Bilderlebnisse

Mount Kimbie: Die Dritte
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Faszinierend nehmen Mount Kimbie in Klangwelten mit, in denen man sich gern aufhält.

Moderne Kunst! Was wurde da nicht schon alles missverstanden und geschmäht. Vermutlich wegen grundstürzender Erlebnisse, die dort diesseits von Smartphone-Engführung und unnützen Versicherungen möglich sind. Pures rohes Leben, auch in unbekannteren Häusern wie dem Emil Schumacher-Museum im westfälischen Hagen, wo man in farbstarken abstrakten Tafeln lustvoll, gesteigert und bereichert ersaufen kann.

Love What Survives, das dritte Album des englischen Elektro-Duos Mount Kimbie, schafft Ähnliches. Kai Campos und Dominic Maker debütierten 2010 mit Crooks & Lovers, einem Album, das schon als Klassiker gilt, weil es die Post-Dubstep-Ära eröffnete: Sie erforschten, was nach dominierenden Basslinien noch kommen kann. Cold Spring Fault Less Youth (2013) betonte Songwriting und Live-Instrumente, auch Gastsänger waren dabei – wie nun ebenfalls auf Love What Survives, dessen elf Tracks einen anregenden Assoziationsraum schaffen. In der Folge mag man zu Alben wie dem Van der Graaf Generator-Progrock-Klassiker Aerosol Grey Machine (1969) oder Dub-Platten aus Lee Perrys legendärem Black Ark-Studio greifen, etwa zu der Compilation Arkolgy (1997). Platten, die nicht das Herkommen von Love What Survives umschreiben, dafür präzise die Kontexte, die sich ergeben. Es ist jeweils Musik, die fest der Farbe vertraut, ihr den nötigen Platz einräumt und unabhängig von Konventionen und Trends passende Formen zulässt. Schumacher grüßt kongenial! Dass sie mit zwei recht alten Synthesizern arbeiteten, prägt den Klang. Campos findet ihn punkig und schnodderig. Er ist jedenfalls mal warm, dann wieder Industrial-mäßig kühl.

Und nie ist man sicher, ob gerade eine Maschine oder ein Liveinstrument zu hören ist. Da wirkt das Schlagzeug zunächst treibend rockistisch und wird dann zu versickerndem Klopfen. War der Schweiß nun echt? Die Synthie-Sounds sind mal diesig, dann wieder klar, manches gemahnt an Pointilismus mit grobem Pinsel. Orgelschichten oder Likembe-Samples werden übereinander gestapelt und staubtrockene Drums darunter gelegt, bis plötzlich eine Basslinie hineinhüpft, ein weiteres Schlagzeug vorprescht und alles höchst groovy wird. Tollen schrägen Pop wie t.a.m.e.d. mit Gregorianik-Intro, Kirmesdrehorgel und Dreschflegelkrachen bieten sie auch. Diesen Song singen sie selbst, sonst sind es Freunde wie King Krule, der in Blue Train Lines einen grandiosen abgründigen Reimflow hinlegt, James Blake und Micachu.

Faszinierend nehmen Mount Kimbie in Klangwelten mit, in denen man sich gern aufhält. Sie streifen modernste Klassik oder locken mit eingängigem Tanzsound, dem nach wenigen Takten jedoch kreativ ein Stock zwischen die Beine fliegt, so dass der Track nun an Radiohead erinnert. Ein Stolpern, das steigert. Dicht, direkt, eigenwillig. Eben Erlebnisse mit Bildern.

Udo Feist

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