Meisterstücke

Geschichten von Hebel
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Die Lektüre lohnt sich, und sie lohnt sich wirklich, weil die Erzählungen literarische Meisterstücke sind.

Warum soll 2018 jemand Johann Peter Hebels Biblische Geschichten lesen, die zwischen 1821 und 1823 entstanden sind? Hebel war damals Prälat der „Vereinigten evangelisch-protestantischen Kirche des Großherzogtums Baden“. Heute hieße sein Amt Landesbischof. Und es fehlte ein zeitgemäßes Lesebuch mit biblischen Geschichten für die zehn- bis 14-jährigen Gymnasiasten. So verfasste der durch seine Alemannischen Gedichte und vor allem durch seine Kalendergeschichten Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreunds bekannt gewordene Hebel dieses Lesebuch. Es wurde bald nicht nur in Baden, sondern auch in Württemberg, der Schweiz und sogar in Italien als Schulbuch genutzt. Bereits 1825 erschien eine katholische Bearbeitung.

Was war der Grund für diesen Erfolg? Hebel schreibt volksnah und zugleich aufklärerisch. So erzählt er von der Witwe in Sareptha, deren Mehl und Öl nicht ausgingen, so lange der Prophet Elias bei ihr wohnte. Und es folgt: „Es ist wohl zu glauben, dass es gute Menschen aus der Nachbarschaft waren, welche der armen Frau täglich so viel zum Unterhalt des Propheten zutrugen, dass sie und ihr Kind auch davon zu leben hatten. Wiewohl Gott auch die Seinigen kann wunderbar retten und segnen und die Gutmütigkeit einer vertrauenden Seele belohnen.“ Das heißt, dass Hebel Wunder lebenspraktisch zu erklären versucht, ohne aber rationalistisch auszuschließen, dass Gott auch Wunder wirken könne.

Er erzählt nicht weitschweifig und somit nicht langweilig. Er bemüht sich, die Distanz zwischen dem Erzählten und dem Alltag der Schüler so gering wie möglich zu halten, das biblische Geschehen zu vergegenwärtigen, damit sich die Leser in das Erzählte hineinversetzen können. Aus den biblischen Erzählungen macht er knapp, präzis und verständlich geschriebene Kurzgeschichten.

Dabei wählt er aus; er erzählt Ereignisse aus dem Alten Testament, die sich gut zu Kurzgeschichten formen lassen, die ein „narrativ-dramatisches Potential“ haben, wie es Karl-Josef Kuschel nennt; die eine „weisheitliche, lebenspraktische Pointe“ besitzen; und er erzählt von den „menschenfreundlichen Handlungen“ Jesu, von seinen Wundern und von seinen Predigten. Zu den Wundern meint er: „Verständige Kinder wollen etwas nicht sogleich für unmöglich halten, weil sie es aus Mangel an gehörigen Kenntnissen nicht geschwind begreifen können.“ Wenig später resümiert er: „Aber nicht alles, was Jesus seinen Zeitgenossen sagt, gilt so auch für alle Menschen und für alle Zeiten.“

Schwarz-Weiß-Malerei lag Hebel fern. Er kritisiert die Grausamkeit des Propheten Elias, die Unhöflichkeit des Elisa, und über Rebekka schreibt er, sie „war eine Frau von listiger Gemütsart, nicht immer, wie eine redliche Hausfrau und treue Mutter sein soll“. Auch die Personen des Neuen Testaments werden in ihren Widersprüchlichkeiten dargestellt.

Nun sind die Biblischen Geschichten in einer schön gestalteten Ausgabe wieder veröffentlicht worden. Ein Vorwort von Karl-Josef Kuschel und ein Nachwort von Thomas Weiß geben Erklärungen zu Entstehung, Bedeutung und Wirkung des 1824 erstmals erschienenen Buchs. Weiß, der auch Religionsunterricht erteilt, räumt ein, dass Hebels Sprache heutigen Schülern fremd geworden ist.

Was am Beginn des 19. Jahrhunderts neu war, aufregend und zugleich glaubenstärkend, dass Hebel keinen unlösbaren Widerspruch zwischen der naturwissenschaftlichen Erforschung der Welt und einer biblisch fundierten Schöpfungsfrömmigkeit sah, dass er Prinzipien der Aufklärung vertrat und biblische Erzählungen nicht unkritisch las - das alles ist heute nichts Neues. Deshalb lohnten diese alten Texte die erneute Lektüre nicht. Die Lektüre lohnt sich, und sie lohnt sich wirklich, weil die Erzählungen literarische Meisterstücke sind, unterhaltsam und eindringlich vorgetragen, gelegentlich humorvoll bis ironisch, fromm und menschenfreundlich.

Jürgen Israel

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