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Reformation und Kunst
Bild
Es mag ein Klischee sein, dass der Protestantismus mit dem Bild fremdelt. Aber in jedem Klischee steckt ein Körnchen Wahrheit.

Wer meint, während der Lutherdekade und im Jahr 2017 alles Wesentliche über die Reformation gelesen zu haben, für den gibt es noch eine etwas verspätete Überraschung: die grundgelehrte und gedankenreiche, ebenso profunde wie provokative Studie des amerikanischen Kunsthistorikers Joseph Leo Koerner über Luther und die Kunst. Auf Englisch ist sie schon 2004 erschienen, aber es brauchte das Jubliäumsjahr, um sie nach Deutschland zu bringen. Man merkt ihr die zeitliche Verzögerung an, denn sie repräsentiert eine Forschungsrichtung und Deutungslinie, die inzwischen wenn nicht überwunden, so doch vielfältig in Frage gestellt wurde. Denn Koerner vertritt eine dezidiert kritische Betrachtung der reformatorischen Ästhetik. Dabei konzentriert er sich weniger auf die Bilderstürmer, die die Mainline-Reformatoren ja sogleich erfolgreich bekämpft haben. Vielmehr versucht er zu zeigen, dass Luthers Einstufung von Bildern als „Adiaphora“, die man haben könne oder auch nicht, zu ästhetischer Gleichgültigkeit geführt hat. Dessen Wiederbelebung der prophetischen Bilderkritik, die Beendigung der mittelalterlichen Idolatrie und schließlich die Herabstufung des Bildes zu einem bloß nützlichen, religionspädagogischen Medium hätten auf lange Sicht im Protestantismus zu einer künstlerischen Mangelwirtschaft geführt.

Gegen diese Deutung, die eine lange Tradition hat, wurde inzwischen vielfach Widerspruch eingelegt: zuerst von Werner Hoffmann mit seiner großen Ausstellung „Luther und die Folgen für die Kunst“ in der Hamburger Kunsthalle (1984), die die ästhetischen Modernitätspotentiale der Reformation demonstrierte, dann von der monumentalen Aufarbeitung des innovativen Typus der „Gesetz-und-Evangelium“-Bilder durch Heimo Reinitzer (2006) oder durch die Sammlung der altlutherischen Kirchenkunst in Norddeutschland von Anselm Steiger (2016). Und wer sich etwa von der Berliner Kunsthistorikerin Elke Anna Werner durch die neuere Cranach-Forschung führen lässt, kann eine Ahnung davon gewinnen, wie viel Aufbruch in den Flugschriften, der Druckgrafik überhaupt, der Porträtkunst, dem Buchdruck und der Buchillustration sowie der Kirchenausstattung des jungen Protestantismus wirksam war.

Dennoch bleibt Koerners Perspektive relevant. Sie inspiriert ihn zu hochinteressanten Betrachtungen, etwa von Cranachs Wittenberger Altar und vielen anderen Gemälden und Grafiken. Vor allem stellt sie uns vor die Frage, welchen Eigenwert Bilder für die reformatorische Theologie besitzen. Sind sie nur Hilfsmittel, immer einem vorgegebenen Inhalt unterworfen, oder können sie ein Eigenleben entfalten? Es kann doch kein bloßer Zufall sein, dass die Bildkunst im katholischen Raum zu ganz anderen Höhenflügen ansetzte, als im protestantischen Norden. Auch die habituelle Stillosigkeit des deutschen Protestantismus, der in seiner Konzentration auf die richtigen Inhalte kaum ein Gespür für ästhetische Gestaltungsfragen entwickelt hat, kommt nicht von ungefähr. Es mag ein Klischee sein, dass der Protestantismus mit dem Bild fremdelt. Aber in jedem Klischee steckt ein Körnchen Wahrheit, das es wert ist, bedacht zu werden. Wie Koerner dies tut, eröffnet vielfältige Bildungserlebnisse. Zum Beispiel - fun fact zum Schluss -, dass die Bilderstürmer ihre Wut nicht nur an Marien- und Heiligenfiguren ausließen, sondern mindestens ebenso an Kruzifixen. Die Idee, Kreuze in Amtsstuben anzubringen, wäre diesen ersten Protestanten als eine absurde Gotteslästerung vorgekommen.

Johann Hinrich Claussen

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