Gut gehalten

Das kulturelle Erbe
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Wer diese Texte liest, staunt über die Reflektiertheit der Ausführungen, das feine Zusammenspiel von Geschichtsschreibung und theologischer Deutung, die Übereinstimmung im Grundsätzlichen wie die vielen Unterschiede im Einzelnen.

Die Selbstreflexion höret niemals auf – auch nach dem großen Jubiläumsjahr bleibt es dem Protestantismus aufgegeben, sich über sich selbst Rechenschaft abzulegen. Das aber ist nicht mit binnenkirchlicher Selbstbeschäftigung zu verwechseln, sondern ein exemplarischer Fall moderner Selbstbestimmung und Selbstorientierung vor dem Horizont des eigenen kulturellen Erbes. Das Reformationsjubiläum hat in seinen gelungenen Hervorbringungen gezeigt, welch ein kreatives kulturelles Potential in der Selbstdeutung steckt. Allerdings war es sein größtes Defizit, dass die Systematische Theologie fast keinen Beitrag hierzu geliefert hat. So als gäbe es für die heutige Theologie dazu nichts zu sagen.

Zum Glück wird dieses Defizit dadurch aufgewogen, dass es eine ganze Reihe anspruchsvoller und immer noch anregender Texte aus der jüngeren Theologiegeschichte gibt, die zu lesen sich immer noch lohnt. Ein verdienstvoller und nützlicher Sammelband hat einige besonders wichtige zusammengestellt – für die eigene Lektüre oder besser noch für den universitären Unterricht. Dass alle Beiträge aus der Tradition des aufgeklärten Protestantismus und der liberalen Theologie stammen, verdankt sich keinem positionellen Vorurteil der Herausgeber, sondern schlicht ihrer Qualität. Sie haben sich halt besser gehalten.

Der Band stellt prominente Versuche protestantischer Protestantismusdeutungen von Adolf von Harnack, Ernst Troeltsch, Karl Holl oder Paul Tillich vor. Aber auch weniger bekannte Klassiker wie Albrecht Ritschl sind vertreten. Wer diese Texte liest, staunt über die Reflektiertheit der Ausführungen, das feine Zusammenspiel von Geschichtsschreibung und theologischer Deutung, die Übereinstimmung im Grundsätzlichen wie die vielen Unterschiede im Einzelnen. Ein eindeutiges Bild ergibt sich so zum Glück nicht. Wie bei jedem Sammelband vermisst man auch hier manches, zum Beispiel einen Text von Schleiermacher oder Hegel. Überhaupt wäre es interessant gewesen, die theologischen mit nicht-theologischen – philosophischen oder soziologischen – Deutungen zu kontrastieren.

Doch das wäre ein anderes Buch geworden. Da ist es angemessener, sich über das zu freuen, was hier geboten wird. Besonders schön und dankenswert ist dabei, dass ein Autor berücksichtigt wurde, der zu Unrecht vergessen ist, obwohl seine Ausführungen zum Protestantismus nicht nur sehr überzeugend sind, sondern sich auch immer noch außerordentlich gut lesen: Der 1991 verstorbene Systematische Theologe Hans-Joachim Birkner aus Kiel.

Johann Hinrich Claussen

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