Sturm laufen

Eine Streitschrift
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Irgendwie kann man Hubertus Halbfas verstehen. Er läuft noch einmal Sturm gegen die katholische Kirche in ihrer konservativen Gestalt. Engagiert und mit Herzblut und überhaupt nicht nüchtern, wie auf der Rückseite des Buches behauptet.

Man kann ihn verstehen und vieles ist auch richtig, was er schreibt: Das Christentum ist ein Teil der Religionsgeschichte. Das Weltbild der Antike und des Mittelalters ist vergangen, die Zweiweltentheorie ist obsolet. Die Bibel ist kein Geschichts- sondern ein Geschichtenbuch, Mythen sind als Mythen zu begreifen. Und schon seit der Reformation in der Kritik sind: Priesteramt, Hierarchie, Marienfrömmigkeit.

Was aber will der Religionspädagoge Halbfas? Er will zurück in die Zukunft. Nicht nur zurück zur Bibel, sondern zurück hinter alles, was nach Lehre riecht - hin zur „Reich Gottes Praxis“ des Jesus von Nazareth. Dessen offene Mahlgemeinschaften werden ihm zum Vorbild einer solidarischen Menschlichkeit, die es heute zu leben gilt.

Der Irrweg der Kirche beginnt für Halbfas bereits bei Paulus, der sich für Tod und Auferstehung interessiert, aber kaum für die Lebenspraxis Jesu. Die Form der Kirchwerdung bis hin zur heutigen „bürgerlich-folkloristischen Gemeindegestalt“ verfällt seiner Kritik. Jesu „Programm“ sei dagegen „eher kirchensprengend“.

Aber, das weiß Halbfas auch, so leicht ist und wird das alles nicht. Zwar meint er, der geschichtliche Jesus, seine Person und sein Werk, seien hinreichend klar zu fassen für die Neudefinition des Christentums als einer „Größe, die sich heute selbst noch nicht kennt.“ Womöglich brächten aber nur wenige den „selbstlosen Mut“ zur „Selbstfindung“ auf.

Das tieferliegende Problem des Ganzen jedoch ist: Selbst ein gut rekonstruiertes Programm Jesu, so Halbfas, wirke für heutige Menschen sehr fremd. Und nicht nur das: Auch Jesu „Gottesverständnis“ sei „nicht mehr das unsere.“ Halbfas meint, nach Gulag und Auschwitz könne keiner mehr sagen, „dass kein Spatz vom Himmel fällt, ohne dass der himmlische Vater es zulässt“.

Halbfas rezipiert den Gedanken der Ohnmacht Gottes. Er sucht Gott als Hintergrund, in der seelischen Tiefe, als eine andere Dimension unserer Wirklichkeit, die nicht nur materialistisch zu fassen ist. Er ist ihm mit Meister Eckart auf der Spur. Er sieht die Phänomene, die uns unerklärlich sind und dockt an Dinge an, die man für esoterisch halten kann. Aber ein gütiger Gott, ein Vater im Himmel, ist für ihn ein Anachronismus.

Kurz: Für das Tun des Guten sind bei ihm allein die Menschen verantwortlich. Also „Jesuaner“ wie Franz von Assisi, Janusz Korczak, Mahatma Gandhi oder Martin Luther King. Letztlich konzipiert Halbfas die Zukunft des Christentums in einer allgemeinhumanen Ethik und Praxis, in der als Gemeinschaftsbildungen auch soziale und ökölogische Nichtregierungsorganisationen ihren Platz haben.

Halbfas sieht sich als Aufklärer. Hans Christian Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ ist seine Parabel. Mit Sünde kann Halbfas wenig anfangen. Sie passt nicht in sein optimistisches Menschenbild. So muss er nicht nur Auswüchse der Sühnopfertheologie oder eine veraltete Erbsündenlehre abstreifen. Nein, er löscht die Gehalte gleich mit. Früh und verdienstvoll hatte der Religionspädagoge Paul Tillich rezipiert. Auch jetzt sucht er mit Tillich die „göttliche Tiefe“ der „realen Welt“. Dabei wäre es angemessen gewesen, auch die Dimension der Entfremdung von dieser göttlichen Tiefe in den Blick zu nehmen, unter der Tillich die traditionellen Topoi der Sündenlehre thematisiert. Denn ohne jene Entfremdung wären Gulag und Auschwitz nicht möglich gewesen.

Sebastian Kranich

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