Vom Winde verweht

Warum die Friedhofspflicht nötig ist
Der Wunsch, die Friedhofspflicht zu lösen, markiert einen weiteren Schritt auf dem Weg in eine hoch individualisierte Gesellschaft, in der das Recht auf Selbstbestimmung alles andere überragt.

Wohin mit den Toten? Diese Frage muss jede Gesellschaft für sich beantworten. In Deutschland regeln die Bestattungsgesetze der Bundesländer den Umgang mit den Verstorbenen. Es herrscht so genannte Friedhofspflicht, das heißt, Beisetzungen erfolgen auf Friedhöfen, eigens dafür ausgewiesenen Wäldern und Wiesen, oder, mit einer Ausnahmegenehmigung, auf See. Nun hat der Bremer Senat die Regelungen gelockert: Die Asche Verstorbener kann auf Privatgrundstücken verstreut werden. Dazu muss der Verstorbene zu Lebzeiten eingewilligt haben, er muss eine Person für die "Totensorge" benannt haben und diese muss an Eides statt versichern, auf das Ausstreuen bei "starken Windströmungen" zu verzichten. Auch die Grenze zum Nachbargrundstück muss eingehalten werden, und eine Ausbringung der Asche auf dem Balkon wird nicht toleriert. Der Grund: Regen könnte den Toten in für ihn nicht vorgesehene Stockwerke spülen.

Was sich wie Satire liest, ist leider bittere Realität. Der Wunsch, die Friedhofspflicht zu lösen, markiert einen weiteren Schritt auf dem Weg in eine hoch individualisierte Gesellschaft, in der das Recht auf Selbstbestimmung alles andere überragt.

Die Kirchen befürchten nun eine Privatisierung von Tod und Trauer. Mit Recht. Der Mensch braucht Orte, um trauern zu können. Der Friedhof ist der Ort, wo ein jeder seine Verstorbenen in Gedanken lokalisiert, die sprichwörtlich letzte Ruhestätte verortet - lebt er auch noch so weit entfernt. Der Friedhof konfrontiert den Menschen außerdem mit der eigenen Endlichkeit und schlägt eine Brücke zwischen Leben und Tod. Und er ist das sichtbare Zeichen, das Problem des Sterbenmüssens zu verwalten. Hier hinterlässt der Mensch, so er es denn will, seinen Namen, an einem Ort, der allen Verwandten und Freunden offen steht. Doch was passiert, wenn bei der Ausstreuung von Asche auf Privatgrundstücken der eine dem anderen den Zugang verwehrt, zum Beispiel bei Erbstreitigkeiten oder wenn das Haus verkauft wird?

Kritiker werden nicht müde zu betonen, dass die einst aus Gründen der Hygiene in Preußen verordnete Friedhofspflicht ein Geschäft für Kommunen und Kirchengemeinden sei. Doch mit der Änderung der Gesetze ist Tür und Tor geöffnet, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich noch stärker öffnet. Wer garantiert, dass, wenn sich die gesetzliche Möglichkeit bietet, durch die Aufhebung der Friedhofspflicht Geld zu sparen, es nicht auf dem Rücken der Menschen mit geringem Einkommen ausgetragen wird? Werden sich Reiche weiterhin große Gräber und prächtige Grabsteine leisten können, während die Asche von Menschen mit geringem Einkommen einfach verstreut wird?

Keine Frage, die deutsche Bestattungskultur hat sich von jeher gewandelt. Sie hält Schritt mit gesellschaftlichen Veränderungen und spiegelt diese. Deshalb ist auch der Friedhof kein unveränderlicher Ort, sondern eine gesellschaftliche und kulturelle Institution, die sich weiterentwickelt. Doch ohne die Friedhofspflicht ginge der gemeinschaftliche Raum verloren, den Tod und Trauer benötigen.

Thomas Krüger: Verstreut unter dem Rosenstrauch

Kathrin Jütte

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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