Rolle rückwärts

Neue Witschaftsethik
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Wenn es um die Wirtschaft geht, müssen wir über unser Bild vom Menschen reden. Allein wie Oermann dies tut, enttäuscht.

"Eine protestantische Wirtschaftsethik" verspricht der Untertitel dieses Buches, das die gekürzte und aktualisierte Fassung der Habilitationsschrift von Nils Ole Oermann ist. Der Autor bietet aber keine komplette Wirtschaftsethik, sondern versucht, eine spezifisch protestantische Perspektive wirtschaftsethischen Nachdenkens zu begründen.

Dabei sind Oermann besonders zwei Themen wichtig: zum einen, dass immer nur Menschen moralfähig seien – keine Institutionen oder Systeme. Darum frage eine protestantische Ethik nach der Verantwortung des Einzelnen, der nach evangelischem Verständnis zur Freiheit berufen sei. Den ethischen Blick vornehmlich auf Systeme und Strukturen zu richten, beargwöhnt Oermann als Entlastungsstrategie: Kein Verantwortlicher soll sich hinter Strukturen verstecken dürfen.

Zum anderen ist es Oermann wichtig, dass eine evangelische Ethik nicht eigene Forderungen aufstellt, sondern eine bestimmte anthropologische Perspektive in die ethische Urteilsbildung einbringt: Jeder ökonomischen Theorie liege ein Bild vom Menschen zu Grunde, oft aber ein zu reduktionistisches. Theologie könne den Menschen besser verstehen und damit helfen, die ökonomische Wirklichkeit adäquater zu erfassen.

"It‘s the anthropology, stupid", könnte man sagen. Wenn es um die Wirtschaft geht, müssen wir über unser Bild vom Menschen reden. Das ist ein guter und wichtiger Punkt. Allein wie Oermann ihn ausführt, enttäuscht: Der Theologe hat nämlich nur Martin Luther im Gepäck und mit ihm die Einsicht, dass jeder Mensch nach einem letzten existenziellen Ziel strebe. Nun gut, aber müsste man nicht auch klären, wie sich Sozialität und Individualität des Menschen zueinander verhalten, welche Bedeutung Kooperation oder Konkurrenz für sein Leben haben, wie Menschen menschlich arbeiten und wie sie angemessen die Produkte der Arbeit genießen können? Hätte eine zeitgemäße Schöpfungstheologie unter Aufnahme von Einsichten aus vielen anderen Disziplinen dazu nichts zu sagen?

Und müsste man sich dann nicht auch mit dem Bild des Menschen, wie es in den Wirtschaftswissenschaften beschrieben wird, ausführlicher auseinandersetzen? Bei Oermann liest man, dass Adam Smith einem "gesunden self-interest" und nicht einer "exzessiven self-love" das Wort geredet habe. Diese Problembeschreibung wird der zentralen Stellung des Selbstinteresses und den scheinbar endlosen Wünschen des Menschen in der ökonomischen Theorie nicht gerecht.

Am Ende seines Buches will Oermann an einem Beispiel zeigen, "wie stark das individuelle Handeln in der Lage ist, ein ganzes Unternehmen als System zu verändern, und zwar weniger aus den systemintrinsischen Anreizen oder normativen Vorgaben, sondern aufgrund persönlicher Motive". Dazu wählt er die Rolle von Edson Mitchell beim Aufbau des Investmentgeschäfts der Deutschen Bank Ende der Neunzigerjahre. Es ist wenig erstaunlich, dass der Chef den Stil dort prägte.

Aber das klärt noch nicht, ob Mitchell, wie Oermann schreibt, das "Produkt des mikro- und makroökonomischen Spielfelds" war oder aufgrund persönlicher Motive agierte. Und es belegt nicht die These, dass es mehr auf individuelle Verantwortlichkeit ankomme als auf einen vernünftigen Systemwandel. Und: Wenn die Deutsche Bank angeblich "wenig mehr ist als die Summe der Handlungen und Entscheidungen von zwanzig Menschen wie Mitchell", was sagt das über die Verantwortlichkeit der vielen anderen Deutschbanker aus? Verschwindet deren Verantwortung nicht hinter der imaginierten Monstrosität von Mitchell und Kollegen? Nein, die Rolle rückwärts zum anständigen Individuum in der Wirtschaftsethik überzeugt nicht.

Nils Ole Oermann: Anständig Geld verdienen? Herder Verlag, Freiburg 2014, 392 Seiten, Euro 12,99.

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Christoph Fleischmann

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