In der Inkubationszeit der Apokalypse

Über Freiheit und das Handeln in den Zeiten des Klimawandels
Greta Thunberg
Foto: epd

In Folge des umstrittenen Beitrags „Zwischen Klimahysterie und Klimahäresie“ von Ralf Frisch hatte Stephan Schaede vorige Woche hier weitergeführt. Ihm antwortet der Theologe Jörg Herrmann, Direktor der Evangelischen Akademie der Nordkirche in Hamburg, und fordert Konkretionen ein.

Stephan Schaede ist zuzustimmen („Sine ira et studio, https://zeitzeichen.net/node/7815), wenn er im Blick auf die durch Ralf Frischs Beitrag ausgelöste Debatte um die Religionshermeneutik der aktuellen Klimaproteste und den Stil seiner Polemik auf die Sache selbst zurückkommt und an die einfache aber zentrale Frage erinnert: Wie kann der notwendige gesellschaftliche Wandel zu einer dekarbonisierten Welt durchgesetzt werden?

Die Dringlichkeit und Dramatik der Lage scheint ihm allerdings nicht in vollem Umfang bewusst zu sein, wenn er von einem offenen Zeitfenster spricht. Als hätten wir noch zehn Jahre Zeit, an konsequenteren Strategien herumzubasteln. Dem ist nicht so. Nur durch sofortige und radikale Maßnahmen könnte Deutschland die Ziele zur Einhaltung des Paris-Abkommens noch realisieren. Und das wäre bekanntlich nur ein kleines Mosaiksteinchen.

Der Klimawandel ist nicht mehr aufzuhalten. Er ist in vollem Gange. Wir befinden uns in der Inkubationszeit einer möglichen Apokalypse. Die „Panik“ von Greta Thunberg ist vollkommen rational. Anders als bei Amos oder Hosea basieren ihre Unheilsvisionen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. In dem unlängst auch auf Deutsch erschienenen Buch „Die unbewohnbare Erde“ von David Wallace-Wells lautet der erste Satz: „Es ist schlimmer, viel schlimmer als Sie denken.“ Wallace-Wells hat die aktuellen Daten und Szenarien zusammengetragen.

Joachim Schellnhuber, Deutschlands bekanntester Klimaforscher, hat unsere Situation unlängst bei Anne Will mit jemandem verglichen, der vom Empire State Building springt und auf der Höhe des zweiten Stocks feststellt: Bis jetzt ist nichts passiert. Das können wir im Übrigen noch nicht einmal sagen. Denn schon jetzt haben die Extremwetterereignisse deutlich zugenommen und Katastrophen biblischen Ausmaßes wie Wirbelstürme (Bahamas) und Dürren (unter anderem im Amazonasgebiet) machen Schlagzeilen. Was wird sein, wenn unsere Kinder so alt sind, wie wir heute? Werden Teile der Erde dann unbewohnbar sein, werden Hungersnöte und Wasserknappheit, Kriege und Massenfluchten an der Tagesordnung sein?   

Heute ist noch nicht ausgemacht, ob wir bei zwei, drei oder vier Grad plus landen. Und das sind große Unterschiede. Ob die Menschheit ausstirbt oder sich einem Klimawandel zu einem mehr oder weniger hohen Preis noch anpassen kann, liegt in der Hand aller gegenwärtig Lebenden und besonders derer, die an der Macht sind. Noch können wir also etwas bewirken. Für den fatalistischen Abschied von der Verantwortung für die Erde und unsere Zukunft (und die der kommenden Generationen) ist es zu früh.

Erst recht für die Christen, deren 1983 getroffene ökumenische Verabredung eines gemeinsamen Lernweges zur Realisierung von Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung aktueller ist denn je. Aber haben sie in den vergangenen fast vierzig Jahren mehr bewirkt, als die Staaten, ihre Zivilgesellschaften und die Umweltorganisationen? Was könnten die Kirchen besser machen, anders machen?

„Was also, “ so Schaede in seinem Artikel, „tragen Kirche und Theologie dazu bei, um milieuübergreifend zur klimaengagierten Umgestaltung anzustiften?“ Er sieht hier die Theologie herausgefordert, „starke Narrative zu entwickeln, die plausibel machen, jenseits von unmittelbarem Erleben umzukehren“. Die Energie dafür müsse aus der Nächstenliebe gewonnen werden. Dorothee Sölles Diktum, Gott habe nur unsere Hände, auf das Andreas Mertin hingewiesen hatte, will er nicht gelten lassen. Gott sei nicht auf unsere Hände angewiesen, sondern könne sich ihrer vielmehr bedienen – wie genau sei Gottes Geheimnis. Sollen wir demnach abwarten, bis Gott ans Mischpult der Weltgeschichte tritt und die Kohlekraftwerke abschaltet? Das hat schon in Auschwitz nicht stattgefunden.

Ganz klar wird bei Schaede nicht, wie das alles gehen soll und welche starken Narrative die Theologie entwickeln könnte. Ich denke, wir brauchen hier vielmehr viele, sehr viele kleine Schritte, das rettende Narrativ wird nicht kommen. Eher ginge es darum, vorhandene Narrative beziehungsweise Begriffe stark zu machen – etwa den der Schöpfungsverantwortung, vielleicht auch, im Sinne von Johann Baptist Metz, das apokalyptische Bewusstsein. Aber stärker noch wirkt sicher die vorbildliche Praxis. Einige Landeskirchen sind schon auf guten Wegen, etwa die Nordkirche mit ihrem Klimaschutzgesetz.

Viele konstatieren in diesem Zusammenhang die Ohnmacht einzelner Menschen, Institutionen und Länder. Ich sehe, was Einzelne bewirken können. Denken Sie an Greta Thunberg. Klar, Greta Thunberg ist außergewöhnlich. Aber auch alles, was jede und jeder tut und sagt, hat Auswirkungen, zieht Kreise ins Politische hinein, verändert das Bewusstsein – wenn private Lebenspraxis und politische Botschaft korrespondieren. Das Private ist politisch wirksam. Jede Diskussion über Fleisch, Fliegen und freie Fahrt für angeblich freie Bürger. Wir leben in einem menschheitsgeschichtlichen Zeitfenster. In den nächsten Jahren wird die Zukunft des Planeten für lange Zeit entschieden.

Aufs Ganze gesehen müssten politische Entscheidungen und politisch gesetzte Rahmenordnungen und individueller Lebensstil zusammenwirken und sich wechselseitig bestärken und verstärken. Ein Gespenst geht dabei um, das auch Ralf Frisch in seinem Artikel auftreten lässt, das Gespenst einer drohenden Öko-Diktatur, „in der individuelle Freiheit und Menschenwürde besten Gewissens der Nützlichkeit für die Reduzierung der Erderwärmung geopfert werden“.

Damit ist ein echtes Problem benannt, die Tatsache nämlich, dass die Entwicklung unserer liberalen Demokratie die Transformation zu einer nachhaltigen Postwachstumsgesellschaft behindert, wenn nicht verhindert. Der Soziologe Ingolfur Blühdorn konstatiert im Blick auf den gegenwärtigen Zustand unserer liberalen Demokratie: „Das individualistisch-liberale Prinzip hat gegenüber dem integrierenden, egalitären, gemeinschaftlichen deutlich die Oberhand gewonnen.“ In der Folge werde die Formel „unsere Freiheit, unsere Werte, unser Lebensstil (…) mit großer Entschiedenheit als gesamtgesellschaftliche Priorität gegen alle Herausforderungen verteidigt“. Zugespitzt: Die Freiheit zum alltäglichen Ökoterrorismus durch exzessiven Fleischkonsum, permanentes Fliegen und neureiches SUV-Fahren gilt als unverhandelbar. Der Hinweis auf die tatsächlich unverhandelbaren Grenzen einer endlichen Welt wird hingegen als moralinsauer oder antidemokratisch diskreditiert.

Es bestehe, so Blühdorn, eine enge Komplizenschaft zwischen liberaler Demokratie und Nicht-Nachhaltigkeit, die Demokratie stabilisiere die „imperiale Lebensweise“, die nicht zuletzt auf der Ausbeutung des globalen Südens beruht. Blühdorns Schlussfolgerung: „Eine darüberhinausgehende normative Agenda müsste vor allem das in modernen Gesellschaften vorherrschende Freiheitsverständnis thematisieren.“

Genau das hat unlängst Thomas Assheuer in der ZEIT getan (https://www.zeit.de/2019/37/klimawandel-konservatismus-forschung-natur-freiheit). Assheuer geht von der Beobachtung aus, dass die Konservativen, die früher gern den Wert des Gegebenen und der Treue zum Bestehenden predigten, heute vielfach das Hohelied der Freiheit singen und vor grüner Politik als Vorstufe einer Ökodiktatur warnen. Doch dieses Beharren auf Freiheit um jeden Preis ist blauäugig, denn es ignoriert den objektiven Kontext menschlicher Naturabhängigkeit. Vor diesem Hintergrund denkt Assheuer über eine Freiheit nach, „die sich nicht auf Autonomie reduziert, mit der man machen kann, was man will. Eine Freiheit, die sich frei dafür entscheidet, die Schonung der Natur gar nicht zur Wahl zu stellen – und die unfrei ist, falls sie dies nicht tut.“

Eine Möglichkeit, den Freiheitsbegriff wieder stärker an unserer Naturabhängigkeit und damit letztlich auch am Gemeinwohl zu orientieren, sieht Assheuer in dem Vorschlag, die Natur mit Eigentumsrechten auszustatten. Assheuer schreibt: „In dem wir der Natur Eigentumsrechte verleihen, limitieren wir unsere eigene Freiheit und hindern sie an der räuberischen Ausnutzung der Erde, an deren vollständiger ökonomischer Inwertsetzung. Anders gesagt: wir wenden den liberalen Fetisch, den Besitzindividualismus, auf die Natur an, um sie genau vor diesem Fetisch zu retten.“ Das mag ein Weg sein.

Christen könnten sich darüber hinaus auf die Schöpfungstheologie beziehen, die das Leben und die Erde als eine zu bewahrende Leihgabe versteht. Sie könnten zudem das christliche Freiheitsverständnis stark machen, wie es zum Beispiel Wolfgang Huber unter der Überschrift einer kommunikativen Freiheit diskurskompatibel ausgearbeitet hat. Die Pointe dieses Freiheitsverständnisses ist eben genau die Einsicht in die kontextuelle Abhängigkeit der Freiheit. Freiheit muss sich demnach am Anderen und am Gemeinwohl orientieren.

Was das im Blick auf die Klimathematik heißt, lässt sich auch mit Hilfe des Kant’schen Imperativs erläutern: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Der ökologische Fußabdruck eines Deutschen oder eines Amerikaners kann danach keinesfalls zur allgemeinen Richtschnur erhoben werden. Denn das würde den gemeinsamen Lebensraum zugrunde richten. Vielleicht liegt hier eine wichtige Aufgabe öffentlicher Theologie: in der Kritik am vorherrschenden Freiheitsverständnis und seiner Veränderung. 

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