Fundgrube

Konfessioneller Religionsunterricht

Kirchen- und politikgeschichtlich ist dieses Buch eine Fundgrube. Schildert der Bonner Ethiker Hartmut Kreß doch die Genese des konfessionellen Religionsunterrichts (RU) seit dem 19. Jahrhundert quellenkundig und detailliert. Dabei lässt er weder Schlagseiten protestantischer Heroen des bürgerlichen Zeitalters aus – Schleiermachers Abneigung gegen das Judentum wird in ihren Folgen für jüdische Schüler in Preußen geschildert – noch die Entstehungsumstände der geltenden Regelungen des Grundgesetzes. Diese gereichen den Kirchen, insbesondere der katholischen, im Rückblick kaum zur Ehre. Dem Leser drängt sich freilich der Eindruck auf, ihm werde mehr ein komponiertes kirchliches Sündenregister denn eine historisch abgewogene Darstellung präsentiert. Dies vor allem, da religionspädagogische Konzepte kaum gewürdigt werden – insbesondere die seit den 1960er-Jahren richtungsgebende Schülerorientierung – und der Bildungsauftrag von Schule überhaupt unterbelichtet bleibt. Verfolgt wird ein politisches Ziel: Abschaffung des kirchlich verantworteten RU und flächendeckende Einrichtung eines neutral informierenden Ethik- und Religionskundeunterrichts.

Was Kreß vorbringt, ist zunächst einmal korrekt; die Konfessionsstatistik steht der Umsetzung des konfessionellen RU, wie sie bei Verabschiedung des Grundgesetzes gewollt war, entgegen. Und praktisch lässt sich nicht leugnen, dass es so, wie 1949 beschlossen, nicht mehr geht und vielfach in der juristischen Grauzone agiert wird.

Seine politische Absicht lässt den Autor gegenüber dem eigenen Lösungsvorschlag jedoch allzu unkritisch werden. Welcher Lehrer sollte die Aufgabe schultern, über das Kaleidoskop an Religionen, wie es Klassenzimmer bevölkert, allseits fundiert und dabei vorurteils- und klischeefrei zu informieren? Da kein Unterrichtender in Fragen der Religion ein Neutrum sein kann, ist die intendierte Neutralität von vornherein Schimäre. Gerade das Label der „Neutralität“ dürfte die Gefahr manipulativer Einwirkung auf suchende junge Menschen erhöhen. Und wenn die Neutralität gelänge: Was wäre ein nur „informierender“ Unterricht über Religion, in dem das persönliche Zeugnis untersagt wäre und Existenzielles nicht geteilt werden könnte, anderes als Chemie ohne Experimente, Deutsch ohne eigene Schreiberfahrungen, Musik ohne Musizieren? Dem Recht auf umfassende Bildung der Persönlichkeit entspräche das nicht von Ferne.

Kreß’ Absage an ein kooperativ-konfessionelles Modell überzeugt nicht. Sein Vorwurf, durch die begrenzte Auswahl vorkommender Bekenntnisse werde zwangsläufig marginalisiert, fällt auf seinen Favoriten, den nur „informierenden“ Unterricht, unweigerlich mit zurück. Hingegen machte offene Konfessionalität die Position der Unterrichtenden transparent.

Der Schlüssel zu einem verfassungsgemäßen, da Gewissensfreiheit und Bildungsanspruch der Lernenden achtenden Konzept des RU könnte, was Kreß übersieht, im Weiterdenken des Beutelsbacher Konsenses liegen. Vor 45 Jahren wurde für den Politikunterricht festgelegt, dass Lehrende in strittigen Weltanschauungsfragen nicht zu Schein-Neutralität verdammt sind, sondern ihre eigene Position respektvoll als Reibungsfläche anbieten sollen. Erlebte Differenz bildet Mündigkeit heran.

Nützlich und gut zu lesen ist das Werk, da es Handlungsbedarf anzeigt und das historische Problembewusstsein schärft. Mit Kreß’ Einsichten werden pädagogische Praktiker und alle, die für die religiöse Bildung junger Menschen verantwortlich sind, sich jedoch nicht begnügen wollen. Denn auch die Buchstaben der Verfassung töten, fehlt es an bildender Kreativität.

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