Wahlverwandtschaften

Konservative Protestanten und Rechtspopulisten
Das Kreuz dient bei Pegidademonstrationen als Symbol, obwohl die meisten Teilnehmer konfessionslos sein dürften. Denn 80 Prozent der Dresdener sind es. Foto: dpa/Wolfgang Minich
Das Kreuz dient bei Pegidademonstrationen als Symbol, obwohl die meisten Teilnehmer konfessionslos sein dürften. Denn 80 Prozent der Dresdener sind es. Foto: dpa/Wolfgang Minich
Der konservative Protestantismus und der Rechtspopulismus sind nicht deckungsgleich, aber es gibt Beziehungen, stellt der Leipziger Professor für Religions- und Kirchensoziologie an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig Gert Pickel fest.

Mit dem Begriff Wahlverwandtschaft beschrieb der Soziologe Max Weber zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Beziehungen zwischen Kapitalismus und Protestantismus. Mit diesem Begriff wollte er vor allem darauf hinweisen, dass eine systematische Beziehung zwischen beiden Phänomenen besteht, diese aber nicht einfach in kausale Abhängigkeiten zu überführen sind.

Eine ähnliche Vorstellung ergreift einen derzeit gelegentlich mit Blick auf Teile des Protestantismus und einen Rechtspopulismus, der sich gerade gegen Mitglieder islamischer Glaubensgemeinschaften richtet. Politische Protestbewegungen wie Pegida in Dresden sind der sichtbare Auslöser für solche Anwandlungen. So entstand in Teilen der Bevölkerung der Eindruck, dass sich Positionen der Protestbewegung und konservativer Protestanten hinsichtlich der Rettung des christlichen Abendlandes und der Abwehr einer potenziellen kulturellen "Überfremdung" durch andere (religiöse) Sozialgruppen überschneiden. Speziell die bei den Demonstrationen verschiedener "-gidas" betonte Distanzierung vom Islamismus, die oft auf die ganze islamische Religion und ihre Angehörigen übertragen wird, nähren solche Vermutungen. Aber treffen sie zu?

Zuerst ist nüchtern festzustellen, dass sich Vertreter des Protestantismus - Laien oder kirchliche Bedienstete - auf beiden Seiten finden, bei Pegida und Antipegida. Die Spaltung zwischen Befürwortern und Gegnern der Ideen, die bei Pegidademonstrationen propagiert werden, zieht sich quer durch den Protestantismus. Daraus resultierende Konfliktpotenziale für eine Landeskirche liegen auf der Hand. Nun findet sich eine Polarisierung von politischen Auffassungen aber nicht nur in den Kirchen oder gar einer Landeskirche. Sie gibt es vielmehr in der ganzen Gesellschaft. Wenn zum Beispiel im Jahr 2010 mehr als die Hälfte der Bundesbürger negative Gefühle gegenüber Muslimen zum Ausdruck brachten oder sich 2012 nach dem Bertelsmannreligionsmonitor eine gleich große Gruppe vom Islam bedroht fühlte, handelt es sich nicht nur um ein religiöses oder kirchliches Problem. Dafür spricht auch, dass in Ostdeutschland die Zahl derer, die sich vom Islam distanzieren, höher ist, als in Westdeutschland, obwohl sich im Osten erheblich weniger tiefreligiöse Menschen und Christen finden lassen. So bekannten 2010 nach der Studie "Wahrnehmung von und Akzeptanz religiöser Pluralisierung in Europa" 58 Prozent der Westdeutschen, dass sie negative Gefühle gegenüber Muslimen hegen, während dies in Ostdeutschland 62 Prozent taten. Und Ende 2012 sahen 57 Prozent in Ostdeutschland eine Bedrohung vom Islam ausgehen, während dies in Westdeutschland 50 Prozent taten.

Was ist Rechtspopulismus?

Nicht nur Christen möchten das christliche Abendland verteidigen, sondern paradoxerweise auch viele Konfessionslose und Nichtreligiöse. Aber weisen konservativ eingestellte Christen eine größere Nähe zu rechtspopulistisch argumentierenden Gruppen und ihren Zielen auf?

Dazu ist es notwendig, die Frage zu beantworten: Was ist Rechtspopulismus? Zuerst einmal ist er nicht das gleiche wie Rechtsextremismus. Rechtsextremisten versuchen die bestehende gesellschaftliche Ordnung zu stürzen, um eine neue, undemokratische, in der Regel nationalistisch ausgerichteten Ordnung zu errichten. Die Unzufriedenheit mit dem aktuellen (demokratischen) System findet sich bei Rechtspopulisten zwar auch, aber der Wunsch nach einem radikalen Systembruch kommt seltener vor. Rechtspopulistische Forderungen gelten in der Regel einem Mehr an Ordnungseingriffen durch den Staat, einem Bekenntnis zu einem starken Nationalbewusstsein, dem Wunsch nach härteren Gesetzen oder der härteren Auslegung bestehender Gesetze und gelegentlich der Präferenz für einen ethnischen Nationalismus, der auf Abschottung gegenüber anderen Sozialgruppen (speziell ausländischen) gerichtet ist. Da gerade hier die Übergänge zwischen Akteuren und Ideen des Rechtspopulismus und des Rechtsextremismus fließend sind, lassen sie erstere in Gegensatz zu demokratischen Forderungen nach einer offenen und integrativen Gesellschaft geraten.

Neben seiner häufig national-konservativen ideologischen Position ist der Rechtspopulismus aber vor allem durch seinen Hang zu einfachen Thesen und plakativen Lösungen gekennzeichnet. "Populismus" bedeutet dabei, dem Volk nach dem Maul zu reden, holzschnittartige Thesen zu formulieren und Haltungen lautstark Gehör zu bringen, die vermeintlich in der Mehrheit der Bevölkerung verbreitet sind. "Endlich einmal" oder "das darf man doch einmal sagen" sind Statements, die zu hören sind. Dabei dient der Verweise auf die schweigende Mehrheit der Legitimation höchst eigener Interessen.

Im Traditionalismus vereint

Bemerkenswert ist, welche starken Reaktionen und welches Medienecho Demonstrationen mit rund 15.000 Beteiligten hervorrufen, obwohl es sich um Promilleanteile der Bevölkerung handelt. Und es erstaunt wie wenig auf die weit Brisanteres reagiert wird, zum Beispiel auf Umfrageergebnisse, die mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung als zumindest islamskeptisch ausweisen.

Konservative protestantische Gruppen finden Anknüpfungspunkte zum Rechtspopulismus über die Nähe zu bestimmten Inhalten. Auch sie vertreten explizit traditionelle Positionen, wenn es um Partnerschaft, Familie und die Gestaltung des persönlichen Lebens geht. So wie Homosexualität als anerkannte Lebensform eher abgelehnt wird, beherrschen traditionelle Familienmodelle das Wertebild. Diese Überschneidungen gelten sicher nicht für jeden konservativen Protestanten, aber oft bestehen diese inhaltlichen Nähen oder Wahlverwandtschaften. Doch diese Überschneidungen sind inhaltlich begründete Wahlverwandtschaften und bedeuten keine Deckungsgleichheit zwischen Rechtspopulisten und konservativen religiösen Gruppen im Protestantismus. Doch durch die thematischen Wahlverwandtschaften wächst die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Protestant, der sich diesen Wertvorstellungen verbunden fühlt, aktiv an entsprechenden Demonstrationen oder Unterschriftenaktionen beteiligt. Aber zwingend ist es nicht. Zuallererst ist "konservativ" ja nichts anderes als eine Bezeichnung für erhaltend und umfasst ein traditionelles Verständnis von Gesellschaft. Bedenklich wird diese Wahlverwandtschaft, wenn sich größere Gruppen in der Kirche finden, die mit Rückgriff auf die populistischen Thesen Diskurse verweigern und auf die strikte Abgrenzung gegenüber anderen religiösen Gruppen setzen. Natürlich haben auch solche Positionen ihr Recht, weil in einer Demokratie unterschiedliche Meinungen legitim sind. Aber problematisch wird es, wenn sie begrenzt reflektiert und mit Unversöhnlichkeit in Diskurse eingebracht werden. Dass kann natürlich auch auf der nichtkonservativen Gegenseite der Fall sein. Für einen offenen Diskurs, der die Gesellschaft weiterbringt, ist neben der Reflexion der eigenen Haltung auch die der Anderen notwendig. So kann man nicht auf Jürgen Habermas und sein Plädoyer zur Legitimität religiöser Elemente in der öffentlichen Diskussion verweisen - und sich durch Abschottungsstrategien der Offenheit des Diskurses entziehen. Und hier liegt das Dilemma von Gruppen, die andere religiöse Gruppen ablehnen und sich abgrenzen.

Instrumentalisierte Ängste

Stereotype und gruppenbezogene Vorurteile besitzen in rechtspopulistischen Argumentationsketten eine große Bedeutung. Sie mobilisieren aufgrund des abzulehnenden Gegenübers größere Teile der Bevölkerung, greifen verbreitete Ängste auf und instrumentalisieren sie für die Interessen der Rechtspopulisten. Dieses Vorgehen entspringt einer anderen Wahlverwandtschaft, der zwischen einer rechten ideologischen Positionierung und einer ethnisch-kulturellen Abgrenzung. Man entzieht sich der Information und Debatte über andere Gruppen und deren Probleme und pauschalisiert in der Zuschreibung von Problemen und Eigenschaften. Die darin liegende Problematik wird deutlich, wenn man sieht, wie unreflektiert islamkritische Parolen mit Haltungen zu Asylanten und Ausländern vermischt werden. Differenzierte Problemlagen werden weder aufgenommen noch diskutiert. Stattdessen wird ein Bedrohungsszenario entfaltet. Und die auf Erhalt der alten Ordnung ausgerichtete Komponente von konservativ wird dann zur Begründung für Abgrenzung bis hin zum Alltagsrassismus. Natürlich sind konservative Positionen zu gesellschaftlichen Fragen berechtigt, aber es ist zwingend, dass man mit dem signifikanten Anderen in einer modernen, pluralistischen Gesellschaft differenziert und offen umgeht. Umgekehrt legt man ja auch Wert auf die Anerkennung der eigenen Position.

Die Ergebnisse des Bertelsmannreligionsmonitors 2013 zeigen deutlich, dass der Faktor Religion bei den Diskussionen und Haltungen zu rechtspopulistischen Äußerungen eine Rolle spielt. Da hilft es dann nur begrenzt, auf eine allgemeine politische Unzufriedenheit zu verweisen und Äußerungen als nicht stark religiös begründet einzustufen. Die Relevanz des religiösen Elementes ergibt sich stärker aus der Zuschreibung auf einen gemeinsamen Gegenpart als aus der eigenen Zugehörigkeit. Die auszugrenzende Fremdgruppe, zumeist "der Islam" und "die Muslime", dient als negativ konnotierte Referenzgruppe, die den Zusammenhalt der eigenen Gruppe stärkt. Diese Abgrenzungsstrategie verwenden manche protestantische Gruppen aufgrund ihrer inhaltlichen Wahlverwandtschaft zu konservativen Haltungen der Rechtspopulisten vielleicht etwas stärker als andere Gruppen. Aber es ist kein exklusives Merkmal konservativer Protestanten. Dies wird deutlich, wenn man die Positionen der säkularen Mitbürger miteinbezieht. Sie empfinden alles Religiöse als fremd und gefährlich und grenzen sich davon ab.

Eine Kausalbeziehung, dass konservative protestantische Positionen den Rechtspopulismus hervorbringen, kann nicht einfach behauptet werden. Gleichwohl kann die Nähe in manchen Positionen - verbunden mit Unsicherheit und ethnischer Differenz - aber die Bereitschaft konservativer Protestanten fördern, rechtspopulistischen Thesen zu folgen und aufgrund einer traditionellen Werteausrichtung ihre Position mehr auf Ausgrenzung und Distanzierung auszurichten als auf Offenheit, Toleranz und Akzeptanz von Pluralismus.

Friedrich Wilhelm Graf: Ruhe, liebes Abendland

Gert Pickel

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