Bewegend

Briefe aus der Haft
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Diese Briefe zählen zu den großen persönlichen Zeugnissen aus den Kreisen des Widerstandes.

Zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus zeigen sich, mehr als siebzig Jahre danach, in Forschung und Quellen noch immer neue Facetten. „Keine gewöhnlichen Männer“ – so hatte der Historiker Fritz Stern vor drei Jahren Dietrich Bonhoeffer und dessen Schwager Hans von Dohnanyi in einer mit seiner Frau Elisabeth Sifton verfassten Hommage genannt. Im Vergleich zu Bonhoeffer weiß man über Letzteren vor allem, dass er im „Amt Canaris“ einer der Vordenker des militärischen Widerstandes war; private Quellen gab es bislang nur wenige. Umso mehr ist jetzt dem Berliner Historiker Winfried Meyer zu danken, der die Briefe Hans von Dohnanyis an seine Ehefrau Christine, Bonhoeffers Schwester, und seine drei Kinder aus der zwei Jahre dauernden Haft herausgegeben und mit ergänzenden Informationen versehen hat.

Der am 1. Januar 1902 in Wien als Sohn des ungarischen Komponisten Ernst von Dohnanyi geborene Hans wuchs in Berlin auf, wo er schon als Schüler mit den Kindern der nahe wohnenden Familie Bonhoeffer in Kontakt kam, was sein Leben entscheidend prägte. Ein außerordentlicher Intellekt, Energie und politisches Urteilsvermögen sicherten ihm eine rasche Karriere; 1933 wurde er ein enger Mitarbeiter des Reichsjustizministers Franz Gürtner, 1938 war er der bis dato jüngste Reichsgerichtsrat in Leipzig, kurz vor Kriegsausbruch kam er ins Amt Ausland/Abwehr der Wehrmacht; seine Vorgesetzten waren Admiral Canaris und General Hans Oster, mit dem er ab 1940 intensiv über einen Sturz des Regimes nachdachte. Missgünstige NS-Stellen nahmen eine fingierte Hilfe für jüdische Verfolgte zum Anlass, ihn Anfang April 1943 zu verhaften.

Die hier gesammelten Briefe zeigen den Leidensweg dieses am Ende physisch total zerstörten, mental aber ungebrochenen Mannes. Alle Briefe – nur rein private Schreiben waren erlaubt – durchzieht die Sorge um die Familie; es sind bewegende Briefe an die geliebte Frau, die ihm in gleicher Liebe zur Seite stand. „Du, mein Anker, meine Kraft, mein Schatz, mein wirklich besseres Leben“ – diese leicht allgemein wirkenden Sätze kommen, das spürt der Leser sofort, aus tiefstem Herzen und lassen das Elend der Haft ahnen. Ebenso berühren Briefe an seine Kinder, an die Tochter, die älteste, und an die Söhne Klaus (den späteren Hamburger Bürgermeister) und Christoph, der von 2004–2011 Dirigent des ndr-Sinfonieorchesters war. Es sind Appelle, sich im Glauben treu zu bleiben: „Die große Kunst christlichen Lebens scheint mir in dem Sichergeben in Gottes Willen zu liegen, ohne dabei den eigenen Willen aufzugeben.“

Im Sommer 1944 schien es einen Moment, als werde das Verfahren gegen ihn eingestellt. Doch nach dem 20. Juli 1944 wurde alles anders. Die Gestapo fand seine Aufzeichnungen über geplante Veränderungen in Deutschland. Entgegen Dohnanyis Bitten, hatte sie Generaloberst Ludwig Beck aufbewahrt, um „der Nachwelt zu zeigen, dass es auch ein anderes Deutschland gab“. Als weitere belastende Unterlagen entdeckt wurden, war sein Schicksal besiegelt. Am 9. April 1945 wurde der fast gelähmte Mann im KZ Sachsenhausen auf einer Bahre zur Hinrichtung getragen und aus ihr mittels eines automatischen Galgens erhängt. Gehängt wurden an diesem Tag im KZ Flossenbürg auch Wilhelm Canaris, Hans Oster und Dietrich Bonhoeffer.

Im Nachwort verweist Sohn Klaus darauf, dass körperlicher Mut „kein Gegensatz zur Empfindsamkeit des Herzens“ sein muss und darf. Der Leser spürt das gleichermaßen beglückend und bedrückend. Die Briefe zählen zu den großen persönlichen Zeugnissen aus den Kreisen des Widerstandes. Mitunter wünschte man, der Verlag hätte noch einige Seiten für genauere Biografien der wichtigsten genannten Personen zugegeben – den Schleichers, Leibholz', Dellbrücks, den Bethges und den Bonhoeffers. Aus keiner deutschen Familie kam so viel Widerstand, und keine hat einen höheren Blutzoll gezahlt.

Dirk Klose

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