Queere Kanäle aus der Kirche

Evangelische Influencer*innen jenseits der Hetero-Norm sorgen erst dafür, dass man uns die Botschaft abnimmt.
Foto: privat

Neulich sitze ich mit einer Freundin bei einem Bier zusammen, und wir lästern über kirchliche Social Media Accounts. Bei mir ist grade in Facebook ein Abendgebet von evangelisch.de aufgepoppt, das lautet: „Gott segne deine Nase, dass du dich nicht an ihr herumführen lässt! Dass du sie aber auch nicht ständig rümpfst!“ Kannste dir nicht ausdenken.

Ich zeige das Prachtstück meiner Freundin, denn sie ist eine der wenigen, mit der ich mein Leiden an der Kirche niveauvoll beseufzen kann – sie ist Theologin. „Warum nur“, frage ich, „sind kirchliche Social Media Accounts so oft so peinlich? Oder sind sie das gar nicht, nur wir sind nicht die Zielgruppe?“ „Doch, doch“, erwidert meine Freundin: „Die sind peinlich. Schau dir mal die Followerzahlen an, niemand will das sehen“. „Naja“, widerspreche ich, „einige sind aber schon erfolgreich.“ Sie schaut mich erwartungsvoll an. „Anders Amen“, sage ich.

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass Sie „Anders Amen“ nicht kennen: Dahinter steht das Pfarrehepaar Steffi und Ellen Radke, die mit ihrem Youtube-Kanal über das Familienleben im Pfarrhaus und alle möglichen queeren Themen ziemlich erfolgreich sind. Nicht so erfolgreich wie „normale“ erfolgreiche Youtuber, aber doch mit Abozahlen im respektablen fünfstelligen Bereich.

Mann beißt Hund

„Anders Amen!“ seufzt meine Freundin auf, „Ach du meine Güte! Reicht es denn heute schon, lesbisch zu sein, um eine Botschaft zu haben?“ Jaja, klingt grenzwertig, aber meine Freundin darf das, sie ist selber lesbisch. „Lesbisch sein ist doch kein Programm!“, schimpft sie.

Nein, ist es natürlich nicht. „Aber“, entgegne ich und kehre nun die Journalistin raus: „Es ist eine Nachricht!“ Vielleicht nicht für uns, muss ich zugeben. Für „uns“ ist die Tatsache, dass es lesbische Pfarrerinnen gibt, ganz normal. „Aber für die meisten Leute ist ein lesbisches Pfarrehepaar immer noch so außergewöhnlich wie Mann-beißt-Hund und nicht so uninteressant wie Hund-beißt-Mann“, doziere ich. „Viele Leute außerhalb der Kirchenbubble sind auch heute noch der Überzeugung, das Christentum wäre frauenfeindlich und homophob.“

Ich kann das sogar untermauern. Kürzlich schrieb eine Kollegin von mir eine Reportage über junge Menschen Anfang zwanzig, die sich in der Kirche engagieren. Ausnahmslos alle berichteten davon, dass Gleichaltrige sehr irritiert über dieses skurrile Betätigungsfeld sind. Alle waren schon mit der vorwurfsvollen Frage konfrontiert, warum um Himmels Willen sie sich ausgerechnet in so einer frauenfeindlichen, homophoben und transphoben Organisation engagieren.

Eine Jahrtausende alte Tradition lässt sich halt nicht einfach in wenigen Jahrzehnten wegwischen. Zumal wir Evangelischen mit unserer Homo- und Frauenfreundlichkeit ja in der weltweiten Ökumene immer noch eine winzige Minderheit darstellen. Wenn heute grüne Aliens auf die Erde kämen und die Angelegenheit neutral inspizierten, müssten sie tatsächlich zu der Auffassung kommen, dass das Christentum unterm Strich eine frauenfeindliche, homophobe, transphobe Religion ist.

Überproportionale Rolle

„Von daher“, nehme ich den Gesprächsfaden mit meiner Freundin wieder auf, „mag das für uns kalter Kaffee sein, für viele andere aber nicht. Die normalen Leute finden es spannend und außergewöhnlich, dass ein lesbisches Pfarrerinnenpaar mit Kind existiert. Und deshalb boomt der Youtubekanal.“

Übrigens boomt ja nicht nur „Anders Amen“. Wenn man sich die Themenpalette erfolgreicher kirchlicher Social Media Accounts anschaut, spielen feministische Auftritte dort eine deutlich überproportionale Rolle. Ja, Lesbischsein allein ist keine Botschaft. Queer sein oder feministisch sein auch nicht. Beziehungsweise lautet die christliche Botschaft eigentlich anders, sie hat mit Erlösung und dem Reich Gottes zu tun.

Aber: Solange die Leute uns für frauenfeindlich und homophob halten (und damit womöglich im einen oder anderen Fall sogar recht haben), können wir diese andere Botschaft nicht anbringen. Weil man uns nicht glaubt. Deshalb müssen wir es raushängen, und zwar so laut wie möglich, über alle Kanäle und in allen Variationen, so lange, bis es uns die Leute tatsächlich abnehmen: „Ja, Hallo, wir sind zwar christlich, aber trotzdem auch feministisch, transfreundlich, wir akzeptieren Homosexualität und geschlechtliche Vielfalt ohne Wenn und Aber.“

Leider macht die Kirche grade das Gegenteil. Feministische und frauenpolitische Arbeitsbereiche werden reihenweise weggespart. Was für eine fatale Fehleinschätzung! Ich hielte ja eine Verdoppelung der Ressourcen für angemessen, und außerdem wäre ein offizielles Schuldbekenntnis der Kirche gut, eine vernehmbar vorgetragene Bitte um Vergebung von ganz oben für das Leid, das Frauen und queeren Menschen in der Vergangenheit zugefügt wurde.

„Anders Amen“ würden vermutlich auch ein cooles Video darüber drehen

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