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Vision des digitalen Zeitalters
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Das Buch ist lesenswert, um ein Unbehagen hervorzurufen.

Die Vision des digitalen Zeitalters ist eine total vernetzte Welt, in der spezialisierte Roboter und Maschinen mit künstlicher Intelligenz den Menschen immer mehr Arbeit abnehmen. Zugleich wird der Mensch, selbst mehr oder minder robotisiert, zu einem Maschinenmenschen, der nicht nur mit seiner eigenen Mutierung umzugehen lernen muss, sondern auch damit, mit den immer menschenähnlicher werdenden Robotern zusammenzuleben. Es wird die ganze Palette geben, weit über die Arbeitsroboter in den Fabriken hinaus: von Haushaltsrobotern über Pflege- und Sexrobotern bis hin zu Killerrobotern, die die Soldaten, Söldner, Selbstmordattentäter und Drohnen von heute überflüssig machen. Wer sich für derlei Szenarien interessiert, möge sich die schwedische Fernsehserie „Real Humans – Echte Menschen“ (zwei Staffeln) ansehen. Da erhalten wir einen anschaulichen Vorgeschmack dieser „schönen neuen Welt“. Von ihr handelt auch das angezeigte Buch, nur viel abstrakter und allgemeiner. Und mit Ethik hat es auch nicht allzu viel zu tun. Gleichwohl ist es lesenswert, um eine gewisse Vorstellung des digitalen Zeitalters zu bekommen. Oder besser noch: um ein Unbehagen hervorzurufen und die Rückfrage an sich selbst: Möchte ich überhaupt in einer solchen digitalisierten und robotisierten Gesellschaft leben? Noch banger die Frage eines der Autoren (Koert van Mensvoort) angesichts der Prognose, dass Ende des 21. Jahrhunderts die Ehe zwischen Menschen und Hubots legalisiert sein dürfte: Wird es dann überhaupt noch rein menschliche Menschen (100 Prozent Bioqualität) geben, die man heiraten kann? Das Unbehagen, das sich bei der Lektüre einstellt, formulierte der Philosoph Richard David Precht vor einem Jahr im spiegel-Interview: „Die Digitalisierung bedroht alles, was ist.“ Man kann es auch so formulieren wie John Pike, der im Buch zitiert wird: „Zuerst gab es den Menschen und keine Maschinen, dann gab es Menschen mit Maschinen, und schließlich gibt es Maschinen und keine Menschen mehr.“ Die Stärke des Buches ist die Vielfalt von Aspekten und Anwendungsbereichen der Digitalisierung und Robotisierung, die die zwanzig Autoren und Autorinnen beleuchten. Seine Schwäche ist, dass es in manchen Bereichen sehr spekulativ und allgemein bleibt und dass das Ganze nur bedingt überhaupt mit Ethik zu tun hat. Oliver Bendel behandelt immerhin „Sexroboter und Robotersex aus Sicht der Ethik“. Er stellt unzählige maschinenethische Fragen, doch bietet er keine Antworten, geschweige denn auch nur den Entwurf einer „Ethik der digitalen Zeit“. Jean-Baptiste J. Vilmer argumentiert in „Terminator-Ethik: Sollten Killerroboter verboten werden?“ vor allem auf der Ebene des Völkerrechts. Gibt es ein Menschenrecht darauf, von einem Menschen statt von einem Roboter getötet zu werden? Und wenn es ethisch wird, dann in fragwürdiger Weise: „Die Pflicht, keine potentiell gefährlichen Technologien zu entwickeln, wird durch die Pflicht ausgeglichen, ebendies zu tun, wenn sie die Auswirkungen bewaffneter Konflikte auf die eigenen Streitkräfte und Zivilbevölkerung eindämmen können. Demzufolge wäre es möglicherweise nicht nur moralisch richtig, solche Waffen einzusetzen, sondern sogar unmoralisch, es nicht zu tun.“ Was soll denn das für eine Ethik sein?! Die Herausgeber fordern in ihrem Vorwort: „Die Neuerfindung der Ethik ist unsere Aufgabe!“ Wirklich? Wenn es unethisch ist, Mitmenschen zu töten, dann bleibt es das, egal ob ich mit der Axt, der Kalaschnikow oder mit einem von mir programmierten Killerroboter töte. Die wirklich ethischen Gretchenfragen werden im Buch zwar da und dort gestellt, doch nirgendwo beantwortet.

Martin Bauschke

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