Klare Ansage

Eine neue christliche Tierethik
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Ein kompakter und moralisch nahrhafter Brocken, an dem Fleischesser zu kauen haben.

Für Fleischesser ist dies eine schwer verdauliche Lektüre. Und das liegt nicht an dem Schreibstil Kurt Remeles. Im Gegenteil: Der katholische Theologieprofessor, der an der Universität Graz Ethik und christliche Gesellschaftslehre lehrt, versteht es, klar und auch für Nichttheologen und -philosophen verständlich, sein Thema näherzubringen: Die Entwicklung einer neuen christlichen Tierethik.

Und dabei drückt er sich nicht vor klaren Aussagen. „Der Verzicht auf das Essen von Tieren, auf Tierversuche und auf Stierkämpfe und Zirkustiere, wird im Rahmen der vorliegenden theologischen Ethik als moralische Norm betrachtet, die zumindest in den wohlhabenden Ländern dieser Erde ein für alle Gläubige geltendes Zielgebot und einen für alle Bürger geltenden Zielimperativ darstellt.“ Dieser sehr kompakte und moralisch nahrhafte Brocken, an dem man durchaus zu kauen hat, wird dem Leser zum Glück erst am Ende des Buches serviert, als quasi programmatischer Satz des letzten Kapitels, in dem Remele seine christliche Tierethik formuliert.

Darauf bereitet er aber rund 150 Seiten lang vor und liefert dabei gekonnt einen Überblick über unterschiedliche tierethische Ansätze. Der Blick in die Historie ist dabei ernüchternd: Von ersten Ansätzen im 18. Jahrhundert abgesehen wurden dem Tier keine Werte oder gar Rechte im heutigen Sinne zugestanden. Doch in den vergangenen dreißig bis vierzig Jahren, so Remele, sei eine große Debatte darüber in Gang gekommen, was wir Tieren schulden und wie wir mit ihnen umgehen.

Es findet ein Paradigmenwechsel statt und die zeitgemäße tierethische Perspektive sehe nicht mehr den Menschen und seine Bedürfnisse im Mittelpunkt. In der Philosophie steht für diesen neuen Blick exemplarisch die „Oxford Group“, eine Gruppe von Intellektuellen, die in den Siebzigerjahren in Oxford zu Fragen der Tierethik forschten und lehrten. Dazu gehören unter anderem Peter Singer, Tom Regan und Richard Ryder. Es entstanden verschiedene Ansätze für eine Ethik, der utilaristische, die Care-Ethik, die tierrechtliche Position, die Ethik der Großzügigkeit.

Vergleichsweise gering blieb aber der Beitrag der Theologie, was für Remele in der Ambivalenz und Widersprüchlichlichkeit der traditionellen christlichen Tierethik begründet liegt. Noch immer wirkten die biblischen Bilder vom Menschen, der sich die Welt Untertan machen soll und dem alles zur Nahrung dient. Dabei hinge „Gottes Lizenz zum Töten und Essen von Tieren mit der wachsenden Einsicht Gottes in die Schwäche und Bosheit (…) des Menschen nach dem Sündenfall zusammen.“

Die Ernährungsweise im Paradies sei nämlich ganz offensichtlich eine vegane gewesen, denn laut Genesis 1,29f habe Gott den Menschen alle Pflanzen übergeben, „die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten“. Diese sollen zur Nahrung dienen, „alles was sich auf der Erde regt, gebe ich alle grünen Pflanzen zur Nahrung“. So gesehen sei vegetarische oder vegane Ernährung „Realisierungen des Reiches Gottes, punktuell, unvollkommen und ansatzweise zwar, aber dennoch paradiesischen Duft verströmend“.

Auch wer eher den Geruch eines Bratens für paradiesisch hält und auf Fleisch nicht verzichten mag, kann Remeles Argumentation nicht einfach vom Tisch wischen. Zu präzise benennt der die Widersprüchlichkeiten und blinden Flecke der christlichen Tierethik. Zu klar ist das Bild des Tieres als gleichwertiges Mitgeschöpf, das er zeichnet. Man kann sich dem entziehen, weil man einfach so gerne Tiere isst oder weil man ideologischen Streit um das Essen nicht mag. Aber Kurt Remele setzt klare Landmarken für den, der an ethischen Landkarten interessiert ist. Und an denen kommt man nicht vorbei.

Stephan Kosch

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