Kein Nadelöhr

Wie Reichtum der Welt schadet
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Jonathan Swift, dessen 350. Geburtstag sich jüngst jährte, schlug seinerzeit zur Armutsbekämpfung vor, Kinder von Armen als Lebensmittel zu vermarkten. Im Umkehrschluss heute „Eat the rich!“ zu fordern, wäre aber keine Lösung. Dafür seien sie schlicht zu wenige, besäßen jedoch viel zu viel, unverdient und somit auf Kosten der andern, meint der englische Sozialwissenschaftler und Politökonom Andrew Sayer.

Wie deren Reichtum zudem der Welt und ihrer Zukunft schadet, schildert sein Buch Warum wir uns die Reichen nicht leisten können. Er widerspricht darin fundiert dem herrschenden Neoliberalismus und dessen tönernem Gefasel von „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“: „Was immer Sie gern glauben würden, die Reichen sind größtenteils reich auf Kosten anderer.“

Der 79 Milliarden Dollar schwere Warren Buffett beschreibt das so: „Es herrscht Klassenkampf, aber es ist meine Klasse, die ihn führt, und wir sind dabei, ihn zu gewinnen.“ Buffett ist einer jener 80, die zusammen so viel wie die 3, 5 Milliarden der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung besitzen, wobei sich die Relation täglich weiter zu deren Ungunsten ändert – ganz legal, wie die jüngst veröffentlichten „Paradise Papers“ verrieten. Steuervermeidung und Tricks des deregulierten Finanzmarktes fluten den ohnehin Reichen weiter die Konten.

Man mag einwenden, das nähme doch jeder mit, wenn er könnte – werde er aber nie, kontert Sayer. Das System lässt es nicht zu, wie er mit Hilfe vieler Beispiele gut nachvollziehbar demonstriert. Doch der Teufel steckt im Grundsätzlichen: Die Ökonomie ist ein soziales Geschehen, in dem Menschen Güter und Dienstleistungen tauschen. Das Geld, das sie dafür bekommen, enthält das Versprechen, dafür nun wiederum andere Güter oder Leistungen zu bekommen.

Selbstredend müssen auch die erst geschaffen oder erbracht werden. Bezieht nun jemand Geld einfach nur dafür, dass er schon ganz viel davon hat oder Immobilien, für die er Miete kassiert, ist dieses Einkommen unverdient. Er hat gar nichts dafür geleistet, aber profitiert – und das Versprechen auf dieses Geld müssen andere einlösen.

Das sei ungerecht, wirtschaftlich unvernünftig und produziere Krisen, wie Sayer süffisant zur Bankenkrise von 2007 ausführt, als die entfesselten Gierschlunde erst kräftig abkassierten, sogar den Absturz lukrativ nutzten, aber die Kosten des Desasters vergemeinschafteten und schließlich auf die Gesellschaft abwälzten. „Sozialismus für Banken“, lästert er, und zeigt an weiteren Fällen, wie der Neoliberalismus Schaden anrichtet, indem er auf Kosten der Vielen Wenige immer reicher macht – eine Dynamik, die mit der drängenden Last des Klimawandels übrigens unmittelbar zusammenhänge.

An Gegenmitteln nennt er etwa eine brachial progressive Besteuerung, eine strikte Finanzmarktregulierung, die (Wieder-) Verstaatlichung basaler Infrastrukturbereiche oder genossenschaftlich organisierte Betriebe. Das ist anregend, doch noch wichtiger sind seine Analyse und die Schlüsse daraus. Die Faust wird so mancher bereits beim Lesen nach oben recken. Hier bekommt er starke Argumente dafür. Sayer hält sich strikt an die Vernunft, lässt sich aber von dem bei uns wenig bekannten religiösen Sozialisten R. H. Tawney inspirieren. Der brachte die aktuelle Krise schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf den Punkt: „Was nachdenkliche Reiche das Problem der Armut nennen, nennen nachdenkliche Arme mit gleichem Recht das Problem des Reichtums.“

Sayer zeigt detailliert und verständlich, worin es besteht – und gönnt sich nur selten Schärfen, obwohl es dafür Anlass genug gäbe. Er bleibt nüchtern. So zählt allein das Gewicht seiner Argumente. Statt seiner Thesen hätte Luther im 500-Jahre-Zeitsprung heute wohl eher dieses Fanal geschrieben – wofür es aber auch gute geistliche Gründe gibt: Im entfesselten Neoliberalismus hat der Durchmesser der Nadelöhre für Reiche schließlich längst Pipelinegröße erreicht.

Udo Feist

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