Bibel und Colt

Italowestern theologisch
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Gründlich breitet Striss die Typologie des Italowesterns aus.

Rund 480 Italowestern hat der Theologe Michael Striss gesichtet, um die vielen biblischen Themen und Motive von Kain und Abel bis zum verlorenen Sohn aufzuspüren. Mit der Exegese dieser Filme legt er eine beeindruckende Materialfülle vor; sein Engagement ist umso erstaunlicher, als in diesem Genre selten Filme von Rang wie „Spiel mir das Lied vom Tod“ oder „Zwei glorreiche Halunken“ zu finden sind.

Eine Stärke des kenntnisreichen Buches ist zugleich eine Schwäche. Striss geht bewusst „enzyklopädisch“ vor. Ob es um Waffen, Glücksspiele, Orte, Sakralbauten oder die Kleidung geht, immer füllt er Seiten. Aber das häufige Aufzählen von Filmbeispielen ermüdet, zumal die Arbeit wie eine Studie und nicht wie ein Nachschlagewerk aufgebaut ist.Gründlich breitet Striss die Typologie des Italowesterns aus. Er führt alle Facetten vor, vom Heuchler, der nur fromm tut, über den Gierigen, der den Mammon an die Stelle Gottes setzt, bis zu den Helden, die auf Colt und Bibel vertrauen oder Bibelverse (nicht immer exakt) und Gebete (nicht immer fromme) auf den Lippen führen. Antikirchliche Affekte werden herausgearbeitet, aber auch positive Kirchenvertreter und Priester nach dem Vorbild der Befreiungstheologen vorgestellt. Oft interpretiert der Verfasser Filminhalte vor dem Hintergrund von Bibelstellen, die freilich eher eine allegorische Funktion erfüllen. Manches wirkt darum überzogen, etwa wenn der stumme Rächer Silence in Sergio Corbuccis „Leichen pflastern seinen Weg“ als „leidender Gottesknecht“ herhalten muss oder Django zur „Jesus-Ikone“ mutiert. Wenn überhaupt, sind Revolverhelden pervertierte Heilsfiguren. Die Filmemacher schätzen die religiöse Aura mehr als das Credo.

Vieles regt jedoch zur Diskussion auch da an, wo man dem Autor nicht folgen mag. Das biblische Menschenbild findet er im katholisch geprägten Italowestern eher wieder als im „protestantisch-calvinistischen“ US-Western, weil Ersterer das Geschöpf realistisch als gefallenes, erlösungsbedürftiges Wesen zeichne. Damit versucht Striss wenig überzeugend die ungeschminkte Brutalität vieler Filme jenseits rein kommerzieller Interessen zu motivieren.

Wiederholt stellt er den traditionellen amerikanischen Wildwestfilm dem so anders gearteten Italowestern gegenüber. In dieser Abgrenzung entsteht zuweilen - wenn auch wohl unbeabsichtigt - der Eindruck, dass der Autor den Italowestern vorzieht. US-Western wie John Fords „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“, Anthony Manns „Nackte Gewalt“, Delmer Daves’ „Der letzte Wagen“ oder John Sturges’ „Die glorreichen Sieben“ sind freilich mindestens so komplex wie einige europäische Genre-Beispiele.

Auch das US-Kino hat eine Entwicklung durchgemacht, die ihrerseits auf den europäischen Western einwirken konnte. Huren, Animierdamen, Schausteller kommen genauso in amerikanischen Pferdeopern vor, wie überhaupt das gesamte Personal vom Sheriff bis zum Barbier nicht neu ist. Lange Mäntel tragen Westmänner nicht erst bei Sergio Leone, sondern schon 1957 in Nicholas Rays Jesse-James-Western „Rächer der Enterbten“. Vorprägungen gibt es auch zum Komplex der Gewalt, deren Darstellung im amerikanischen Kino freilich noch der Zensur unterlag.

Sofern biblische Motive und religiöse Symbole nicht der Religionskritik dienen, erweitern sie positiv den Bedeutungshorizont, weil das Christentum noch immer einen Rest von Sinn stiftet. Der Italowestern stellt sich „mit seiner umfangreichen Rezeption christlich-religiöser Symbolik unbewusst jener fortschreitenden Säkularisierung der westlichen Welt“ entgegen. Kein schlechtes Fazit einer so umfassenden Studie.

Roland Mörchen

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