pro und contra

Brauchen wir ein neues Einwanderungsgesetz?
Foto: privat
Die hohe Zahl von Flüchtlingen hat in Deutschland die Debatte um ein Einwanderungsgesetz neu belebt. Brauchen wir neue Regeln für diejenigen, die hier arbeiten und leben wollen? Ja, meint Thomas Oppermann, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Dagegen argumentiert Günter Krings (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium.

Letztes Jahr haben wir eine Million Flüchtlinge bei uns aufgenommen. Und jetzt noch ein Einwanderungsgesetz? Wie viele wollen wir denn noch zu uns holen? Wo bleiben wir, und was wird aus uns, wenn die Anderen immer mehr werden? Ich kenne diese Gespräche gut. Und meine Antwort ist: Wir brauchen dringend ein Einwanderungsgesetz - wann, wenn nicht jetzt?

Der demographische Wandel ist kein Horrorszenario, sondern Fakt. Wir werden immer älter, und wir werden weniger. In Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg hat die Gesellschaft schon mit den Folgen der Überalterung zu kämpfen. Betriebe finden kaum noch Nachwuchs, Behörden beginnen damit, Schulen zu schließen und Buslinien einzukürzen. Geht die Entwicklung so weiter, leben wir bald in einer Gesellschaft mit mehr älteren Menschen als jungen. Dies hat es in der Geschichte noch nicht gegeben. Und dies würde für unser heutiges Sozialsystem den Zusammenbruch bedeuten. Das ist nämlich so aufgebaut, dass eine Mehrheit der Jungen für das Aufkommen der Alten sorgt.

Der weltweite Wettbewerb um qualifizierte Einwanderer hat längst begonnen. Viele Länder mit einer ähnlichen demographischen Entwicklung wählen bereits gezielt aus, wen sie zu sich holen. Deshalb brauchen auch wir ein Einwanderungsgesetz. Denn wir wollen im Wettbewerb um die klügsten und innovativsten Köpfe an der Spitze stehen. Wir wollen nicht fragen, woher jemand kommt, sondern was sie oder er zu unserer Gesellschaft beitragen kann. Wir wollen damit unseren Wohlstand sichern. Und nicht zuletzt: Wir wollen damit auch Klarheit schaffen, wer aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen zu uns kommen kann und wer nicht.

Wenn sich heute eine albanische Familie auf den Weg nach Deutschland macht, um hier um Asyl zu bitten, steht dahinter womöglich der Wunsch nach einem wirtschaftlich besseren Leben. Das ist menschlich verständlich. Unsere Behörden überprüfen aber derzeit nur die Schutzbedürftigkeit - nicht die Qualifikation.

Mehr Transparenz

Gegner eines Einwanderungsgesetzes führen gern an, dass alles längst geregelt sei. Nun ja, vieles ist geregelt, versteckt in zahlreichen verschiedenen Gesetzen. Für Nicht-EU-Bürger gibt es mehr als fünfzig verschiedene „Aufenthaltstitel“. Niemand würde wohl behaupten, die derzeitige Regelung sei transparent.

Ein Einwanderungsgesetz, wie ich es mir wünsche, ändert das. Ich stelle mir ein Internetportal vor, mit dem Behörden, Arbeitgeber und potenzielle Einwanderer arbeiten. Eine Ingenieurin aus Indien gibt dort ihre persönlichen Qualifikationen ein: Ausbildung, Berufserfahrung, Sprachkenntnisse, Alter, konkretes Jobangebot, bisherige Auslandsaufenthalte sowie Familienanschluss sollten eine Rolle spielen. Für jedes Kriterium gibt es Punkte, und bei Erreichen einer Mindestpunktzahl ist die Einwanderung ganz nah. So einfach könnte es sein. Wichtig ist gleichzeitig, dass wir niemanden überfordern. Unser neues Einwanderungsrecht soll ein atmendes System sein. Wir legen jährlich fest, wen wir suchen und wie viele über das flexible Punktesystem kommen können. Damit würden wir auch die Asylverfahren entlasten. Wobei klar ist: Das Recht auf Asyl bleibt von einem Einwanderungsgesetz getrennt.

Ein weiteres Gegenargument ist ein scheinbar altruistisches. Wenn Deutschland gewinnt - verlieren die Herkunftsländer. Falsch. Ein Beispiel: Als ich mir in Kanada ein Bild vom dortigen Einwanderungsrecht gemacht habe, habe ich eine Rumänin kennengelernt. Sie ist ausgebildete Textilingenieurin. In ihrer Heimat hatte sie keine Chance auf einen angemessen bezahlten Arbeitsplatz. In Kanada macht die Frau nun Karriere. Sie ist gut integriert und hält gleichzeitig den Kontakt nach Rumänien. Vielleicht geht sie eines Tages zurück. Doch selbst wenn nicht, schon jetzt profitiert das Herkunftsland, über Finanz- und Wissenstransfers.

Vor über fünfzig Jahren haben wir schon einmal aus wirtschaftlichen Gründen Einwanderer nach Deutschland geholt. Sie kamen aus Spanien, Griechenland, Italien, Jugoslawien und der Türkei. Wir haben damals den Fehler gemacht, in ihnen „Gastarbeiter“ zu sehen und keine Einwanderer. Es ist Zeit, diese Fehler der Vergangenheit einzugestehen und aus ihnen zu lernen: Wir brauchen Einwanderung. Wir wollen aber nicht jeden, sondern die Richtigen.

Gunter Krings: Wir brauchen kein neues Einwanderungsgesetz!

Thomas Oppermann

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