Die Verheißung der Vertreibung

Jenseits von Eden braucht es die Erkenntnis von Gut und Böse
Foto: privat
Wer im Paradies die eigenen Regeln durchsetzen will, macht es zu einem Ort des Misstrauens und wird des Platzes verwiesen.

Es heißt, dass Gott in der Mitte des Gartens Eden unter all den anderen Bäumen zwei ganz besondere Bäume wachsen ließ: den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse. Von letzterem wissen wir manches, aber dem Baum des Lebens gilt keine ausdrückliche Aufmerksamkeit. Aber seine Erwähnung ist gewiss nicht nur einem unaufklärbaren Zufall zu verdanken.

Der Baum der Erkenntnis ist tabu. Das ist das einzige Gebot im Paradies. Auf seine Verletzung steht der Tod. Das hört sich nach giftig an. Aber offenkundig übt selbst im Paradies das Verbotene einen besonderen Reiz aus, zumal die als klug geltende Schlange beteuert, dass es mit dem Gift nicht so gefährlich sei. Wir wissen, wie es weitergeht. Sie und er greifen nach der Frucht und unversehens erkennen sie gegenseitig ihre Nacktheit und ihre gemeinsame Gott gegenüber. Sie leben zwar, aber die Frucht ist den beiden nicht gut bekommen. Ihnen wurde schlecht; voreinander und auch Gott gegenüber.

Als Gott sie in ihrem Versteck findet, tadelt er das ihm erwiesene Misstrauen und bedeutet ihnen, was es ihnen eingebracht hat. Sie werden nun mit der Erkenntnis von Gut und Böse leben müssen, was Gott ihnen gerne erspart hätte. Im Paradies wird diese Erkenntnis nicht benötigt. Aber jenseits von Eden werden sie darauf angewiesen sein. Und bevor er sie dann wieder sich selbst überlässt, tauscht er noch gleichsam als Bestätigung ihrer neuen Erkenntnis ihre Feigenblätter durch ordentliche Kleidungsstücke aus. Sie sollen sich nicht weiter von der nun entdeckten Nacktheit stigmatisieren lassen, denn es gibt jetzt anderes zu tun.

Wer im Paradies die eigenen Regeln durchsetzen will, macht es zu einem Ort des Misstrauens und wird des Platzes verwiesen. Wer da, wo für alles gesorgt ist, mehr will, wird weniger bekommen. Die Überbietung der Vollkommenheit kann nur ihre Infragestellung bedeuten. Es ist wie bei dem Fischer und seiner Frau, die vom Butt immer mehr verlangt, eben auch bis dahin, schließlich selber Gott werden zu wollen. Sie landen schließlich wieder in ihrem alten Elend. In all dem spielt der Baum des Lebens keine Rolle, von dem zu essen übrigens nicht verboten war. Jetzt aber lässt ihn Gott bewachen von zwei Cherubim. Nach dem, was passiert war, darf er unter keinen Umständen angetastet werden; wie sich gezeigt hat, kann dies allein durch ein Verbot nicht sichergestellt werden.

Gott lässt die Cherubim gleichsam seine eigene Verheißung bewachen. Es muss verhindert werden, dass der besserwisserische Mensch nun auch nach dem Baum des Lebens greift, denn es wäre dann dieser eigenwillige Mensch, dem seine Frucht zu ewigem Leben verhelfen würde. Der misstrauische Mensch muss von ihm ferngehalten werden, um seine Verheißung für einen wieder mit Gott versöhnten Menschen aufzuheben. Gott stellt sich gegen die Verewigung des Misstrauens. Es ist die Hoffnung auf Versöhnung, die damit bewahrt und zugleich mit dem Horizont der Ewigkeit verknüpft wird. Die Vertreibung aus dem Paradies steht ebenso deutlich wie für ein Ende auch für einen hoffnungsvollen Anfang. Man wird gespannt sein dürfen, wie es weitergeht…

Michael Weinrich

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