Laues Bad

Immer wieder Uhren
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Endlich der neue Ransmayr! Und dann das. Körper und Geist bleiben immun. Mehrfach bin ich durch eine Tapetentür ausgestiegen.

Ich gestehe: Ich bin Ransmayr-süchtig. Bereits während der Lektüre des ersten Romans wurde ich abhängig: Die Schrecken des Eises und der Finsternis. Eine Kartographie der Abenteuerlust. Dann: Die letzte Welt. Eine horizontale Offenbarung. Morbus Kitahara. Ein dunkler Kraftspender. Der fliegende Berg. Druckmuster der Seiten auf meinen Linsen. Atlas eines ängstlichen Mannes. Die Klimaanlage in meinem Kopf setzte vor Glück aus.

Gott sei Dank ist Ransmayr kein Vielschreiber. Zwischenzeitlich können sich Körper und Geist erholen und sich mit schlechteren Autoren, mit Bauchnabelpoplern und historischen Fake-Artisten wütend trösten. Und jetzt endlich der neue Ransmayr: Cox oder Der Lauf der Zeit. Und dann das. Körper und Geist bleiben immun. Mehrfach bin ich durch eine Tapetentür ausgestiegen. Und wieder eingestiegen. Ich fühle mich wie ein Nestbeschmutzer, wenn ich sage: Ich bade in dem Buch nur lau.

Ein Blick in die Feuilletons erhöhte noch meine Verzweiflung: Andreas Platthaus in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zieht die höchste Note, spricht von Weltliteratur und, alle anderen Rezensenten stimmen glückstrunken ein, nur Thomas Steinfeld von der Süddeutschen Zeitung entdeckt einige kitschnahe Szenen, die er großmütig vergibt, Ijoma Mangold in der Zeit ist immerhin beglückt, wenn auch nicht erleuchtet.

Liegt es vielleicht an meiner nur mäßig ausgebildeten Chinabegeisterung, die durch chinesische Betriebsanleitungen bei Elektrogeräten gedrosselt wurde? Nein. Ransmayr hat mich wiederholt auf Exkursionen zu Orten geschickt, wo ich nie hin wollte. Und auch diese Geschichte müsste funktionieren. Eine historische Figur, ein berühmter englischer Uhrmacher namens Cox, wird (kontrafaktisch) von einem Gesandten des Kaisers von China in die verbotene Stadt eingeladen, um Uhren zu bauen, die den höchst subjektiven Lauf der Zeit messen: das Zeitempfinden eines Kindes, eines zum Tode Verurteilten, schließlich ein Uhrwerk, das die Dauer der Ewigkeit darstellt.

Ransmayrs Text erzeugt in der Tat CinemaScope. Großartige Panoramen werden aufgerufen, Bilder, die Pracht und Schrecken einfangen. Auch der emotionale Schmerz, Cox trauert um den Tod seiner Tochter, und die Angst seiner drei Mitarbeiter vor dem Versagen werden plastisch. Ermüdungsbrüche erleide ich immer, wenn Ransmayr wortreich die Herstellung der Uhrwerke beschreibt. Auch eine zweite Lektüre funktioniert nicht besser.

Es spricht für die Grandezza von Ransmayr, wenn er an einer Stelle des Romans nicht ohne feine Ironie das mögliche Scheitern einräumt: „Die Uhr. Hatte die ungeheuerliche Mechanik, die auf der wie atmenden, vom Gewicht der Luft erzwungenen Bewegung eines flüssigen, tödlichen Metalls beruhte und die mit ihrem endlosen Lauf zumindest eine Ahnung der Ewigkeit beschwören konnte, noch irgendetwas zu tun mit den simplen Rasselbüchsen, die bloß Stunden schlugen, einen Schläfer weckten oder eine Glocke zum Bimmel brachten? Der Kaiser hatte an einem frühen Morgen versucht, ein Gedicht über dieses Werk zu Papier zu bringen (…): Er hatte also die Hälfte des Morgens mit diesem Schreibversuch vergeudet und schließlich die auf Reispapier gemalte Kalligraphie in einem Glutbecken verbrannt: Die Arbeit der englischen Gäste sollte, durfte unter keinen Umständen gestört werden. Genau das aber konnte geschehen, wenn ein Gedicht - und sei es ein Gedicht eines Allmächtigen - eine entstehende Schöpfung mit den falschen, kraftlosen Worten in Sprache verwandeln wollte.“

Wenn nicht einmal das Gedicht eines Allmächtigen diese Schöpfung in Sprache verwandeln kann, dann, so die Folgerung, wird es auch die Prosa eines beinahe Allmächtigen nicht vermögen. Ransmayr teilt das Schicksal vieler Künstlerromane, die die Werke eines Malers beschwören, ohne dass der Leser dieser Werke trotz aller Sprachmacht ansichtig wird. Im Netz finden sich wunderbare Uhren, die wenigstens erahnen lassen, was Ransmayr beschwören wollte. Ich aber warte unverdrossen auf den nächsten Ransmayr.

Klaas Huizing

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Klaas Huizing

Klaas Huizing ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Würzburg und Autor zahlreicher Romane und theologischer Bücher. Zudem ist er beratender Mitarbeiter der zeitzeichen-Redaktion.


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