadillac Garden befindet sich auf einem ehemaligen Parkplatz für GM-Mitarbeiter, eingezäunt von hohem Maschendraht. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen Lagerhallen, hinter denen eine Wüste aus Industriebrachen beginnt. An die Rückseite des Gartens grenzen Grundstücke mit verkommenen Holzhäusern an. Ein Kampfhund bellt in seinem Zwinger. In großen Boxen, einst für den Transport von Autoteilen gebaut, wachsen Chillies, Rosenkohl oder Tomaten. "Wir sind etwa vierzig Nachbarn, die den Garten pflegen; das Gelände und die Boxen hat uns ein Autozulieferer zur Verfügung gestellt, der noch nicht pleite gegangen ist", sagt Rosa Gutierrez und stopft ein Bündel Spinatblätter in ihren Jutesack. Viele ihrer Mitgärtner sind wie sie ältere Hispanics, die mit einer Rente von wenigen hundert Dollar auskommen müssen. Kostenlose Lebensmittel, noch dazu frisch geerntet, bereichern ihren Speiseplan und entlasten die Haushaltskasse. "Und die gemeinsame Arbeit macht uns Spaß."

Foto: Martin Egbert
Foto: Martin Egbert

Die Natur erobert sich die Flächen zurück, ungeplante Biotope entstehen in ehemaligen Wohngebieten.

Rettet also ausgerechnet urbanes Gärtnern die einstige Motor City? Seit neuestem investieren Anleger aus Europa und Asien in die preiswerten Immobilien Detroits. Auch prüfen große Agrarunternehmen, ob sie das Land in der Stadt nutzen wollen. Zumindest in Quartieren nahe Downtown sind die Grundstückspreise schon wieder gestiegen. Viele der Stadtfarmen sind deshalb in Sorge. Die Earth Works Farm der Kapuziner zum Beispiel befindet sich in einer solchen, eigentlich attraktiven Lage nahe dem Detroit River und der Innenstadt. Die neueste Entwicklung betrachtet Shane Bernado deshalb mit Sorge. "Alle sollen sich doch von der fruchtbare Erde ernähren können - und dafür müssen die Ressourcen gerecht verteilt werden ", sagt der Verantwortliche für die Suppenküche der Kapuziner. Die Earth Works Farm gibt ihrer Nachbarschaft zudem weit mehr, als kostenlose Mahlzeiten aus lokalen Zutaten. "Wir bringen die Menschen zusammen, sorgen für Jobs und Sicherheit und zeigen, wie man sein Leben selbst verantworten und sich aus eigener Kraft gesund ernähren kann", erzählt Bernado. Das sei viel mehr, als eine ökologisch ausgerichtete Stadtentwicklung.

Text: Klaus Sieg / Fotos: Martin Egbert

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung