Einkaufsbummel ade

Punktum
Ein Blick auf das Warenlager im Flur zeigt, was Onlineshopping letzten Endes bedeutet.

Schon morgens vor meinem Weg zur Arbeit klingelt es, und ich öffne ihm oder einem seiner Kollegen. Die Autos der Paketdienste stehen Schlange vor unserem Mehrfamilienhaus, verstopfen die Straße, nicht selten kommt es zu einem Hupkonzert. Und wenn ich am freien Wochenende Pech habe, startet bei mir früh um acht die Klingeljagd der Boten. Danach stapeln sich Pakete, Rollen, Paletten und Säcke für meine Mitbewohnerinnen und Mitbewohner in unserem Hausflur. Online bestellen und ab Fabrik direkt nach Hause liefern lassen - so lautet die Formel für bequemes Anschaffen ohne Einkaufsbummel durch die Läden.

Auch ich lasse hin und wieder eine DVD kommen statt ins Kino zu gehen. Doch seit es das Einkaufen im Netz gibt, scheinen die Leute das Haus überhaupt nicht mehr zu verlassen. Ein Blick auf das Warenlager im Flur zeigt, was Onlineshopping letzten Endes bedeutet. Ein Klafter Kaminholz, ein Sonderposten Katzenstreu, zwei schwarze Lederhosen von der Reinigung im Plastikbeutel verschweißt, ein Sortiment Schuhe zur Auswahl, obenauf das fünf Liter Partyfass Bier mit zehn Kilo Grillkohle. Heute kam ein 60 Liter Sitzsack dazu.

Aber der letzte Schrei im Wareneingangsbereich sind diverse Kochboxen. Deren Anbieter schicken Menüpakete mit Rezepten und den dazu notwendigen Lebensmitteln quer durchs Land, genau portioniert und sogar im Wochenabonnement. Das bedeutet transportsicher verpackte Eier, Portionsbeutel mit Semmelbröseln und folienverschweißter Rucola. Jede Zutat ist noch einmal werbewirksam eingeschlagen. Wandern die Lebensmittel auf dem Markt noch einfach in den Einkaufskorb oder liegen sie beim Discounter offen zur Selbstbedienung, so kommt für den Versandweg noch die Umverpackung in speditionsgerechte Kunststoffkonstruktionen und Wellpappen dazu. Die verstopften gelben und grauen Tonnen vor unserem Haus lassen grüßen.

Von der Couch muss also heute keiner mehr herunter, um sich für einen Einkaufsbummel zu bewegen. Die neuesten Angebote sind ja so weit wie das nächste Smartphone. Mit einem Fingerwischen ausgesucht, mit einem Klick gekauft, von fleißigen Boten nach Hause geliefert. Und wenn die Farbe nicht gefällt oder die Hose zu stramm sitzt, dann wird das Ganze einfach zurückgeschickt. Geliefert innerhalb von 24 Stunden, Gratisrückversand innerhalb von 30 Tagen, Bezahlung bargeldlos mit sicherem System. Was will der moderne König Kunde mehr?

Aus Briefboten sind Einmann-Speditionen geworden. Sie dürfen laut Verordnung bis zu 30 Kilogramm oder 150 Liter Volumen wuchten. Das heißt die vier Stockwerke in unserem Haus ohne Fahrstuhl hinauf. Und wenn sie Pech haben, wieder herunter. Wenn keiner oben öffnet und sich alles bei der Person versammelt, die aus dem Bett geklingelt wurde. All jenen Lieferanten gilt mein ganzes Mitgefühl.

Kathrin Jütte

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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