Ohne Strategie

Die alten Fragen sind wieder da - dringlicher denn je

Es spricht nichts dagegen, Feste zu feiern, im Gegenteil, manchmal müssen sie sein, sonst verflacht das Leben, ist alles nur noch Alltag. Insofern war es richtig, dass sich die EKD-Synode in Bonn Anfang November nach Reformationsjubiläum und Lutherdekade erst einmal selbst kräftig auf die Schultern klopfte. Denn, wie es Wolf Biermann einmal sagte: Die guten Leute brauchen manchmal auch ein paar gute Leute, und die Ermutiger brauchen Ermutigung. Zugleich aber war klar, dass die Synode in Bonn auch die Aufgabe haben würde, den Schwung des Jubiläums mitzunehmen in den Alltag der Kirche - und hier sind Zweifel angebracht, ob das gelingen wird.

Denn so groß ist die Aufgabe. Und zu diffus waren die Analysen dessen, was nun aus dem großen Fest zu lernen sei: Wenn es richtig ist, dass all die Veranstaltungen des Jubiläums gut ankamen und neue Menschen erreichten, bei denen die Kirche nach außen und auf die Straße ging, und zwar so niederschwellig wie möglich, wie Bischöfin Ilse Junkermann sagte -, besteht da nicht das Risiko, völlig profillos zu werden und das Herausfordernde und Anstößige der Botschaft Jesu zu verleugnen? Wenn es stimmt, dass, wie der Religionssoziologe Detlef Pollack es in Bonn sagte, die Kirche gegen den Mega-Trend der Säkularisierung und Individualisierung sowieso wenig machen könne, ja das Bedürfnis nach der Religion generell abnimmt, was hilft es dann, immer wieder neue Kontaktmöglichkeiten und Vergegenwärtigungen des Evangeliums anzubieten - auf die Gefahr hin, die noch treue eigene Klientel zu vernachlässigen oder zu überfordern? Überspitzt gesagt: Was nutzen mühsam permanent offene Kirchen, wenn kaum jemand hinein gehen will? Was nützt ein Segensroboter, wenn niemand sich nach einem Segen sehnt? In Bonn war eine Synode zu erleben, die schwamm.

Es war ein Kirchentreffen der sicherlich Gutwilligen, etwas Müden und ziemlich Ratlosen. Denn eine klare Strategie, wie es nach der großen Sause von Reformationsdekade und Lutherjahr nun weiter gehen soll, gab es nicht. Vielleicht ist das auch normal, denn die Evangelische Kirche in Deutschland ist mit über zwanzig Millionen Mitgliedern eben weiterhin ein großer Tanker. Einen solchen umzusteuern, dauerte lange, gerade wenn die See rauer wird.

Und es ist schon was dran an dem bösen Wort, das am Rhein die Runde machte: Beim Reformationsjubiläum klammerte sich eine, glaubt man den Zahlen, angezählte Volkskirche an die ebenso lädierten staatlichen Institutionen, beide in der Hoffnung, vom Glanz des anderen zu profitieren. Die harten Zahlen der Säkularisierung aber, wie sie etwa im älteren Impulspapier „Kirche der Freiheit“ oder in der neueren Mitgliederstudie mit ihrer Diagnose des Traditionsabbruchs im evangelischen Milieu vorliegen, sind mit neuer Dringlichkeit wieder auf dem Tisch. Sie erfordern eine Antwort. Immer noch.

Immerhin ist eines in Bonn auch dem Letzten klar geworden: Die Kirche muss sich in die Rolle eines gesellschaftlichen Spielers unter vielen in einer säkularen Gesellschaft hinein denken. Ob sie will oder nicht. Die Zeit der sicher geglaubten Privilegien ist bald vorbei. Vertrauen kann sie nur noch auf ihre eigene Stärke - und auf Gott, natürlich.

Philipp Gessler

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