Weder Einheit, noch Einfalt

Neues Positionspapier der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD weitet den Diskurs
Familie Mirzayi in der Flüchtlingsunterkunft Berlin-Moabit. Foto: epd/ Rolf Zoellner
Der Text „Konsens und Konflikt“ der Kammer für Öffentliche Verantwortung korrigiert die bisherige politische Linie des Rates der EKD.

Mit EKD-Denkschriften und dergleichen lassen sich selten Schlagzeilen machen. Das widerspräche auch ihrem Sinn und Selbstverständnis, denn sie sollen Problemstellungen umfassend aufarbeiten, damit die Leser zunächst einmal die Chance haben, den Sachverhalt umfassend zu verstehen. Dieses Tiefgründelnde ist ein gutes Prinzip, deswegen aber haben es solche Texte häufig schwer, in der Öffentlichkeit durchzudringen.

Die „ Zehn Impulse der Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD zu aktuellen Herausforderungen der Demokratie in Deutschland“, die kürzlich in der Französischen Friedrichstadtkirche am Berliner Gendarmenmarkt vorgestellt wurden, schafften es hingegen prominent in die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Das verwundert nicht, denn der Text trifft einen Nerv. Auf den nur 24 Seiten der Kammerschrift wird ein Ton angeschlagen, der das Potenzial hat, die von vielen beklagte Echokammer aufzubrechen, die sich in den vergangenen Jahren in der innerkirchlichen Diskussion um die Frage der Zuwanderung aufgebaut hat. „Der Zweifel am bisherigen Weg ist mitten unter uns, auch in den Kirchen. Und er lässt sich weder durch das Zusammenrücken in einer gefühlten Mitte noch durch Ausgrenzungen beseitigen. Wir brauchen produktive Auseinandersetzungen bevor wir vorschnell dem einen oder anderen Konsens zustimmen.“ Klar und präzise bringt der Berliner Akademiedirektor Rüdiger Sachau schon in der Begrüßung Analyse und Schlussfolgerung der Schrift auf den Punkt.

Den vorschnellen Konsens, der von vielen in der Furcht angestrebt werde, unter ihresgleichen bloß nicht als politisch inkorrekt zu gelten und damit der mehr oder weniger ausgesprochenen Verachtung anheimzufallen, kritisiert auch der Vorsitzende der EKD-Kammer, der Münchener Theologe Reiner Anselm, in seinem Referat: „Die Kirchen sind mitverantwortlich für die politische Kultur unseres Landes. (…) Zu hohe moralische Ansprüche, die andere politische Positionen ausschließen oder als orientierungsbedürftig disqualifizieren, sind daher selbstkritisch zu hinterfragen.“ Und in Bezug auf das offene oder heimliche Thema Nummer eins in diesen Tagen, der Frage der Migration nach Deutschland, sagt er: „Die besondere Herausforderung (…) liegt darin, einen Ausgleich zwischen dem universalistischen Anspruch der Menschenrechte und deren notwendig partikular-nationalstaatlicher Implementierung zu finden.“

Kein Wunder, dass Reinhard Bingener in der FAZ einige Tage später resümiert: „Man kommt kaum umhin, dies als Kritik auch an vielen kirchlichen Einlassungen zu lesen, in denen während der Flüchtlingskrise das Thema Grenzen, seien es nun Staatsgrenzen oder Kapazitätsgrenzen, kaum eine Rolle gespielt hatte.“

Rebekka Klein, Professorin für Systematische Theologie in Bochum und ebenfalls Kammermitglied, führt den im Text artikulierten Impuls weiter ins Grundsätzliche aus: „Die gegenwärtige Lage unserer westlichen Demokratien ist geprägt durch das Gegenüber von Unruhestiftern und Spaltern auf der einen und Reformern auf der anderen Seite. Die Ersten werden meist als Populisten diffamiert, die Zweiten als liberale Verfassungspatrioten romantisiert und verharmlost. Die hier vorgestellten ,Zehn Impulse‘ der Kammer für Öffentliche Verantwortung sind in diesem Spannungsfeld Ausdruck des Bestrebens, innerhalb der Demokratie eine Demokratisierung zu initiieren, ihr eine Reform angedeihen zu lassen und das Recht des Unruhestiftens und die ihm innewohnende Streitigkeit nicht von vornherein zu dämonisieren, wie es in politischen wie kirchlichen Debatten nur allzu oft geschieht.“

Starker Tobak

Demokratisierung innerhalb der Demokratie? Das ist starker Tobak, zeigt aber, wie viel Druck sich in den Jahren einer unnatürlichen Meinungseinheit aufstaut hat, die nicht wenige zunehmend als Meinungseinfalt empfinden. So konstatiert Rebekka Klein, dass die „demokratische Regierungsform“ hierzulande in weiten Teilen in einem „in sich geschlossenen Metadiskurs“ erstarrt sei. Sie warnt davor, die Gesellschaft „als eine in der demokratischen Ordnung vollständig aufgehende Größe zu betrachten.“ Denn es werde, so die Theologin, „immer wieder politische Forderungen von Menschen geben, die hier mit uns leben, die aber innerhalb des gegenwärtig vorherrschenden demokratischen Konsenses nicht integriert werden können.“ Dies sei „offen und ehrlich anzuerkennen“, und diesen Menschen sei „vollumfänglich das Recht zuzugestehen, diese Forderungen dennoch im politischen Diskurs zu artikulieren, ohne sofort als Untermenschen zu gelten.“

Untermenschen? Noch stärkerer Tobak. Keine Frage, in dieser Grundsatzdiskussion steckt Potenzial! Der Bischof Loci, Markus Dröge, der auch dem Rat der EKD angehört, bezeichnet in seinem Schlusswort den Text als „eine wichtige Stimme in einer sich rasant wandelnden politischen Landschaft, in der unsere Kirche sich neu orientieren muss.“

Andererseits beharrt Dröge darauf, dass es in der Kirche „zu vielen dieser Themenkreise einen breiten und ethisch-theologisch gut begründeten Konsens“ gebe. Er räumt jedoch ein: „Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, zu dekretieren, zu postulieren, in dem wir den politischen Diskurs moralisieren und damit in seiner Freiheit einschränken. Diese feine Unterscheidung ist eine wichtige Unterscheidung: Ethisch-moralische Positionen kraftvoll einbringen – ja, das ist unser Auftrag! Aber wir dürfen den Diskurs selbst dabei nicht moralisieren!“

Dröge moniert an seinen Vorrednern freilich, dass sie sich in der „konstruktiven Einschätzung“ der neuen rechtspopulistischen Bewegungen „zu einig“ gewesen wären. Schließlich seien die Akteure der neuen Bewegung „ja keineswegs nur darauf aus, die demokratische Kultur weiterzuentwickeln. Dröge betont: „Mit denen, die die demokratische Kultur im Kern angreifen, ist nicht zu reden. Ihnen ist entgegenzutreten“ und „Ideologien der Ungleichwertigkeit von Menschen“ dürfe „kein Raum“ gegeben werden. Darin waren sich am Ende eines spannenden Nachmittags am Gendarmenmarkt alle einig.

Eine neue Debatte in der EKD hat offiziell begonnen. Wo wird sie hinführen? Auf jeden Fall lohnt es sich den klaren, knappen, konzisen Kammertext zu lesen. Das geht dank seiner klaren Kürze recht schnell.

Das Positionspapier „Konsens und Konflikt“ kann über versand@EKD.de oder per Telefon unter 0511/2796-460 kostenlos bestellt werden. Als pdf-Download steht es unter www.EKD.de/publikationen bereit.

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Reinhard Mawick

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