Schwacher Trost

Warum es momentan so viele Kirchenaustritte gibt
Warum überhaupt diese vielen Kirchenaustritte: 2014 gab es keinen Missbrauchsskandal wie 2010, keine Tebartz-van-Elst-Affäre wie 2013? Es liegt an den Briefen...

Mitten im Sommer gab es eine schlechte Nachricht: "Die beiden großen Kirchen in Deutschland haben 2014 mehr Mitglieder verloren als in den Jahren zuvor" verlas der Sprecher der 20-Uhr-Tagesschau. Die Details der 30-Sekunden-Meldung klangen nicht gut - besonders für die evangelische Kirche, denn - so hieß es weiter - die katholische Kirche habe 230.000 Mitglieder weniger als 2013 aber die evangelische gar 410.000! Der Tagesschausprecher endete mit dem kryptischen Satz: "Während der Schwund bei den Katholiken besonders auf Austritten basiert, gab die evangelische Kirche nicht zu erkennen, wie hoch die Anzahl von Austritten und Todesfällen sind."

Dass die Katholiken weniger Mitglieder verloren haben, liegt an der demographischen Struktur der katholischen Bevölkerung in Deutschland. Wer die katholische Statistik mit der des Vorjahrs vergleicht, dem fällt auf, dass die Zahl der katholischen Bestattungen signifikant gesunken ist und zwar um über 12.000. Dadurch kann ein Teil der 217.716 Austritte - fast 50.000 mehr als 2013 - kompensiert werden. Solche Differenzierungen sind bei den EKD-Zahlen nicht möglich, da bisher nur die Gesamtverluste veröffentlicht wurden. Deren Zahl ist mit 410.000 deutlich höher als bei den Katholiken, und es ist davon auszugehen, dass auch die Austrittszahlen die der Katholiken deutlich übertreffen.

Doch warum überhaupt diese vielen Kirchenaustritte: 2014 gab es keinen Missbrauchsskandal wie 2010, keine Tebartz-van-Elst-Affäre wie 2013? Kaum waren die Zahlen veröffentlicht mangelte es nicht an guten Ratschlägen, zum Beispiel, die Kirche müsse näher bei den Menschen sein, die Kirche solle sich mehr politisch engagieren oder weniger, und, und, und ... Sicher, man kann immer vieles besser machen, doch eine wichtige Erkenntnis aus jahrzehntelanger Erforschung der Kirchenmitgliedschaft ist, was jüngst der Religionssoziologe Detlef Pollack so ausdrückte: "Es kommt gar nicht so sehr darauf an, was die Kirchen tun, wie sie öffentlich präsent sind, was ihre Repräsentanten sagen. Die Zahl der Austritte macht sich meist an Faktoren fest, die gar nichts mit den Kirchen zu tun haben." (Süddeutsche Zeitung, 7. August). Das ist auch bei den vielen Austritten des Jahres 2014 so: Sie kommen daher, dass viele Kirchenmitglieder durch die automatische Abführung der Kirchensteuer auf Kapitalerträge verunsichert sind. Das ist der Grund dafür, dass 2014 auch die evangelische Kirche sehr viel mehr Kirchenaustritte zu verzeichnen haben wird als 2013 - nichts anderes.

In diesem Zusammenhang gibt es jetzt eine neue Nachricht und zwar im "Bundesgesetzblatt 2015; Teil 1; Nr. 32" vom 31. Juli: Dort ist im Artikel 5, Absatz 4 zu lesen, dass der entsprechende Paragraph des Einkommensteuergesetzes so geändert wurde, dass diejenigen, die Kapitalerträge haben, nur einmal auf die Verpflichtung zum Kirchensteuerabzug hinzuweisen sind. Das heißt: Anders als lange befürchtet muss der ominöse Brief der Banken, der seit Ende 2013 die Austrittswelle in beiden großen Kirchen ausgelöst hat, nicht mehr jedes Jahr an alle verschickt werden, sondern nur einmal, wenn jemand ein Bankkonto eröffnet - und dann nicht wieder. Insofern scheint die Gefahr gebannt, dass sich die hohen Austrittszahlen nun Jahr für Jahr wiederholen. Eine gute Nachricht, wenn auch ein schwacher Trost!

Reinhard Mawick

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