„Steuern sind das Demokratischste“

Sie hat ein Millionenerbe zu erwarten, dennoch engagiert sich die Wiener Germanistikstudentin Marlene Engelhorn mit anderen im Verein taxmenow, der Vermögende zur Kasse bitten will. Warum?
„Jesus und der reiche Jüngling“ von Louis Rivier (1885 – 1963)
Foto: akg
„Jesus und der reiche Jüngling“ von Louis Rivier (1885 – 1963)

zeitzeichen: Frau Engelhorn, können Sie etwas mit dem Satz anfangen: „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.“ (Mk 10,25)?

MARLENE ENGELHORN: Ja, das steht in der Bibel. Der Satz ist mir bekannt.

Beziehen Sie ihn auf sich?

MARLENE ENGELHORN: Wir müssten hier in die Exegese gehen und uns anschauen,  wofür steht dieser Satz, in welchem Kontext steht er, was ist die Geschichte drumherum? Warum soll dieser Text relevant sein für mich, wie bezieht sich das auf mich?

Im Markus-Evangelium wird die Geschichte eines jungen reichen Mannes erzählt, der eigentlich alles richtig macht, aber am Ende nicht den Mut zur Jesus-Nachfolge hat, weil er seinen  Reichtum nicht aufgeben will. Das macht ihn traurig. Es gibt keine wirkliche Verurteilung des reichen Mannes durch Jesus. Er schätzt, ja liebt den Mann. In dem Kamel-Satz drückt sich eher ein Bedauern Jesu aus.

MARLENE ENGELHORN: Im Grunde sagt dieser Satz nicht aus, was einen in den Himmel bringt. Das sind andere Werte. Wobei ich sagen würde, Reichtum ist grundsätzlich kein Wert. Es ist eine Vergleichskategorie. Das letzte Hemd hat keine Taschen, man sollte nicht zu sehr am Besitz hängen.

Wie würden Sie Ihr Leben selbst beschreiben? Ist es eher bescheiden oder gibt es manche Orte, wo Sie sagen: Okay, ich habe das Geld, ich gebe es aus, auch wenn es nicht besonders bescheiden ist?

MARLENE ENGELHORN: Ich kann aus keinem Buchladen hinauslaufen, ohne Bücher gekauft zu haben. Bücher in der Mehrzahl. Ansonsten spreche ich nicht über meine privaten Verhältnisse.

Warum haben Sie mit anderen „Vermögenden“ die Initiative taxmenow gegründet? Was hat Sie motiviert?

MARLENE ENGELHORN: Ich bin Mitgründerin, ganz wichtig, ich bin nicht alleine mit dem, was ich da mache. Auch wenn viele Menschen mit Vermögen nicht in der Öffentlichkeit stehen wollen, gibt es doch sehr viele unterstützende Menschen, die aktiv mitarbeiten. Begonnen hat es mit der Strategiewerkstatt der Bewegungsstiftung im Februar 2021, an der ich teilgenommen habe, um in die AG Steuergerechtigkeit einzutreten. Daraus sind Schritt für Schritt die Initiative und der Verein taxmenow entstanden.

Was ist Ihr Hauptziel?

MARLENE ENGELHORN: Es war allerhöchste Eisenbahn, dass die Menschen, und da spreche ich in einem Wir, das wirklich „nur“ die sogenannten „obersten“ zehn Prozent beschreibt, dass diese Menschen sich aktiv einbringen, weil sie die Nutznießenden der Gesellschaft sind. Es gibt keinen individuellen Überreichtum oder Wohlstand ohne eine  Gesellschaft, die das alles ermöglicht.

Dagegen stellen Sie die Forderung nach einer gerechteren, höheren Besteuerung der Vermögenden.

MARLENE ENGELHORN: Ja. Denn Steuern sind das absolut Demokratischste, was man machen kann, um zurückzu­geben. Denn wenn man als Ver­mögender Steuern zahlt, dann gibt man die Möglichkeit einer demokratisch gewählten Regierung, einem demokratisch gewählten Parlament, frei zu entscheiden, wie diese Mittel weiterverwendet werden. So kann man dafür  sorgen, dass nicht nur der Wohlstand erhalten wird, sondern auch ausgebaut und für Menschen mehr Wohlstand geschaffen wird, damit wir eine sozial gerechte Welt erarbeiten. Das heißt, wir  zeigen das Mindestmaß an Respekt, indem wir uns einbringen. Ich bin froh, dass es so viele gibt, die da mitmachen. Und wir werden mehr.

Ist also das Hauptmotiv Ihres Engagements Ihr Gerechtigkeitsempfinden? Oder die österreichische Weisheit: Mehr als ein Schnitzel pro Tag kann man eh’ nicht essen?

MARLENE ENGELHORN: Bestimmt auch der Wunsch, eine politische  Gerechtigkeitsvorstellung zu haben und daraus eine konsequente Haltung zu entwickeln. Also nicht dabei zu bleiben, dass ich denke, ich wüsste, was gerecht ist und was nicht. Es geht auch darum zu sagen: Okay, ich habe diesen Vermögenshintergrund und diese Klassenprivilegien. Wieso nutze ich die nicht, um genau darauf aufmerksam zu machen, dass es so problematisch ist, wenn Einzelpersonen einfach so, nur durch die Geburt, an diese Vermögen und  Klassenprivilegien kommen? Ich habe mir gedacht: So, jetzt mache ich aus meinem privaten einfach daraus wieder das, was es eigentlich ist, nämlich ein öffentliches Problem.

Warum steht auf der taxmenow-Homepage nicht ausdrücklich „reich“, sondern „vermögend“? Was ist der Hintergrund?

MARLENE ENGELHORN: Es gibt hier unglaublich viele Begriffe, und sie werden  schwammig verwendet, also reich, wohlhabend, vermögend. Der Witz ist nur, es gibt keine Grenze, ab der man sagt, die Menschen sind reich. Wir wissen sehr genau in der Gesellschaft,  was arm ist. Jedes Land hat eine eigene Armutsgrenze, es gibt eine internationale Armutsgrenze. Aber es gibt keinen Gegenpol dazu: Was ist reich?

Warum nicht?

MARLENE ENGELHORN: Das Problem mit Reichtum ist: Man kann immer reicher sein als. Oder nicht so reich wie. Das ist ein reines Vergleichswort. Bei Vermögen dagegen steckt schon mal die  Machtkomponente drin. Ver­mögen ist Macht. Vermögen hat man ja nur, wenn man etwas übrig hat vom Brauchen, wenn also das Brauchen gedeckt ist und man reinkommt ins Können. Dann geht es um Wollen und Lust und Laune – da sind wir im Vermögen.

Es geht um Macht durch Geld.

MARLENE ENGELHORN: Genau. Martin Schürz, der Ökonom der österreichischen  Nationalbank, schlägt in seinem Buch „Überreichtum“ vor, eine Grenze festzulegen, die als  Gegenpol zur Armutsgrenze funktioniert, dann kann man die strukturelle Abhängigkeit der beiden besser erkennen.

Was wäre der Vorteil?

MARLENE ENGELHORN: Wir wissen, Armut ist nichts Positives. Niemand will arm sein. Es gibt vielleicht Menschen, die wollen sehr bescheiden und minimalistisch sein oder aussteigen. Gut, aber das ist eine freie Entscheidung, und die muss man sich schon einmal leisten können. In der Regel ist das nicht der Fall. Überreichtum dagegen, da schwingt das bereits im Wort mit, ist ein Zuviel, es ist ein Zuviel in privater Hand, das dort nicht hingehört, zumindest nicht in einer  demokratischen Gesellschaft, an der ich aber teilhaben will. Hier ist die  Machtkomponente drin. Darum ist der Begriff des Überreichtums hilfreich. Und Reichtum kennt keine gute Begriffserklärung. Das ist vor allem im Interesse derer, die dann in diese  Kategorie fallen würden, es erlaubt ihnen, zu verschleiern, welches Vermögen, also welche  Macht, sie eigentlich besitzen. Beim Überreichtum müssten sie sich plötzlich offener mit sich auseinandersetzen – und mit ihrer undemokratischen Verfasstheit.

Wird Ihr Engagement von anderen „Vermögenden“ eigentlich als eine Art Verrat betrachtet?

MARLENE ENGELHORN: Ich als die Klassenverräterin? Weiß ich nicht genau. Es kann sein. Ich bekomme sehr viel Zuspruch, und grundsätzlich sind die Reaktionen positiv. Die Leute  bei taxmenow sind ja auch zum Großteil Vermögende, und die sehen das so wie ich. Aber es ist nicht so einheitlich – die Vermögenden: Wer sind die eigentlich?

Aber es kommt vor, dass Sie mal eine böse Mail aus dieser Ecke kriegen?

MARLENE ENGELHORN: Es gibt sicher auch Kritik. Aber es ist ja viel wichtiger, was das gesellschaftlich bedeutet.

Es ist nicht so, dass Sie dadurch auch vermögende Freundinnen und Freunde verloren haben – oder sogar Verwandte, die nicht mehr mit Ihnen reden wollen?

MARLENE ENGELHORN: Das ist kein Thema für die Öffentlichkeit, das geht niemanden etwas an. Ich spreche nicht über diese Menschen. Sie können sich nicht dazu erklären, das wäre unfair.

Sie sind für eine höhere Besteuerung von Vermögen, um mehr Chancen, Teilhabe und   Zukunftsinvestitionen für alle zu ermöglichen. Sie glauben also nicht an die Trickle-down-These, dass der Einkommenszuwachs, den die Reichen in einer Gesellschaft erfahren, sukzessive
auch zu den Mittelschichten und den Ärmeren durchsickert?

MARLENE ENGELHORN: Das ist keine Frage von Glauben oder Nichtglauben. Schauen Sie sich um, es funktioniert ja nicht. Es ist nicht so, als hätten wir irgendeinen Beleg, dass dieses  Trickle-Down funktionieren würde. Ganz im Gegenteil. Wir sehen, dass da ein gegenteiliger  Effekt eingetreten ist. Seit der Neoliberalismus richtig entfesselt wurde, Anfang der 1990er-Jahre, gibt es ein Auseinanderklaffen der Schere Arm-Reich.

Was halten Sie dagegen?

MARLENE ENGELHORN: Viel wichtiger ist, dass wir einen demokratischen Konsens  herstellen können über die Verteilung der Ressourcen, die wir als Gesellschaft herstellen. Und Geld ist eine dieser Ressourcen. Geld gibt es nicht auf Bäumen, Geld gibt es, weil es Staaten gibt, die es legitimieren, als Währung. Wenn es keine anerkannte Institution gibt, die es annimmt,  dann können Sie noch so viele blumige Zahlen auf irgendeinen Zettel schreiben, das nimmt  Ihnen keiner ab. Sie brauchen die gesamte Institution dahinter. Sie brauchen also eine staatliche Institution und gesellschaftlichen Rückhalt, der demokratisch die Macht verteilt und legitimiert.

Das bedeutet: Erst der Staat ermöglicht durch seine Institutionen Reichtum.

MARLENE ENGELHORN: Ja, denn der Staat ist ja nichts anderes als das Ergebnis dessen, dass ein Haufen Menschen sich zu einer Gesellschaft zusammengefunden und einen Verwaltungsapparat für das Zusammenleben geschaffen hat, weil sie wissen, dass Kooperation über Konkurrenz steht.

Stören Sie sich an Konkurrenz?

MARLENE ENGELHORN: Nein, Konkurrenz kann auch hilfreich sein, in einem gesunden und mitmachenden Maße. Eher so im Sinne des olympischen Geistes, nicht im Sinne eines  Kannibalismus der kapitalistischen Maschinerie. Nicht dieser Fleischwolf, der interessiert mich nicht. Und Trickle-down: Wer kam denn mit dieser Idee? Wahrscheinlich ein Mensch, der sehr vermögend war und keine Ahnung hatte, was es heißt, nicht vermögend zu sein, und der blind war für die Privilegien, mit denen er auf die Welt gekommen ist.

Sie fordern die Wiedereinführung der Vermögenssteuer für Millionen- und  Milliardenvermögen. Das Gegenargument ist immer: Dem können sich die Reichen viel zu  leicht durch Steuerschlupflöcher entziehen. Sticht dieses Gegenargument?

MARLENE ENGELHORN: Nein, das ist Unfug. Menschen, die Vermögen haben, sind nach wie vor Menschen. Sie sind gebunden an die Orte, wo sie groß werden, wo sie arbeiten, wo sie ihre Freunde und Familie haben. Ich würde nicht unterschätzen wollen, wie stark diese  Bindungen sind bei der Wahl des Wohnsitzes.  Natürlich gibt es Vermögende, die sind raff­gierig. Aber es gibt auch Schwarzarbeit. Hat uns das schon davon abgehalten, Einkommenssteuer zu erheben? Nein. Es gibt Diebstahl. Hält uns das davon ab, die Mehrwertsteuer zu erheben? Nein. Grundsätzlich sehe ich nicht, warum per se die Steuer der Grund sein soll, dass Leute wegziehen. Nur wenige ziehen weg, weil sie gierig und unsolidarisch sind.

Sie sind für die Begrenzung von Ausnahmen für Betriebsvermögen und anderen   Sonderregelungen bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Dagegen wird argumentiert, das schade der Wirtschaft, da gerade Familienunternehmen so im Erbfall pleitegehen könnten, so  heißt es. Ist das nicht eine reale Gefahr?

MARLENE ENGELHORN: Der Witz ist: Es gibt nicht einen einzigen belegten Fall, wo eine Erbschaftssteuer ein Unternehmen kaputtgemacht hätte. Dieses Argument fußt ja auf nichts, es fußt auf einer Annahme und einer Angst. Ich möchte das Grundgesetz respektieren, ich halte es aber für einen falschen Ort, diese Angst zu diskutieren. Die ist eine Frage für die   Therapiesitzung und nicht für einen demokratischen parlamentarischen Diskurs.

Immerhin gibt es durch einen parlamen­tarischen Konsens eine Erbschaftssteuer.

MARLENE ENGELHORN: Ja, aber wenn Sie dreißig Wohnungen erben (nebenbei: Wozu brauchen Sie überhaupt dreißig Wohnungen?), dann zahlen Sie Erbschaftssteuer. Wenn Sie aber  dreihundert erben, sind Sie automatisch eine Art Unternehmen und zahlen keine. Das ist doch arg, oder? Das kann nicht sein.

Von Großspendern wie zum Beispiel Bill Gates halten Sie nicht so viel. Können Sie erläutern, warum? Und wollen Sie, wie Sie schon gesagt haben, am Ende nicht auch fast Ihr ganzes Vermögen spenden?

MARLENE ENGELHORN: Ich möchte mindestens 90 Prozent rückverteilen, idealerweise  möchte ich, dass es umverteilt wird durch eine Steuer. Das wäre das Nonplusultra. Schauen wir mal, ob mir das gelingt. Bill Gates persönlich kenne ich gar nicht, und der  interessiert mich überhaupt nicht. Mich interessieren die Praxis und die Selbstverständlichkeit der Praxis des Spendens.

Was stört Sie daran?

MARLENE ENGELHORN: Nun, was steckt eigentlich dahinter? Irgendwelche Privatleute haben Unsummen und dürfen jetzt entscheiden, wie sie damit, falls sie es wollen, in welchen winzigen, winzigen Bruchteilen die Welt retten. Und wie läuft das genau: Normalerweise  gründe ich dann eine Stiftung, um meine Gelder an der Steuer vorbei zu parken. Das ist schon einmal ein Steuerhinterziehungsmodell.

Wenn es so läuft: ja.

MARLENE ENGELHORN: Genau, denn ich könnte mein Geld ja auch dem Sozial­staat  geben, der demokratisch entscheidet, was die Gesellschaft braucht. Aber nein, so nicht. Denn dann dürften andere mitreden, und das will ich nicht, weil ich gerne der König bin. Als König möchte ich über alles bestimmen. Als König ist mir auch egal, wo mein Geld herkommt. Und wo kommt denn das Geld her? Das fragt auch kein Mensch.

Hat Bill Gates sein Geld nicht redlich verdient?

MARLENE ENGELHORN: Na ja, niemand fragt, wie er überhaupt dazu gekommen ist,  diesen sogenannten Erfolg zu haben. Dass da, soweit ich weiß, ein Startkapital im sechsstelligen Bereich im Hintergrund war – plus Mamas Connection zu IBM, wo seine kleine Idee an die  richtigen Leute gebracht wurde. Der hatte verdammt viel Glück – und schon zuvor Vermögen. So viel zu Selfmademan.

Zum Schluss: Fühlen Sie sich inspiriert von sozialistischen Ideen?

MARLENE ENGELHORN: Ich bin bei -ismen wahnsinnig vorsichtig. Ich glaube, sobald ich in einen -ismus hineinrutsche, bilde ich mir ein, die Antwort zu haben. Ich glaube, viel wichtiger als die Antwort ist das Antworten.

Sehen Sie den Kapitalismus als das Hauptproblem?

MARLENE ENGELHORN: Oh, wie er momentan ist, auf jeden Fall, ganz klar. Aber wie gesagt: Es geht mir nicht um -ismen. Es geht darum, was funktioniert und was nicht. Der Grundsatz muss immer die Demokratie sein. Und die freie, gleichberechtigte Öffentlichkeit.

 

Das Interview führte Philipp Gessler am 9. August per Videokonferenz.
 

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