Manch einer hat auch schon einmal die Erfahrung gemacht, dass der gerade noch im Urlaub so bezaubernde Landwein zu Hause enttäuscht. Viele Weine verlieren fernab ihres Terroirs an Faszination. Was mit Gemälden und Skulpturen geschieht, wenn sie in fremder Umgebung gezeigt werden, ist gerade in der Ausstellung "Verzauberte Zeit" in der Kunsthalle Hamburg zu erleben. Die dort gezeigten Werke wurden eigens für die Ausgestaltung eines stattlichen Bürgerhauses in der Schweiz gesammelt und schmückten dessen Räume jahrzehntelang. Für ihre "Villa Flora" in Winterthur erwarb das Ehepaar Hedy und Arthur Hahnloser-Bühler drei Jahrzehnte lang überwiegend postimpressionistische Kunst. Druckgrafiken, Gouachen, Ölbilder und Bronzeskulpturen bildeten gemeinsam mit Haus und Garten ein mondänes Gesamtkunstwerk. Sogar über Badewanne und Bidet hingen Originale.

Weil das spätere Privatmuseum aber seit 2014 wegen fehlender Finanzen geschlossen ist, bot sich die Gelegenheit, die Sammlung auf Tournee zu schicken. So werden die Arbeiten Cézannes, Van Goghs, Bonnards, Manguins, Hodlers, Redons, Vallottons und weiterer Künstler nach Hamburg auch in Paris, Halle und Stuttgart gezeigt werden.

Wie ist es damit nun in der Kunsthalle? Als sollte der Betrachter quantitativ überwältigt werden, drängen sich die rund zweihundert Exponate nebeneinander. Zwar zeigt sich, dass viele Werke ohne den dekorativen Charme, den sie in der "Villa Flora" entfalteten, verblassen. Sie wirken wie expatriierte Landweine. Doch wie "Große Gewächse" an jedem Ort faszinieren, gibt es auch hier beeindruckende Meisterwerke. Dazu zählen die mystischen Kabinettstücke (zwischen 1875 und 1912) Odilon Redons, Felix Vallottons entblößendes "Die Weiße und die Schwarze" (1913) und das bodenlose "Damespiel in Amfréville" (1906) von Eduard Vuillard. Singulär sind drei Gemälde Vincent Van Goghs. Wer sich auf sie einlässt, verlässt den musealen Zauberwald. Vergleicht man Van Goghs wildes "Fest des 14. Juli (1886) in Paris" mit der gleichfalls gezeigten, zwanzig Jahre später entstandenen braven Darstellung des französischen Nationalfeiertags durch Albert Marquet, wird der außerordentliche Unterschied deutlich. Wirken bei dem Franzosen die Trikoloren wie bunte Papierschnipsel in einem Miniaturwunderland, stürzen im Bild des Niederländers unbändig-überwältigende Farbkaskaden herab. Wer sich zudem in die Farbstrudel seiner "Zwei abgeschnittenen Sonnenblumen" (August-September 1887) begibt, wird in einen schwindelerregenden wirbelnden Kosmos hineingezogen. Das dritte Bild Van Goghs ist eine seiner Darstellungen des "Sämanns" (Oktober 1888). In keiner anderen Fassung ist der Säer so einsam wie hier. Dominiert sonst seine wuchtige Gestalt vor gleißend-untergehender Sonne, ist er in dieser wolkenverhangenen Version nur ein Teil der Natur - "klein und vage", wie Van Gogh schrieb. Beherrscht von den aufgewühlten Furchen des Ackers führt kein Pfad zu ihm. Zeitlebens blieb Van Gogh ein protestantischer Prediger. Der Sämann verkörperte für ihn die Sehnsucht nach der Unendlichkeit. Er symbolisierte ewige Wiederkehr und Neubeginn des Lebens. Er war wie Jesus, der als Sämann des Wortes aufs Feld ging, um Korn zu streuen, aber Vögel fraßen, Sonnenglut versengte oder Dornen erstickten die Saat. Doch ein Teil fiel auf guten Boden und brachte Frucht. Der "Sämann" steht für die vergeblichen Mühen des Alltags, aber auch für die Hochzeiten des Gelingens. Für ihn lohnen weite Wege.

Information

Die Ausstellung "Verzauberte Zeit" in der Hamburger Kunsthalle ist noch bis 16. August 2015 zu sehen. Katalog 144 Seiten, in der Ausstellung Euro 17,90.

Auf einer schräg nach oben gestellten Holzfläche, die an ein Schiffsinneres erinnert, sitzen und gehen sieben Personen. Mühsam bewahren sie das Gleichgewicht. Um nicht abzustürzen, halten sie sich an Holzzapfen fest und rutschen doch nach unten. Gelegentlich ächzt und knarrt das Holz. Wir sind in Rugbüll, dem "nördlichsten Polizeiposten Deutschlands", sind in Siegfried Lenz' Roman "Deutschstunde" im Jahr 1943. Im Hamburger Thalia-Theater wurde nur knapp zwei Monate nach Lenz' Tod am 6. Oktober 2014 sein Roman in der sorgsam genauen Regie des Niederländers Johan Simons aufgeführt.

"Deutschstunde" ist Siegfried Lenz erfolgreichster Roman, er erschien 1968. Am Beispiel Jens Jepsens, des Dorfpolizisten, wird die Verquickung von Pflicht und Schuld im Nationalsozialismus dargestellt. Jepsen hat ein 1943 ausgesprochenes Malverbot gegen den expressionistischen Maler Max Ludwig Nansen (der "reale" Maler Emil Nolde diente Lenz als Vorbild) zu überwachen. Jepsen, seit seiner Jugend mit Nansen befreundet, hat keinerlei Zweifel an seinem Auftrag und erfüllt ihn gewissenhaft. Seinen Sohn Siggi versucht er zu Spitzeldiensten zu bewegen, doch dieser beschließt seinem Vater nicht zu gehorchen ...

Die Dramatisierung von bekannten Romanen ist seit einigen Jahren an den deutschen Staatstheatern angesagt: Ob Cervantes "Don Quijote", Dostojewskijs "Schuld und Sühne", Melvilles "Moby Dick", Thomas Manns "Buddenbrooks", Kafkas "Prozeß" - den heutigen Intendanten und Regisseuren ist inzwischen jeder große epische Stoff recht, um die theatralischen Fähigkeiten ihrer Bühne unter Beweis zu stellen. Auch kann man so das Publikum eher locken als mit neuen Stücken unbekannter Autoren. Natürlich können aus den umfangreichen Romanen dann nur handlungsrelevante Teile verwendet werden, die reflektierenden Passagen werden weggelassen. Und hier beginnt das Problem: Denn eigentlich setzt die Dramatisierung von Romanen ihre Kenntnis voraus. Die aber ist gerade bei Jüngeren oft nicht mehr gegeben. Es werden zwar dicke Fantasy-Romane verschlungen, aber "Moby Dick" oder die "Brüder Karamasow" haben sie in der Regel nicht gelesen. Werden sie hinterher zum Roman-Original greifen? Eher nicht. Also, wäre eine Folgerung, dann ist es doch gut, dass sie die großen Stoffe, neben den Genannten auch Homers "Ilias" oder das Alte Testament wenigstens so kennenlernen. Die andere wäre der Vorwurf, das sei ein theatralischer Ausverkauf. Nicht selten aber gelingt auch ein Drittes - die Dramatisierung legt eine Sicht frei, die bei der Lektüre vielleicht nicht so deutlich wird.

So geschehen bei Lenz' "Deutschstunde" in Hamburg: Gestrichen sind die Gefängnisszenen und die Landschaftsschilderungen, Stimmungsgemälde von Meer, Deich und Wiesen, die Lenz so meisterlich beherrscht. Aber das kommt dem eigentlichen Handlungskern zugute. Die Geschichte stellt sich in der Theaterfassung als kleinbürgerliches Familiendrama in schrecklicher Zeit heraus, in dem das Ehepaar Jepsen das Verhalten seiner Kinder und damit die Welt nicht mehr begreift. Wie können sie uns das antun? Diese Frage stellen Jepsen und seine schon mal rassistisch argumentierende Frau. Sie sind autoritäre Charaktere, die die Anordnungen des Regimes nicht anzweifeln. So wird einem noch mal deutlich: es gab diese Normalität des Lebens, in der sich Eltern über die Tochter aufregen, weil sie sich von dem Maler Nansen als "Wellentänzerin" mit entblößter Brust malen lässt, aber das Grauen ringsum nicht wahrnimmt. Und die Kinder, die das erleiden, nehmen ihre Traumata mit in die Nachkriegszeit.

Informationen

Die nächsten Aufführungen der "Deutschstunde" finden am 28. Februar 2015 um 14 und 20 Uhr statt.

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Am Potsdamer Pfingstberg, in einem Viertel mit großbürgerlichen Villen steht auf Höhe der Großen Weinmeisterstraße Nummer 45 ein mannshoher Findling aus Granit. Er trägt die Aufschrift "Erleuchte Herr Ihre Seelen" und weist auf die besondere Bedeutung des Anwesens hin: "Von diesem Ort in Potsdam führt Dr. Johannes Lepsius (1858-1926) seinen Kampf gegen den Völkermord an den Armeniern." In dem umgebauten Herrenhaus lebte von 1908 bis 1926 der evangelische Theologe mit seiner Familie. Als "Forschungs- und Begegnungsstätte" hält das Lepsiushaus heute die Erinnerung an diesen außergewöhnlichen Menschen wach.

"Im späten 19. Jahrhundert war Lepsius eine europaweit bekannte Persönlichkeit", erläutert der Leiter des Hauses, Rolf Hosfeld, der den Besucher nach Voranmeldung führt (siehe auch zz 11/2013). In der unteren Etage erzählt eine Dokumentation mit historischen Fotografien und Original-Texten vom Leben und Wirken des Theologen, der sich dem Schicksal der Armenier im Osmanischen Reich widmete. Lepsius hatte zwei Jahre als Hilfsprediger in Jerusalem gearbeitet, 1886 eine Pfarrstelle im mansfeldischen Friesdorf angenommen und brach 1896 zu einer Reise in die Türkei auf. Hier erfährt er von den Massakern an den Armeniern und macht mit Zeitungsartikeln, Vorträgen und seinem Buch "Armenien und Europa" die Weltöffentlichkeit auf ihr Schicksal aufmerksam. Im ostanatolischen Urfa gründet er den ersten Zweig seines Hilfswerks, das den Witwen und Waisen Überlebenshilfe bietet. Als ihm die evangelische Kirche den für seine Hilfstätigkeit benötigten Urlaub verwehrt, kündigt er.

"Heute würden wir ihn als Chef einer Nichtregierungsorganisation bezeichnen", erläutert Hosfeld beim Rundgang. 1915 reist Lepsius ein zweites Mal in das Osmanische Reich und veranstaltet nach seiner Rückkehr eine Pressekonferenz über die Situation der Armenier. Doch im Deutschen Reich will man nichts vom Treiben des türkischen Bündnispartners wissen. Also verfasst Lepsius in Potsdam einen 300-seitigen Bericht "Über die Lage des Armenischen Volkes in der Türkei". 1916 verteilt er illegal 20.000 gedruckte Exemplare, sendet sie in 12.000 Päckchen verpackt an die Superintendenten der evangelischen Kirche, an ausgewählte Persönlichkeiten und an die Redaktionen der deutschen Tageszeitungen. Kurz danach beschlagnahmt die Militärzensur die Restbestände, Lepsius flieht nach Holland. "Er war eine Art Ein-Mann-Bekennende-Kirche", meint Hosfeld.

Neben der Ausstellung und einem kleinen Gedenkraum beherbergt das Lepsiushaus in der oberen Etage eine umfängliche Bibliothek, einige Arbeitsräume und den gesamten privaten Nachlass von Lepsius. Seine Originalberichte, Schriften und Zeitschriften sind durch Findbücher systematisiert und bieten Stoff für wissenschaftliches Arbeiten. Hosfeld und den Vereinsmitgliedern, die das Haus tragen, ist daran gelegen, dass "Johannes Lepsius bekannter wird, denn ihn zeichnet eine christlich ethische Lebensführung aus, die vorbildhaft ist".

Neben dem Völkermord an den Armeniern beschäftigt sich das Lepsiushaus in einem Tagungs- und Kongressprogramm mit dem Dialog der Religionen, Fragen der Menschenrechte und der Gewaltpolitik. In diesem Jahr, wenn sich das Gedenken im April zum 100. Mal jährt, wird eine weltumspannende Aktion organisiert. "Am Gedenktag werden an vielen Orten der Welt armenische Autoren in ihren jeweiligen Landessprachen gelesen", erklärt Hosfeld. Doch wer Johannes Lepsius kennen und verstehen lernen will, kommt an einem Besuch in Potsdam nicht vorbei.

Informationen

Lepsiushaus Potsdam, Große Weinmeisterstraße 45, 14469 Potsdam. Telefon (0331) 581 645 11 oder 0176 765 276 24.

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