Nur der Glaube an Gott bleibt

Die Gemeinde von Moses James Mawa - Menschen, die aus dem Südsudan geflohen sind
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Moses James Mawa war zwanzig Jahre Pastor der episkopalen Kirche des Südsudans, bevor er 2017 nach Uganda floh. Er ist einer von mittlerweile über eine Million Flüchtlingen, die im Norden des Landes vor Krieg und Hunger Zuflucht gefunden haben. Andrea Jeska und Klaus Petrus haben ihn im Norden Ugandas besucht.

Seine erste Predigt im neuen Land hielt Pastor Moses James Mawa über Lot und sein Weib, das Gott nicht gehorchen wollte, sich nach der Stadt Sodom umdrehte, aus der beide geflohen waren, und dann zur Salzsäule erstarrte. Anders als Lot, der standhaft blieb, sich nicht zurückwandte und mit dem Leben davonkam.

Es ging Mawa bei dieser Antrittspredigt nicht darum, seine kleine Gemeinde, die sich gerade erst gefunden hatte, zum Gehorsam aufzufordern. Vielmehr wollte er ihnen sagen, wie schlimm, ja, tödlich es sein kann, sich nicht von dem zu lösen, was hinter einem liegt. Nicht mit Vertrauen in die Zukunft zu blicken. „Gott und die Gemeinschaft“, sagte er, „sind das, was uns trägt, wenn alles andere verloren ist.“ Es waren große Worte inmitten der Hoffnungslosigkeit. Jene, die ihm auf den einfachen Bänken aus Baumstämmen gegenüber saßen, hatten Schlimmes hinter sich. Sie waren, so wie der Pastor auch, vor dem Bürgerkrieg und der Hungersnot in ihrem Heimatland Südsudan in den Norden Ugandas geflohen. Manche hatten Wochen gebraucht, immer auf der Hut vor Regierungssoldaten oder Rebellen, die beide gleichermaßen plündern, vergewaltigen und morden. Viele hatten zuvor erlebt, wie ihre Angehörigen ermordet wurden, wenn die Dörfer überfallen und angezündet wurden, hatten Todesangst gelitten. Was sie aus ihren Häusern, von ihrem alten Leben hatten retten können, war nicht mehr als das, was sie auf dem Rücken tragen konnten: ein paar Töpfe, ein wenig Reis oder Maismehl, eine Matte, eine Decke. Alles andere, die Hütte, der Gemüsegarten, die Tiere, war verloren, vielleicht nicht für immer, aber doch für viele Jahre.

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Moses Mawa kam auch aus dem Südsudan, jetzt leitet er eine Kirchengemeinde in Uganda.

Und nun saßen sie in dieser provisorischen Kirche, und es war Mawas Aufgabe, unter all den Trostworten, die die Bibel für die Hoffnungslosen bereithält, jene zu finden, die für die Zukunft Mut machen. Er stand vor ihnen, einen Altar, eine Kanzel gab es nicht, keine Orgel, keine Gesangsbücher. Nicht einmal Wände, um die Gläubigen vor Wind und Regen zu schützen, nur das Dach auf langen Pfosten, nur die Baumstämme zum Sitzen. Und doch schien es ihm, als hätte es in den zwanzig Jahren, die er Pastor der episkopalen Kirche des Südsudans war, keinen Gottesdienst gegeben, der ihn so anrührte.

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Die Geflüchteten aus dem Südsudan verändern den Norden Ugandas, es entstehen neue Straßen, Schulen und lokale Märkte wie hier in Bidi Bidi.

Mawa ist einer von mittlerweile über einer Million Flüchtlingen, die im Norden Ugandas vor dem Krieg und dem Hunger in ihrem Land Zuflucht gefunden haben. Der Südsudan steht auf der Skala der hungernden Länder seit zwei Jahren ganz oben, und auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskatastrophe im Sommer 2016 kamen täglich 2000 Menschen über die Grenze. Inzwischen ist der Strom den Aussagen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) zufolge abgeflaut, hat sich auf hundert Menschen pro Tag verringert, doch die Anzahl der Hilfesuchenden stellt Uganda vor eine große Herausforderung. Die Flüchtlinge erhalten von der Regierung Land - fünfzig mal fünfzig Meter pro Familie -, haben Bewegungsfreiheit sowie Zugang zu Gesundheitseinrichtungen und Schulen. Hintergrund dieser Großzügigkeit ist der Wunsch, keine Flüchtlingslager entstehen zu lassen, in denen Verzweiflung und Kriminalität herrschen, sondern die Flüchtlinge langfristig zu integrieren. Das aber ist nur möglich, wenn sie sich selber durch den Anbau von Grundnahrungsmitteln versorgen können. Zum anderen profitiert die ugandische Regierung von internationalen Geldern, die zur Versorgung der Flüchtlinge bereitgestellt werden.

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Dass dies nicht in dem Maße geschieht, wie erhofft, sorgt für Unmut bei der Regierung - und inzwischen für Not bei den Geflohenen. Die Mittel, die direkt in die Kasse der Regierung fließen, sind nicht so üppig, wie die durch zahlreiche Korruptionsvorwürfe belasteten Mitglieder gehofft hatten. Schlimmer jedoch ist, dass die zugesagten Hilfsgelder der internationalen Gemeinschaft bislang nur zu einem Viertel geflossen sind - und dieses Viertel ist nahezu verbraucht. Rund dreißig Hilfswerke kümmern sich um die Flüchtlinge, verteilen Planen und Pfosten zur Errichtung erster Unterkünfte, Lebensmittel, Medikamente, Kleidung, stellen Psychologen und Sozialarbeiter und bauen Schulen und Krankenstationen. Doch die Knappheit der Mittel erschwert die Situation. Inzwischen gibt es Engpässe bei der Lebensmittelverteilung, und der UNHCR schätzt, dass diese sich noch verschärfen werden. Schon jetzt packen die ersten Mitarbeiter von Hilfsorganisationen ihre Koffer, laufen Hilfsprogramme aus.

Kraft der Gebete

In dieser Situation - und auch, weil sie es in den Wirren der vielen südsudanesischen Kriege schon immer so getan haben - sorgen die Flüchtlinge füreinander und versuchen, ihr künftiges Leben in die eigene Hand zu nehmen. Moses James Mawas Gemeinde besteht aus rund 260 Menschen, die aus verschiedenen Dörfern des südlichen Sudans geflohen sind und sich sogleich zu einer Gemeinde zusammenfanden. „Die Menschen waren verzweifelt, hungrig, sie hatten Heimweh und wussten nicht, wie es weitergehen würde. Die Sehnsucht nach Gottes Wort war groß“, beschreibt Mawa die ersten Tage im neuen Land.

Noch bevor die Flüchtlinge ihre eigenen Hütten errichtet hätten, seien sie zu ihm gekommen und hätten ihn gebeten, ihr Pastor zu werden. Sie hätten zunächst unter freiem Himmel gebetet. „Dann haben die Menschen gesagt: Pastor, wir brauchen eine Kirche. Ich habe geantwortet, ‚Wir können keine Kirche bauen, wir haben kein Geld.‘ Und sie haben gesagt, sie würden einen Teil der Lebensmittel, die sie erhielten, auf dem Markt verkaufen und davon Holz und Gras einkaufen.“ Dass es so geschah, glaubt Mawa, sei Gottes Gnade zu verdanken und der Kraft der gemeinsamen Gebete.

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Zu den besonders Verwundbaren unter den Geflüchteten gehören nebst Kindern die alten Menschen. Nicht immer reicht das Essen, denn oft sind die Weltpreise auf Nahrungsmittel zu hoch.

Mit jeder neuen Flüchtlingswelle ist im Norden Ugandas eine neue Siedlung entstanden. Was auf die Flüchtlinge nach ihrer Rettung wartet, ist ein Leben voller harter Arbeit und Entbehrungen. Denn der Boden im Norden Ugandas ist trocken, es ist karges Buschland, auf dem man die Neuankömmlinge ansiedelt. Wasser und Brunnen sind knapp, auch gibt es nur wenige Bäume für Feuerholz. 85 Prozent der Flüchtlinge sind laut UNHCR Frauen und Kinder, die den Unbilden eines Flüchtlingsdaseins besonders ausgeliefert sind. Mawa weiß, dass seine Predigten keine Antworten auf die Frage nach dem „Warum“ liefern und dass von ihnen auch niemand satt wird, aber der Gottesdienst, sagt er, sei die einzige Zeit, in der die Menschen singen, tanzen und ausruhen könnten. „Wenn man fast gar nichts mehr hat, sind Frohsinn und Lachen ein hohes Gut.“

Provisorische Kirche

Rund zweitausend Euro hat die Gemeinde die Errichtung ihrer Kirche gekostet. Die Hälfte der Summe stammt aus den Ersparnissen, die seine Gemeindemitglieder retten konnten - „im Bund der Unterhose oder eingenäht in den Saum der Röcke“ -, die andere aus dem Verkauf der Lebensmittel, die sich die Mitglieder vom Munde absparten. Sobald sie aus ihren frisch angelegten Gemüsegärten die erste Ernte einfahren und auch davon wieder einiges auf dem Markt verkaufen können, wollen sie Wände unter dem Dach errichten, zumindest halbe Wände, die den Regen abhalten.

Wenn Mawa nicht predigt, besucht er jene Gemeindemitglieder, die sich nicht alleine helfen können: kranke Mütter oder alte Menschen. Zu seiner Gemeinde gehören auch zwölf Kinder, die entweder auf der Flucht von ihren Eltern getrennt wurden oder Waisen sind. Sie alle haben Pflegefamilien gefunden. „Wir haben schon viele Kriege erlebt. Es ist unsere Tradition, dass wir Kinder in unsere Familien aufnehmen, die keine Eltern mehr haben. Auch dann, wenn man selber arm ist.“

Manchmal, wenn es jemand wünscht, empfängt er seine Schäfchen in seiner provisorischen Hütte. Darin stehen ein Bett mit einem Moskitonetz und ein selbstgezimmerter Nachtisch mit einigen Büchern und einer Kerze. Zwischen Bett und Hüttenwand ist gerade genug Platz, um eine Leine aufzuhängen, auf der die wenigen Kleidungsstücke des Pastors drapiert sind und den Ratsuchenden beim Gespräch in den Haaren hängen. Viel mehr als das, sagt Mawa, habe er auch im Südsudan nicht besessen, doch immerhin eine feste Hütte, ein paar Töpfe und eine große Feuerstelle zum Kochen gehabt.

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Zuerst haben die Menschen unter freiem Himmel gebetet, dann haben sie gesagt: „Pastor, wir brauchen eine Kirche“.

Mawa kam vor eineinhalb Jahren nach Uganda, als sein Dorf, wie so viele im Südsudan, zum Kampfgebiet zwischen der Armee und Rebellen wurde. Die Bewohner waren so schnell wie möglich geflohen und hielten sich zwischen Büschen und Bäumen versteckt. Als die Kämpfe vorüber waren, gab es ihr Dorf nicht mehr. Schon damals dachte Mawa an Lot und sein Weib, wie sie sich auf den Weg gemacht hatten und ihnen nur der Glaube an einen gnädigen Gott blieb, nur die Hoffnung auf hellere Tage.

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Moses Mawa: „Manche von uns sind katholisch, manche evangelikal, aber das spielt keine Rolle: Der Krieg hat uns gleich gemacht, jeder von uns hat viel verloren.“

Nicht alle von Mawas Gemeindegliedern sprechen dieselbe Sprache. Deshalb predigt Mawa in seiner Heimatsprache Mbari, und ein Mann aus der Gemeinde übersetzt jeden seiner Sätze ins Arabische. Nicht alle haben in ihrer Heimat der episkopalen Kirche angehört, manche sind katholisch, andere anglikanisch. Mawa sieht darin kein Problem. „Der Krieg hat uns gleich gemacht, jeder von uns hat viel verloren. Deshalb ist hier im Exil jeder unser Nächster, und wer immer mit uns betet, teilt unser Leid und unseren Glauben.“

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Text: Andrea Jeska / Fotos: Klaus Petrus

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