Links unten ein Mops

Die Ausstellung über „Das Junge Rheinland“ in Düsseldorf
„Die Zeitgenossen“ von Arthur Kaufmann, 1925 (links). Max Ernst: „Die Jungfrau züchtigt ihren Sohn“, 1926. Fotos: Rheinisches Bildarchiv Köln
„Die Zeitgenossen“ von Arthur Kaufmann, 1925 (links). Max Ernst: „Die Jungfrau züchtigt ihren Sohn“, 1926. Fotos: Rheinisches Bildarchiv Köln
Die Künstlervereinigung „Das Junge Rheinland“ propagierte die Abkehr von allem Überlebten. Zur Zeit der Weimarer Republik gingen von ihr Kunstimpulse aus, die weit über die Grenzen der Region hinaus registriert wurden. Der ehemalige zeitzeichen-Chefredakteur Helmut Kremers hat eine Ausstellung über die Gruppe besucht, die noch bis 2. Juni zu sehen ist.

Die dicke Dame fällt ins Auge. Sie steht im Zentrum. Johanna Ey, später nur Mutter Ey genannt, ihres Zeichens Galeristin und der Magnetpol des Künstlerbundes „Junges Rheinland“. Ihre Stärke war es, Talente zu entdecken und bereits arrivierte Künstler an die rheinische Metropole Düsseldorf zu binden.

Auf dem Gemälde, das den Besuchern der Ausstellung als erstes in den Blick fällt, ein Gruppenbildnis einiger der führenden Mitglieder der Künstlervereinigung „Das Junge Rheinland“, ist einer der Arrivierten nicht zu entdecken: Max Ernst. Er lebte, horribile dictu, in Köln, doch war man in diesen Kreisen über die folkloristisch gut gepflegte Abneigung zwischen den rheinischen Nachbargroßstädten erhaben. Sein bekanntes Gemälde „Die Mutter Gottes züchtigt den Jesusknaben in Gegenwart dreier Zeugen“ ziert denn auch den Titel des Katalogs, damals ein provokantes, heute ein humoristisches Motiv.

Dieses „Junge Rheinland“ sollte zu einem getreulichen Spiegel unruhiger Zeiten werden. Zu seiner Gründung war schon wenige Tage vor dem Waffenstillstand am Ende des Ersten Weltkrieges (11. November 1918) aufgerufen worden, schließlich wurde der Bund von den Nazis langsam erdrosselt - schon 1933 waren zahlreiche Düsseldorfer Künstler verhaftet worden. Dass aber diese Vereinigung länger als die Weimarer Republik existierte, lag nicht an künstleruntypischer Harmoniesucht, im Gegenteil, die Jahre ihres Entstehens, Blühens und Verdorrens waren tumultuös: Gründung von Unter- und Nebenbünden, Abspaltungen, Zerwürfnisse, Wiederversöhnungen…

Unruhe allenthalben, auch politisch, gerade in den Rheinlanden. 1918 gab es auch in Düsseldorf eine „Novemberrevolution“, das Polizeirevier wurde besetzt, belgische und britische Soldaten rückten ein, blutige Ausschreitungen und Straßenschlachten tobten bis Ende April 1919. Mittendrin die Ausstellung „Junge Düsseldorfer Künstler“ - Februar/März 1919 - und die offizielle Gründung des „Jungen Rheinlands“ am 24. Februar. Doch keine „Bewegung“ ohne Feindbild: Hauptgegner für die jungen und die nicht mehr ganz so jungen „progressiven“ Künstler war der Direktor der renommierten Kunstakademie. Er hieß Fritz Roeber und galt als Vertreter obsoleter, weil der Vergangenheit angehörender Kunstrichtungen.

Nach Kräften beleidigt

Und so galt es den „Jungen Rheinländern“ als schweres Sakrileg, als einer der ihren 1921 das Angebot annahm, Professor an ebendieser Institution zu werden, einer, der schon arriviert war, als er dem „Jungen Rheinland“ beitrat: Heinrich Nauen, geboren 1880. Die anderen waren empört, und dies keineswegs verhalten, sie beleidigten den vermeintlichen Verräter nach Kräften. Nauen verließ die Gruppe. Er sollte nicht zurückkehren, auch wenn man sich später so halbwegs versöhnte, indem sich jene anderen darauf einigten, es habe sich um ein Zurückweichen Roebers gehandelt habe. Immerhin berief der auch Paul Klee als Professor.

In der Rückschau scheinen das nur Randquerelen in turbulenter Zeit: Es gärte ja an allen Ecken und Enden, die ganzen Zwanzigerjahre über. Neben den Künstlerbünden agierten die Lebensreformer, die politisch Radikalen, die Schieber, die Gangster. Immer mal wieder beherrschte ein Massenmörder die Extrablätter, in Düsseldorf etwa Peter Kürten, hingerichtet 1931. Alt-, Neu- und Scheinreiche taumelten alkohol- oder kokainstimuliert von einer Vergnügung in die andere, gern bei „Negermusik“, (Shimmy war 1920 Tanz der Saison, Charleston 1925). Wer exzessiv (also nach eigenem Verständnis „wirklich“ lebte), tat dies vorwiegend nächtens -, des Tages Müh’ und Arbeit war für die anderen. Genug Trubel, genug Motion, um heute noch denjenigen nostalgischem Neid einzuflößen, die von der unerträglichen Langeweile des Gegenwärtigen befallen sind.

Das Gemälde „Epoche“ (1928) von Lotte B. Prechner (1877-1967) drückt - so schon damals von der Kunstkritik gesehen - dies Fieberhafte prägnant aus: Ein offenbar gebildeter Mann, elegant gekleidet, steht vor einem Wust von Zeitsignalen, schwer zu deuten, ob er Interesse oder schon leicht abgestumpfte Gewöhnung ausdrückt. Der Mann ist ein Schwarzer.

Übrigens gab es nur ganz wenige Frauen im „Jungen Rheinland“, Prechner ist eine von zweien, die hier in der Ausstellung vertreten sind. Keine von ihnen ist auf dem Eingangs-Gemälde von Arthur Kaufmann (1888-1971) zu sehen. Zwar befinden sich neben Mutter Ey noch zwei Frauen im Bilde. Aber die rechts oben ist eine Künstlergattin, und die Dame links im grünen Kleid sollte eigentlich gar nicht erscheinen. Sie steht da für Adolf Uzarski, der sich geweigert hatte, mit Gert Wollheim porträtiert zu werden.

Daran war Mutter Ey nicht ganz unschuldig. Sie hatte in ihren Galerieräumen Uzarski ausgestellt - und Interessenten in die hinteren Räume geführt, um ihnen „richtige Kunst“ zu zeigen: Bilder von Wollheim. Uzarski war gekränkt. Er war überhaupt einer, der keinem Streit aus dem Wege ging. Mit Wollheim, der sich mit ihm hinsichtlich Verbalaggressivität messen konnte, hatte er sich ohnehin nur mühsam verstanden. Otto Dix aber ist anwesend auf Kaufmanns Gemälde, auch einer, dessen Ruhm sich als haltbar erwiesen hat. Von ihm stammt ein charakteristisches Porträt Uzarskis, wie von ihm gewohnt eher schonungslos, aber Schonung galt ohnehin als bürgerliche Heuchelei.

Dieser Adolf Uzarski (geboren 1885) war einer der Hauptbegründer der Vereinigung und als solcher auf Ausgleich bedacht, ausdrücklich sollte keine ideologisch verfestigte Kunstauffassung für die Mitglieder bindend sein. Er war auch Maler, Graphiker und Verfasser von nicht weniger als zehn satirischen Romanen, die alles anprangerten, was als deutsch-bornierte Selbstgewissheit anzuprangern war. Sein Roman „Möppi“ erregte Aufsehen, in ihm wurde die Düsseldorfer „gute“ Gesellschaft in ihrer Engstirnigkeit aus der Perspektive eines Mopses gezeigt. Sein Gemälde „Eine deutsche Familie“ wirkt wie eine nachgetragene Karikatur zu des Deutschen Spießers Wunderhorn (Gustav Meyrink, 1913).

Uzarskis Weggenosse und Konterpart Gert H. Wollheim war der Spross einer Berliner Industriellenfamilie, er konnte sich die Künstlerexistenz leisten. Und wie fast selbstverständlich war er „links“, der Radikalsten einer. Für ihn wie für Uzarski hieß dies, gegen alles zu sein und zu kämpfen, was als rückständig und reaktionär galt.

Kleine Gemeinheit

Wollheim, seit 1919 in Düsseldorf, malte 1924 „Abschied von Düsseldorf“, auf dem er in einer unter den Künstlern der Gruppe beliebten Karnevalsszenen als eleganter Herr mit Zylinder figurierte. Uzarski fehlt auf dem Bild. Jedenfalls fast. Eine kleine Gemeinheit konnte sich Wollheim nicht verkneifen: Links unten sieht man einen Mops, vielleicht Uzarskis Möppi?

1926 ging Wollheim zurück nach Berlin, blieb auch Maler, ohne die großen Erwartungen, die in ihn nicht nur von Mutter Ey gesetzt waren, noch zu erfüllen.

In der Nazizeit war es das übliche Elend: Die meisten Künstler des „Jungen Rheinland“ galten als „entartet“, viele mussten ins Exil, so auch Gert Wollheim (geboren 1894). Er war Jude, konnte untertauchen, seit 1947 bis zu seinem Tod 1974 lebte er in New York. Uzarski hielt sich in Belgien versteckt, er kam nach dem Krieg zurück nach Düsseldorf. Ihm erging es wie so vielen Schriftstellern und Malern, von denen man in der Nazizeit nichts gehört hatte: Niemand wollte mehr etwas von ihm wissen. Nicht Düsseldorf, sondern Berlin erinnerte 1967 an ihn, drei Jahre später gab es eine kleine Ausstellung im Düsseldorfer Stadtgeschichtlichen (!) Museum, während der Uzarski starb.

In der Ausstellung finden sich, fast ein wenig verschämt, an der Rückseite einer Stellwand, düstere Zeichnungen à la Goya. Sie stammen von Karl Schwesig (1898-1955) und zeigen Prügelorgien von Nazischergen beim „Verhör“ unliebsamer Zeitgenossen. Der Künstler war ein Betroffener: ein kleinwüchsiger Mann, der seine linke Gesinnung niemals verleugnete und selbst mehrfach gefoltert wurde.

Nicht alle trieben ihre Gesinnungstreue über die Grenze potenziell selbstzerstörerischer Gefährdung hinaus. Einige gingen blumenmalend ins Innere Exil (so Carl Lauterbach, 1906-1991) oder setzten sogar, wie der Architekt Wilhelm Kreis (1873-1955), der den Düsseldorfer Kunst-„Ehrenhof“ entwarf, unter den Nazis ihre Karriere fort.

Zu den tragischen Figuren, die in ihrem Versuch zu lavieren, scheiterten, gehörte Heinrich Nauen. Er, der auf seinem Niederrhein-Schloss gern Künstlerkollegen bewirtete und dort im Übrigen seiner Naturneigung frönte, durfte bleiben, ohne den Nazis wirklich genehm zu sein, mehrfach kürzte man seine Bezüge, 1940, mit sechzig Jahren, starb er.

Immerwährender Sog

Alles in allem also nur eine Ausstellung über Randquerelen, vielleicht nur über Randkunst? Ganz und gar nicht. Gezeigt wird, dass eines der maßgeblichen Kunstzentren im Westen des ehemaligen Reiches lag. Auch und gerade noch im Aufbruch nach dem Ersten Weltkrieg, selbst wenn die Metropolen der gelasseneren Leichtigkeit (München) und der geballten Lebenshektik (Berlin) einen immerwährenden Sog ausübten. Also nicht nur konventionelle Jubiläumsaktualität. Sondern pars pro toto ein Blick auf das, was uns von jener fernen, aber doch nicht allzu fernen Zeit noch angehen kann. Auch Kunstfreunde kommen auf ihre Rechnung, sie dürften von der Qualität manches Gemäldes überrascht werden, genannt sei nur Wollheims „Die Wahnsinnige“ von 1924.

Und natürlich werden sie, die Kunstfreunde, auf Fragen stoßen, etwa die: Wieso waren so gut wie keine Abstrakten im „Jungen Rheinland“ vertreten? - Spuren zu anderen Geschichten, die in dieser Ausstellung nur angedeutet werden können. Übrigens: Johanna Ey schloss ihre Galerie 1934. Nach dem Krieg wurde sie noch zwei Jahre bis zu ihrem Tod mit Ehrungen überhäuft.

Ars longa, vita brevis, steht über dem Düsseldorfer Ausstellungsgebäude von 1926, die Kunst währet lange, das Leben nur kurz. Banalitäten sind ja fast immer wahr. Information Die Ausstellung „‘Zu schön, um wahr zu sein‘ - Das Junge Rheinland“ Kunstpalast Düsseldorf, bis 2. Juni, Öffnungszeiten Di - So 11-18 Uhr, Do 11-21 Uhr, Katalog in der Ausstellung 29,80.

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Helmut Kremers

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