Sine ira et studio

Zu Ralf Frischs Klimahäresie-Vorwurf und seinen Kritikern
Greta Thunberg in Hamburg, Juli 2019.

Der Beitrag des Nürnberger Theologen Ralf Frisch auf zeitzeichen.net  zur angeblichen Klimahäresie der evangelischen Kirche sorgte im August für Aufregung und harten Widerspruch. Der Theologe Stephan Schaede, Direktor der Evangelischen Akademie Loccum, plädiert für Mäßigung, meint aber, dass das dem Streit zugrundeliegende Thema alles andere als trivial sei.

Sommer 2019: Rasant schmelzen Schnee und Eis an den Polkappen. Der Meeresspiegel steigt. Trockenzonen dehnen sich aus. Extremwetter überziehen selbst Norddeutschland, wo sich Weinranken und Zitrusfrüchte in atemberaubender Penetranz entfalten. Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina tritt mit einer Ad-hoc-Stellungnahme „Klimaziele 2030“ an die Öffentlichkeit, fordert selten eindringlich einen sofortigen gesamtgesellschaftlichen Transformationsschub in Sachen Klimaschutz, um den „sich abzeichnenden ökologischen und zivilisatorischen Systemkollaps“ zu verhindern.[1] Der Nürnberger evangelische Theologe Ralf Frisch aber setzt in einem rhetorisch angestrengten Kommentar der evangelischen Kirche ethische Ketzerhüte auf (https://zeitzeichen.net/node/7759). Grund und Ursache sei der religionsaffine Hype um Greta Thunberg und die durch diesen ausgelöste „Klimahysterie und Klimahäresie“. Sein Kollege Andreas Mertin reagiert mit einem scharfen „Bekenntnis zur Umwelt-Häresie“ (https://zeitzeichen.net/node/7784), während Hermann Fischer-Diebel aus Rostock ihm theologische Brandstiftung und einen „theologischen Irrweg“ vorwirft (https://zeitzeichen.net/node/7773).

Was soll man zu dieser Mischung aus narzisstisch überdrehten, die Grenze des Geschmacklosen schrammenden Humoranläufen aus Nürnberg und dem darauf reagierenden völlig humorfreien Auspacken des kompletten analytischen Bestecks systematischer Theologie sagen, das über die semantischen Pointe der Wendung „Fuck you“ Häresie und Hysterie aufklärt?

Vielleicht dies: Hätte Frisch doch eine knappe Glosse geschrieben und der Versuchung widerstanden, Greta Thunberg und die von ihr ausgelöste Klimaschutzbewegung zum Gegenstand einer Narrenrede zu machen. Vielleicht auch dies: Mehr Parrhesia, kluge Selbstdistanz, um im polemischen Schlagabtausch die „Wahrheit dazwischen“ auszuhalten, wie Foucault einmal in der postmodernen Nachfolge des Paulus eingefordert hat. Vielleicht noch eher mit dem zu früh verstorbenen Präsidenten des EKD-Kirchenamtes Hermann Barth dies: „Nicht mal ignorieren!“ Vor allem aber: Geht’s noch? Hat die evangelische Theologie nichts Besseres zu tun?

Müssen wir im Ernst dieser Tage noch klarbekommen, dass es eine ärmliche Theologie wäre, die Klimaschutzziele zum wesentlichen Anliegen der eigenen Daseinsberechtigung zu machen, und dass es umgekehrt eine ebenso ärmliche Theologie wäre, die sich für Fragen des Schutzes der Schöpfung vor Klimaraubbau überhaupt nicht interessiert – und das auch noch im Namen des Herrn und des kommenden Himmelreiches?

Vor allem aber: Hört auf, an Greta Thunberg herumzuzerren! Vermutlich muss sie in einer auf Personen und Projekte angefixten medialen Welt erleben, wie es ist, Figur einer medialen Aufladung zu werden, um anschließend von den Aufladenden professionell entladen zu werden. Sie erlebt ja schon dieser Tage, wie hinter ihr zunächst international ausstrahlende Moralkulissen aufgebaut, flugs aber wieder abgebaut wurden, war sie doch Kopf einer klimabilanzierend nicht einwandfreien Schiffsreise über den Atlantik hinweg.

Also lasst Greta Thunberg in Frieden! Greta Thunberg orientiert sich an naturwissenschaftlichen Einsichten. Sie hat eine weltweite Bewegung vor allem junger Menschen ausgelöst, die mit der Kirche zunächst einmal nichts zu tun hat und unmittelbar auch nichts zu tun haben wird. Die Gewissheit dieser Bewegung ist eine weltliche. Sie ist insofern für geistliche Kontexte ein immer nur tönerner Gewissheitsproduzent. Von diesen Gewissheiten können weder Theologie noch Kirche zehren. Theologisch und kirchlich gesucht wäre vielmehr eine klimapolitisch relevante Gewissheit, deren Autor Gott ist.

Greta Thunberg platziert seit Monaten eine schlichte weltlich-politische Nachricht derart wirkungsvoll, dass sie weltweit niemand mehr übersehen kann. Die mit dem stumpfen Schwert der bisherigen CO2-Politik initiierten Veränderungen sind indiskutabel, schädigen die Lebensperspektiven der kommenden Generationen. Es ist nicht an der jungen Generation, diese Probleme zu lösen. Das ist Aufgabe derer, die in Politik und Gesellschaft gestalten können und deshalb Verantwortung tragen.

An sie richtet sich die zentrale Frage: Wie packen wir jetzt den gemeinsamen gesellschaftlichen Wandel an, der Klimaschutz gemeinsam verantwortet durchsetzt?

Politisch gesehen besteht zu Defätismus kein Anlass. Das Zeitfenster ist offen. Von zehn Jahren Zeit für konsequente, transparente und zügige Umsetzungsstrategien zum Klimaschutz sprechen kundige Köpfe. Alle Voraussetzungen sind da, um ein klimaneutrales Energiesystem zu etablieren.[2] Man muss das jedoch wollen. Das macht Arbeit und führt in unbequemes Gelände hinein. Ohne Umstellungen in der Energie-, der Mobilitäts-, der Ernährungskultur wird es nicht gehen.

Aus der heiteren Zumutung des Evangeliums heraus richtet sich deshalb die Frage an Theologie und Kirche: Welche Vorschläge können sie unterbreiten, wie ein wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Erneuerungsprozess gelingen kann? Worin liegt der substantielle Beitrag des Christlichen zu einer Transformation, die wirtschaftlich ausgeglichen ist? Wo sind die starken Bilder, die zum Aufbruch anstiften, Transformationsenergie schüren, das Zeug haben, auch einmal für Verzicht zu begeistern, wenn der denn kräftigen Lebensperspektiven dient? Wie kann die Kirche vermeiden, sich auf eine bestimmte Seite zu schlagen, und wie kann sie ihrem Anspruch als Brückenbauerin gerecht werden, als Friedensstifterin zwischen jenen, die Greta nachfolgen, und jenen, denen gesagt wird: „Eure Autos sind doof. Ihr esst das Falsche. Eure Urlaubsziele sind abartig. Eure Häuser falsch isoliert und dimensioniert“? Die Leopoldinastudie schärft zu Recht ein, dass die gesamte Bevölkerung für diese Transformation gewonnen werden muss. Was also tragen Kirche und Theologie dazu bei, um milieuübergreifend zur klimaengagierten Umgestaltung anzustiften?

Ich erwarte hier, dass die akademische Theologie ihre öffentliche Verantwortung ernstnimmt und Lust macht auf die Herkulesaufgabe, all jene individuellen Transformationen in der persönlichen Haltung und gesellschaftlichen Transformationen in den gesellschaftlichen Strukturen anzugehen. Erfolgreiche Ökologie fängt als eine Frage vernünftiger Aufklärung im Kopf an und muss zur leidenschaftlich emotional vertretenen Herzensangelegenheit werden. Deshalb reicht es schwerlich, sich in reinen Betroffenheitshyperbeln zu erschöpfen. Es genügt nicht, wenn churches for future die Glocken läuten lässt, wenn Fridays for future auf die Straße gehen. Dieser symbolpolitische Versuch, den politischen Druck zu erhöhen, ist zu zahm. Ebenso wenig werden verklausulierte Stellungnahmen zu technokratischen Lösungspfaden weiterhelfen.

Wir sollten uns auf die Suche nach starken, von Glaubensgewissheiten gesättigten Interventionen machen. 2009 hat eine EKD Denkschrift mit dem Titel „Umkehr zum Leben“ zur Unterbrechung der gewohnten Lebensverhältnisse aufgefordert. Was werden wir in Zukunft dafür tun, dass solche Texte nicht zu Jeremiaden verkommen, zu Umkehrrufen also, die zuletzt unerhört verhallen?

Die Antwort auf diese Frage ist nicht trivial. Und auch hier kann man sich nicht in die phänomenologisch gewiss starke Sündenlehre hinein flüchten. Dass eine der Grundformen von Sünde, wie Karl Barth einmal hervorgehoben hat, „des Menschen Trägheit“ ist, ist wohl wahr. Diese Deutungshilfe hilft gewiss zu verstehen, dass allen frühen Warnungen, internen Verabredungen, einem Weltklimarat, einer Klimakonferenz 1988 zum Trotz die Emissionen an fossilen Energieträgern um 75 Prozent angestiegen sind. Jedoch muss die Folgefrage gestellt werden: Welche vom Evangelium gespeiste Energie kann gegen die sich darin abbildende immense Trägheit und Ignoranz aufgebracht werden?

Klar, Kirche und Theologie müssen sich an einer elementaren Aufklärungsaufgabe beteiligen: Das Perfide an den mit der Klimabelastung verbundenen Risiken ist bekanntermaßen, dass die Folgen der Schäden stark verzögert und oftmals nicht am Ort der Schadensverursacher eintreten. Das erschwert ein Risikobewusstsein, eine Risikosensibilität. Ein emotionaler Appell an positives beziehungsweise negatives Erleben führt hier zu nichts.[3] Wie gesagt: Die Leidenschaft der Vernunft ist gefragt. Leidenschaft für die Transformation entsteht nicht durch die Unmittelbarkeit des emotionalen Erlebens, die es in Sachen Klimaschutz so nicht gibt. Die Theologie als Expertin der Darstellbarkeit des Undarstellbaren Gottes, des im Modus der Abwesenheit anwesenden Jesus Christus kann sich aber an die Arbeit machen, hier starke Narrative zu entwickeln, die plausibel machen jenseits von unmittelbarem Erleben umzukehren. Vor allem aber: Umkehr gewinnt ihre Energie aus der Nächstenliebe. Es gilt um der Anderen willen umzukehren!

Nächstenliebe gewinnt ihre Energie wohl kaum aus einer Kritik an der Wirkmächtigkeit Gottes, wie sie Andreas Mertin vorgetragen hat. Was soll es, diese unselige Alternative zwischen Gottes Handeln und menschlichen Aktivitäten aufzubauen? Andreas Mertin hat mit dem von Dorothee Sölle propagierten Tod Gottes dazu aufgefordert, Gottes eklatante Ohnmacht stark zu machen und sich vor Augen zu führen, wie sehr Gott auf unsere Hände und Taten angewiesen sei.

Hätte Gott nur unsere Hände, wäre er dann nicht verraten und verkauft? Die Frage darf doch nicht sein, ob Gott keine oder nur unsere Hände hat. Die Frage ist, ob und inwiefern unsere Hände wirklich unsere Hände sind und wie sehr sich Gott ihrer und übrigens diverser anderer geschöpflicher Gliedmaßen im achtsamen Umgang mit seiner Schöpfung annimmt und bedient. Wie das und wie sehr das der Fall ist, ist am Ende Gottes Geheimnis.

Damit hängt zusammen: Die Umkehr stiftende Energie des Evangeliums liegt nicht, wie in bester Absicht während des Abschlussgottesdienstes des Deutschen Evangelischen Kirchentages in Dortmund geschehen, in der Ansage, dass Gott auf der Seite von bestimmten Menschen steht, und seien es Menschen besten Willens wie Greta Thunberg oder Carola Rackete und ihre Kapitänskollegen auf Rettungsschiffen im Mittelmeer. Umkehr radikal denken bedeutet zu sagen: Gott steht nicht auf der Seite bestimmter Menschen. Er steht an der Seite aller Menschen. Erkenne in jedwedem Menschen ein Geschöpf, an dessen Seite Gott steht. Darin liegt die transformative Kraft des Evangeliums. Darin liegt auch die Verpflichtung, für lebenserträgliche Bedingungen Sorge zu tragen. Ich kann nicht sehen, dass sich in der von Ralf Frisch geforderten Einsicht, Klimaschutz im Bereich des Vorletzten zu arrangieren, ein vermindertes politisches Engagement für diese Fragen verknüpft. In jedem Fall ist diese CO2-überlastete Welt ein Vorletztes, eben deshalb besonders verletzlich und darauf angewiesen, in dieser Verletzlichkeit anerkannt und respektiert zu werden. Sieht der Mensch dies ein und erkennt sich selbst als Wesen des Vorletzten, spielt er sich nicht als Letztes auf und gibt unter den Endlichkeitsbedingungen dieser Welt in der Gegenwart alles, um so die Zukunft nicht zu verstellen.

 

 

[1] Vergleiche Leopoldina. Nationale Akademie der Wissenschaften, Klima 2030: Wege zu einer nachhaltigen Reduktion der CO2-Emissionen, Juli 2019, S. 7.

[2] Vergleiche Leopoldina, Klima 2030, 12.

[3] Vergleiche Leopoldina, 2019, S. 17.

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Stephan Schaede

Stephan Schaede, (*1963) ist  Leiter des Amtsbereichs der VELKD
und Vizepräsident im Kirchenamt der EKD in Hannover. Zuvor war der promovierte Systematische Theologe von 2021 an Regionalbischof im Sprengel Lüneburg und von 2010 bis 2020 Direktor der Evangelischen Akademie in Loccum.

 


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