Blick in die Tiefe

Sonderausstellung zum deutschen Kolonialismus in Berlin
Foto: pixelio/Dietmar Meinert

Die Forderung klingt gaga: „Kein Sonnenuntergang in unserem Reich“. Jedoch war bei diesem Satz keineswegs eine Dadaistentruppe am Werk, sondern er steht auf der „Deutschen Reichs-Colonial-Uhr“, die dem Besucher gleich in der ersten Vitrine der Sonderausstellung „Deutscher Kolonialismus - Fragmente seiner Geschichte und Gegenwart“ ins Auge fällt. Die Forderung durfte zu Beginn des vorigen Jahrhunderts als erfüllt betrachtet werden, denn um 1900 waren ausgedehnte Inselgebiete in der Südsee nahe der Datumsgrenze endgültig unter deutsche Kolonialherrschaft gekommen. Streng genommen schien nun rund um die Uhr im Deutschen Reich die Sonne. Von Mai 1900 bis Sommer 1901 tourte mit der Ausstellung „Samoa - Unsere neuen Landsleute“ eine Gruppe von Menschen aus Ozeanien durch das Kaiserreich. Ihr Vorsitzender Te’o Tuvale traf sogar mit Kaiser Wilhelm II. zusammen und wurde nach seiner Rückkehr enger Mitarbeiter und Übersetzer des ersten Gouverneurs von Deutsch-Samoa Wilhelm Heinrich Solf.

Die deutsche Kolonialgeschichte im pazifischen Ozeanien ist kurz und daher kaum bekannt. Länger und im kollektiven Gedächtnis tiefer verankert ist die Geschichte der Kolonien in Afrika, besonders in den beiden flächenmäßig größten Kolonialgebieten in Ostafrika (heute Tansania) und Südwestafrika (heute Namibia). Besonders die Geschichte von „Deutsch-Südwest“ beschäftigt aktuell die Politik. Es geht um die Anerkennung des Krieges der deutschen Schutztruppe gegen die Volksgruppe der Herero und der Nama als Völkermord (vergleiche zz 12/2016). Diesem Thema widmet die detailreiche Ausstellung mit Recht viel Raum.

Fassungslos steht der Besucher vor manchen Bildern und Traktaten, aber auch vor einer Nilpferdpeitsche und anderen ausgestellten Marterinstrumenten, deren Gebrauch ganz selbstverständlich zum kolonialen Alltag gehörte. Deutlich zu kurz und nur am Rande taucht die Rolle der christlichen Missionsgesellschaften auf, was sehr zu bedauern ist und ihrer wahren Bedeutung nicht gerecht wird. Erfreulich ausführlich dokumentiert sind hingegen die politischen Auseinandersetzungen in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg um die Kolonialpolitik. Der später im Zusammenhang mit der Unterzeichnung des Versailler Vertrages bekanntgewordene Abgeordnete der Zentrumspartei, Matthias Erzberger, spielte damals eine wichtige Rolle bei der Anprangerung und Aufdeckung kolonialer Skandale.

Nach dem Ersten Weltkrieg musste Deutschland alle Kolonien abtreten - eine Forderung, die viele empörte. So gab es Kampagnen in den Nachkriegsjahren unter dem Slogan „Arbeit und Brot durch die Kolonien“. Verbissen wurde über Jahrzehnte - und wird teilweise bis heute - am festen Glauben festgehalten, die Deutschen, die erst spät zum Kreis der Kolonialmächte und zum „Platz an der Sonne“ (Bernhard von Bülow) gelangten, seien deutlich bessere und beliebtere Herren gewesen als beispielsweise Engländer und Franzosen. Dazu trägt auch der „Askari-Mythos“ bei, der sich um den langen Verteidigungskampf des deutschen Generals Paul von Lettow-Vorbeck bis Ende 1918 in Ostafrika rankt. Ein Video der Beerdigung Lettow-Vorbecks im Jahre 1964, bei der der damalige Bundesverteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel eine würdigende Rede hielt, gehört genauso wie Ausschnitte aus einer Fernsehdiskussion 1966 um die Thesen von Ralph Giordano, der erstmals in großer Öffentlichkeit gegen diese aus heutiger Sicht historisch unhaltbare Verklärung deutscher Kolonialherrschaft opponierte, zu den eindrucksvollen Exponaten dieser langen Nachgeschichte.

Information

Die Ausstellung ist noch bis 14. Mai 2017 im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen.

Weitere Infos unter

Reinhard Mawick

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