Zehn Argumente

Auf dem Weg in die Kirche
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Als missionierender Reporter seiner selbst erzählt Tilmann Prüfer, warum und wann er zu beten beginnt, was er dabei sagt und was das mit ihm macht.

Tillmann Prüfer hat das wohl unterhaltsamste Buch der letzten Zeit darüber geschrieben, wie man zum Glauben kommt. Zu einem Glauben, der den Zweifel einschließt und Gott doch vertraut. Tillmann Prüfer ist Mode- und Stilchef des zeit-Magazins. Die in den Kirchen beliebten Sinus-Milieus beschreiben ihn als Angehörigen der „modernen Performer“, der flexiblen Leistungselite, die ein intensives Leben mit vielen Wahlmöglichkeiten führt, extrovertiert und kommunikativ. Er schreibt beruflich über Mode, also den Teil des Lebens, in dem ständig entworfen und verworfen wird. Sein Buch wird zur Liebeserklärung an die Tradition.

Und Tillmann Prüfer wird zum Missionar. Er will seine Lebenswende erzählen. Es wirft ihn aus der Bahn, als ein Freund plötzlich stirbt. Aber er hat gelernt, auch das zu beschreiben. Er bemerkt die Risse in seiner Welt: „Du bist nur okay, solange du lieferst.“ Er geht in die St.-Thomas-Kirche in Berlin, wo er wohnt. Im späten 19. Jahrhundert war sie mit 150.000 Mitgliedern die größte Kirchengemeinde der Welt, eine Megachurch. Heute umfasst sie 1.400 Leute. Den Gottesdienst, bemerkt er, besuchen im Normalfall um die zwanzig Besucher.

Beim Lied „Lobe den Herren, den mächtige König der Ehren“ kommen ihm die Tränen. Er kennt es. Er erinnert sich an das Bonhoeffer-Gedicht „Von guten Mächten“, das seiner Mutter viel bedeutete. Bonhoeffer kommt ihm vor „wie einer der Jedi-Ritter aus Star Wars, voll von Liebe, Stärke, Vertrauen. So einer würde ich auch gerne werden wollen.“ Tillmann Prüfers Familie ist evangelisch geprägt. Er ist der Urenkel des Afrikamissionars Bruno Gutmann, den die Leipziger Mission von 1902 bis 1938 nach Tansania schickte. Vor drei Jahren hat er ein Buch darüber geschrieben. Die Mission wird zum Familienerbe.

Jetzt geht er in ein Kloster, um Gott näher zu kommen. Er trifft sich mit Pastoren, die das „Berlinprojekt“ betreiben, eine freikirchliche Gemeinde für moderne Performer wie ihn, mit wachsenden Zahlen. Sie feiert Gottesdienste im Kino „Babylon“ und der Tanzschule „Bebop“. Er reist nach Israel, wo ein besonnener Freund Angst davor hat, dass das Land immer religiöser wird. Er trifft eine Moderatorin des frommen Evangeliums-Rundfunks, für die „Gott die reine Wonne ist“. Aber sein Platz, so fühlt er, ist bei den wenigen in der Thomasgemeinde. Weil sie genau so zweifeln wie er, und weil sie vorsichtig und zaghaft glauben wie er.

Als missionierender Reporter seiner selbst erzählt er, warum und wann er zu beten beginnt, was er dabei sagt und was das mit ihm macht. Das findet man in der Kirche selten.

Pädagogisch wertvoll beschreibt Prüfer die Weltfremdheit seiner Kirche. Er liest in der Mode ihrer Mitglieder und versucht, ihre Nischensprache zu übersetzen, er beobachtet die zu kleine Gemeinde in der zu großen Kirche und die abgeranzten Räume mit der Yuccapalme in der Ecke, „die nach Erlösung ruft“, deren Gruppen sich versammeln wie eine verfolgte Sekte. Aber ihn beeindrucken die Menschen, die dem alten Glauben neue Seiten abgewinnen, und darüber festigt sich sein Vertrauen auf Gott. Deshalb listet er zum Schluss zehn Argumente für den Glauben auf. Keines ist neu, aber jedes lebt davon, dass er es entdeckt und mit seinen Worten beschreibt.

Das Nachwort macht eine versteckte Liebeserklärung. Er, Fan von Eintracht Frankfurt, trifft sich mit einem Freund im Stadion von Werder Bremen. Zwei Vereine, die regelmäßig um den Klassenerhalt kämpfen mussten, angeschlagen und glanzlos. „Aber die Liebe war da“, schreibt er, „und sie nahm uns mit.“ Das hat er auch mit seiner Kirche erlebt, und das macht ihn zum Missionar wie sein Urgroßvater.

Wolfgang Thielmann

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