Übung

Über das Schweigen
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Die Hamburger Pastorin Gundula Döring hat Erfahrungsberichte, Interviews und Vorträge herausgegeben, die alle um eine leere Mitte kreisen.

Gundula Meyer ist eine namhafte europäische Zen-Lehrerin. Zui-Un-An, wie sie 1985 bei der Übertragung der Lehrerlaubnis genannt wurde, „Glück verheißende Wolke“, arbeitete vor ihrem sechsjährigen Zen-Training in Kamakura als evangelische Pfarrerin in Lübeck und Manchester. Meyer hat bis dato so gut wie nichts veröffentlicht. Und jetzt doch noch ein Buch? Ja, aber kein traditioneller Zen-Text.

Die Hamburger Pastorin Gundula Döring hat Erfahrungsberichte, Interviews und Vorträge herausgegeben, die alle um eine leere Mitte kreisen, um jene schlichte Übung der Präsenz, die Meyer mit „Hier! Jetzt! So!“ umreißt. Sie vermittelt dies nicht nur in regelmäßigen Zen-Exerzitien, sie hat auch den Weg in das Pastoralkolleg der Nordelbischen Kirche gefunden, in dessen Verweilzeiten sich Meyer und die Herausgeberin vor Jahren begegnet sind. Daraus hat sich eine ökumenisch offene „Oase der Stille“ entwickelt, für die Meyer Kurse im stillen Sitzen anbietet. Apropos leere Mitte: Der Band, um den es geht, ist wie eine Zwiebel aufgebaut. Im Zentrum finden sich Erfahrungsberichte von Schülern, die aus einem christlichen Kontext stammend die Übung der gegenstandslosen Meditation aufgegriffen haben. Um diese Essays herum liegt eine zweite Schicht aus Reflexionen Dörings über Protestantismus und Kontemplation sowie einem Gespräch zwischen Meyer und ihr. Jeder, der ein geistliches Amt anstrebe, sollte sich auch mit einem spirituellen Weg vertraut machen, rät Meyer darin, ob dieser Weg nun Zen, Kontemplation, Achtsamkeit oder Herzensgebet heißen mag.

Die äußere - und eigentlich tragende - Schicht der Anthologie bilden drei Texte aus Gundula Meyers eigener Feder. Auf einen Bericht an ihre Kirchenleitung von 1980 folgt eine Ansprache von 1992. Sie veranschaulicht eindrücklich, wie die Stimmen von Zen und Christentum in einer transreligiösen Begegnung zusammenfinden: Meyer brütete in ihrer japanischen Zeit einmal über einem besonders sperrigen Koan, einer rational nicht auszulotenden Zen-Geschichte. Ein Lehrer antwortet darin seinem kranken Schüler, der ihn um die Befreiung von seinen Sünden bittet: „Bring mir deine Sünden und ich will sie für dich tilgen.“ Was meint der Meister damit? Als Gundula Meyer nicht weiterkommt, gibt der buddhistisch geprägte Yamada Koun einen entscheidenden Wink in der Sprache seiner christlichen Schülerin: „But, Gundula, there is no sin in God!“ Barrieren auf dem Weg in die Stille bestehen auch aus fixen Ideen, in diesem Fall waren es starre Vorstellungen von ‚Sünde‘, die den Blick für das Wesentliche und Naheliegende verstellten.

Im letzten Text „Leben in Gnade - Leben aus Gnade“ von 2017 tritt die erste Person der Sprecherin noch stärker zurück. Gundula Meyer stellt die Kern-Wahrheit jeder geistlichen Übung heraus, die mehr sein will als eine subtile Form von Psycho-Wellness: Gott, offene Weite oder, wie es in einem hübschen Druckfehler auf Seite 30 heißt, das „Seelenrund“ - es ist immer schon da, aber wir sehen es vor lauter Ich und Mein und Mir und Mich meist nicht. Wenn wir es aber doch einmal realisieren, dann ganz bedingungslos - kein Werk, keine Leistung, kein Verdienst! Das meint für Meyer „Gnade“. Sie bedeute nicht, sich einfach in die Hängematte zu werfen. Übung, systematische und ausdauernde Übung, sei zunächst und für lange Zeit notwendig, um capax dei zu werden, fähig, Gott aufzunehmen.

Es ist ein tagheller Weg, den einem Gundula Meyer da weist, eine nüchterne, plausible praxis pietatis, die ohne Raunen und lauten Enthusiasmus zur Sprache kommt.

Friedmann Harzer

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