Dialog

Luther und Rosenzweig
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Der Band bereichert die Debatten anlässlich des 500. Gedenkjahres der Reformation mit einer facettenreichen Untersuchung des Verhältnisses Rosenzweigs zur Luther’schen Bibelübersetzung.

So legt sich noch heute, und soweit von diesem Heute aus ein in diesem Deutschland eingewurzeltes Herz blicken mag und blicken darf, dem Unterfangen einer neuen Bibelübersetzung ein aus drei Einmaligkeiten geflochtener Verhau in den Weg: Einmaligkeit des kirchenversichtbarenden, Einmaligkeit des schriftsprachegründenden, Einmaligkeit des weltgeistvermittelnden Buchs. Niedergelegt kann dieser dreifache Verhau nicht werden und darf er nicht. Aber übersprungen werden kann und darf und muss er. Muss er - schon um ohne Gefahr stehenbleiben zu dürfen.“ Im Zeichen dieser gleichermaßen würdigenden wie kritischen Beurteilung der Luther’schen Bibelübersetzung reflektierte Franz Rosenzweig in seinem 1926 verfassten Aufsatz „Die Schrift und Luther“ über Schwierigkeiten und Gründe der monumentalen „Verdeutschung“ der Schrift, die er 1925 gemeinsam mit Martin Buber unternahm. Der Aufsatz, der die Auseinandersetzung Rosenzweigs mit der Lutherbibel in ihren sprachphilosophischen, übersetzungstheoretischen und religionspolitischen Spielräumen dokumentiert, steht im Mittelpunkt des durch ein Geleitwort von Margot Käßmann eingeleiteten Bandes.

Der Band bereichert die Debatten anlässlich des 500. Gedenkjahres der Reformation mit einer facettenreichen Untersuchung des Verhältnisses Rosenzweigs zur Luther’schen Bibelübersetzung und entfaltet daraus eine tiefgreifende Reflexion über Modi und Probleme der Luther-Rezeption in der deutsch-jüdischen Ideengeschichte. In den acht Beiträgen, die den Band konstituieren, werden von den Autorinnen und Autoren die philologischen, politischen und philosophisch-theologischen Aspekte der Konfrontation Rosenzweigs mit der Lutherbibel umfangreich beleuchtet und in eine weiträumige diachronische Perspektive eingebettet, die ihre Kontextualisierung in der Debattenkonstellation der Weimarer Jahre ermöglicht und zugleich auf ihre historischen Filiationslinien sowie auf ihre Bedeutung für das zeitgenössische Religionsgespräch hinweist.

Die Denkmotive sowie die Argumentationsgelenke des Rosenzweig’schen Aufsatzes werden dadurch zum empfindlichen Seismographen über Hoffnungen, Aporien und Spannungen des Prozesses von „Aneignung protestantischer Kultur“, der die jüdische Assimilation in die deutschbürgerliche Gesellschaft begleitet hat - auch im Fall von Denkern, die, wie Rosenzweig, das Entréebillet der Taufe ausdrücklich und bewusst abgelehnt haben. Der problematische Charakter des aus diesem Prozess resultierenden Lutherdiskurses wird anhand der Diskrepanz zwischen dem assimilatorisch geprägten Wunschbild des Reformators und Übersetzers sichtbar, an das sich die Bewunderung von Intellektuellen wie Ascher, Heine, Cohen und Rosenzweig richtete, und der politischen Theologie des Autors der judenfeindlichen Hetzschriften, welche in den neo-marcionitischen Tendenzen der protestantischen Theologie der Weimarer Zeit zum virulenten und gewaltsamen Ausbruch kam. Auch in dieser Hinsicht zählt zu den Verdiensten des Bandes, aus unterschiedlichen und doch eng miteinander im Zusammenhang stehenden Perspektiven auf die politische Bedeutung des Buber-Rosenzweig’schen Übersetzungsprojektes im Kontext seiner Zeit hingewiesen zu haben: Und damit auf den Versuch, durch eine zunehmend kritische, ja subversive Auseinandersetzung mit der Lutherbibel den Hegemonieanspruch des protestantischen Bibelverständnisses zugunsten eines paritätischen Verhältnisses von jüdischer und protestantischer Bibelwissenschaft infrage zu stellen und die weltgeschichtliche Bedeutung der hebräischen Bibel als eines unverzichtbaren Ortes des wechselseitigen Aufeinander-verwiesen-seins von Juden und Christen zu bekräftigen.

Enrico Rosso

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