Die Öffnung nimmt nichts weg

Es spricht viel dafür, die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen
Foto: Norbert Neetz
Es zählt zu den Stärken des biblischen Menschenbildes, Menschen nicht auf biologische Merkmale zu reduzieren, denn eine Person ist mehr als ein Geschlecht.

Seit 14 Jahren können gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland ihre Partnerschaft eintragen lassen, sofern ihre Beziehung auf Verbindlichkeit und Verlässlichkeit gründet. Der Staat schuf 2001 mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz eine entsprechende Rechtsform. Homosexualität wurde dabei als eine mögliche Prägung von Menschen anerkannt, die zwischen zwei gleichberechtigten Partnern verantwortungsvoll gelebt werden kann. Über die volle Gleichstellung mit der Ehe wird indessen weiter gestritten: Mittlerweile ist durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes klar, dass Paare in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft steuerrechtlich und versorgungsrechtlich Ehepaaren gleichzustellen sind. Unterschiede gibt es aber weiterhin hinsichtlich der Terminologie und hinsichtlich des Adoptionsrechtes.

Die Wahrung des Unterschiedes wird in der Regel damit begründet, dass Ehe und Familie besonderen Schutz genießen, weil dort der natürliche Ort für die Zeugung von Kindern sei. Damit wird die natürliche, mit der Polarität der Geschlechter begründete Generativität als Wesenskern der Ehe festgeschrieben. Diese Argumentation ist im Prinzip biologistisch. Genau genommen müsste bei dieser Begründung auch all denen eine Ehe im Vollsinn verschlossen bleiben, bei denen natürliche Generativität beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen nicht gewährleistet ist.

Gute theologische Gründe

Ich plädiere dafür, Ehe so zu verstehen: als die partnerschaftliche, dauerhafte Verbindung von zwei, nicht aus einer Herkunftsfamilie stammenden Menschen, die verantwortlich füreinander da sind, und die prinzipiell offen ist, intergenerationell Verantwortung zu übernehmen, natürlich für Kinder, aber auch für Eltern oder andere Verwandte des Partners.

Dafür gibt es gute theologische Gründe. Es zählt zu den Stärken des biblischen Menschenbildes, Menschen nicht auf biologische Merkmale zu reduzieren. Eine Person ist mehr als ihr Geschlecht. Und eine Institution ist um der Menschen willen da und nicht der Mensch um der Institution willen. So verstanden ist Ehe eine Institution, die Menschen hilft, ihre Liebe in der beiden Partnern zukommenden Würde in gegenseitiger Fürsorge und Verantwortung zu leben. Dies impliziert übrigens auch - um einem immer wieder geäußerten Einwand gleich zu widersprechen - eine an der personalen Würde orientierte Ablehnung von Polygamie.

Fürsorge entscheidend

Wird Ehe so verstanden, dann ist sie nicht in der der Generativität begründet, aber sehr wohl generationsoffen. Dies gilt trotz bleibender Unterschiede zwischen Frau und Mann auch für gleichgeschlechtliche Paare. Diese übernehmen nicht nur Verantwortung für Eltern und Verwandte, sondern auch für Kinder. Es gibt nicht wenige gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern. Und es ist keineswegs zu erkennen, dass Kinder sich in Familien mit gleichgeschlechtlichen Eltern schlechter entwickeln. Soweit erkennbar, ist für die Entwicklung der Kinder nicht die Zweigeschlechtlichkeit der Eltern entscheidend, sondern die Fürsorge, Stabilität und Liebe, die sie erfahren. Das gesellschaftliche Umfeld bietet den Kindern für ihre individuelle Orientierung die nötige Vielfalt an männlichen und weiblichen Identifikationspersonen. Dies zeigt auch ein Blick auf Kinder alleinerziehender Eltern. Die Öffnung der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare nimmt der Ehe nichts weg, wie manche fürchten. Sie unterstreicht vielmehr den besonderen Wert der Ehe. Es ist zudem ein entscheidender Beitrag, die leidvolle Geschichte der Diskriminierung homosexueller Menschen zu beenden. Und schließlich: Da die kirchliche Trauung nach evangelischem Verständnis eine Segnung anlässlich einer Eheschließung ist, nicht mehr und nicht weniger, kann auch die Segnung eines gleichgeschlechtlichen Paares künftig Trauung genannt werden.

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Volker Jung

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Volker Jung

Volker Jung (geboren 1961) studierte Theologie in Bielefeld-Bethel, Heidelberg und Göttingen. Seit 2009 ist er Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Er gehört seit 2015 dem Rat der EKD an und ist seitdem auch Vorsitzender des Aufsichtsrats des Gemeinschaftswerkes der Evangelischen Publizistik in  Frankfurt/Main.


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