Hoffnung auf Entschädigung

Katholische Bischöfe tagten in Fulda
Plakate von jungen Katholken vor dem Dom in Fulda
Foto: Philipp Gessler
Plakataktion junger Katholiken vor dem Dom in Fulda

Auch wenn die Details noch unklar sind: Die Opfer sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche sollen Geld bekommen. Das könnte auch Bedeutung für die evangelischen Landeskirchen haben.

Auf der rechten Seite des Hohen Doms zu Fulda hatte sich die KjG, die Katholische junge Gemeinde, am Donnerstagmorgen gut positioniert. Eine Flagge der katholischen Jugendorganisation in Deutschland mit rund 80.000 Mitgliedern hing da, ein kleiner Laster mit viel Stauraum war zu sehen und ein gelbes Schild mit der Aufschrift „KjG – Kinderstadt“. Neben einem kleinen schwarzen Zelt mit bunten Punkten stand auf dem Boden eine selbst gebastelte Holzbrücke, auf der junge Leute kreischend hinüber zu gehen versuchten – und vor allem brisante Plakate an einer Art Wäscheleine. Die Botschaften: „Opferschutz statt Täterschutz“, „Jede‘r ist eine‘r zu viel #3677“, „Es ist Zeit“, „aufklären, aufarbeiten, zuhören, entschädigen“ und „Fragt die Betroffenen“.

Die Basis der katholischen Kirche mit ihren rund 22 Millionen Gläubigen in der Bundesrepublik macht Druck auf die Bischöfe, die sich von Montag bis Donnerstagabend zu ihrer traditionellen Herbstversammlung getroffen hatten. Der Druck ist nötig, denn rund zehn Jahre nach Beginn des riesigen Missbrauchsskandals ist zwar schon einiges in der hiesigen Kirche Roms passiert. So wurde etwa der Skandal wissenschaftlich erforscht, auch die Richtlinien im Umgang mit Kindern und Jugendlichen wurden verschärft. Aber der größte Brocken muss noch über den Berg: Die Opfer - eine unabhängige Studie von Wissenschaftlern (MHG-Studie) zählte für die Zeit nach 1945 mindestens 3677 minderjährige Schutzbefohlene - sind in der Regel bis heute nicht entschädigt worden. Überwiesen wurden eher symbolische Zahlungen (zur „Anerkennung zugefügten Leids") von meist 5.000 Euro, auch die Kosten für nötige Therapien übernahm die Kirche. Aber eine Entschädigung im eigentlichen Sinne gab es bis heute nicht.

Das soll sich nun ändern. Konkrete Summen gibt es noch nicht. Doch der wohl wichtigste Opfervertreter in Deutschland, Matthias Katsch vom „Eckigen Tisch“, zeigte sich in Fulda nach Jahren des engagierten Kampfes um Aufklärung und eine angemessene Entschädigung zuversichtlich. Er sehe nun eine „qualitative Veränderung". Und ergänzte: „Hätte mir das jemand vor einem Jahr gesagt, ich hätte es nicht für möglich gehalten."

Auch wenn noch nichts entschieden ist, so liegen doch zwei Modelle auf dem Tisch. Katsch hatte sie in einer von den Bischöfen eingesetzten Arbeitsgruppe zusammen mit anderen Experten erarbeitet. Das eine Modell wäre eine pauschale Entschädigung in Höhe von rund 300.000 Euro pro Opfer. Beim anderen Modell gäbe eine Bandbreite von Entschädigungen, es wäre individualisiert. Je nach Schwere des sexuellen Missbrauchs würden zwischen 40.000 und 400.000 Euro an die Betroffenen fließen.

Manche von ihnen nennen sich „Überlebende“ von sexualisierter Gewalt. Und das passt. Die höchsten Summe dürften nämlich die Opfer erhalten, deren Leben durch das Trauma des Missbrauchs zerstört oder nachhaltig geschädigt wurde - die etwa vor lauter Depressionen keiner geregelten Arbeit nachgehen können oder nie eine glückliche Beziehung mit einem Partner aufbauen  konnten.

Auch wenn das alles in Fulda nach einem Durchbruch klingt: Der Trierer Bischof Stephan Ackermann, der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, bemühte sich sichtlich um Zurückhaltung – denn neben der Auszahlungsart stehen eben auch die Summen keineswegs fest. Wenn man nach dem Pauschalmodell geht, das Katsch bevorzugt, entgeht man zwar einer erneuten, womöglich demütigenden und vielleicht sogar re-traumatisierenden Prüfung der Missbrauchsgeschichten der Opfer – aber natürlich könnten manche eine gleiche Summe für alle Opfer, gleichgültig von der Schwere der sexualisierten Gewalt an ihnen, als ungerecht empfinden. Die differenzierte Zahlung, die die Bischöfe favorisieren, erfordert dagegen eine erneute Prüfung der Missbrauchsfälle – und wird  aller Voraussicht nach meist zu geringeren Zahlungen führen. Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, lobte zwar grundsätzlich die Einigung in Fulda. „Der gordische Knoten“ in der katholischen Kirche löse sich langsam. Aber der Teufel, das ist jetzt schon klar, wird nicht nur im Detail liegen.

So gibt es Schätzungen, dass die Zahlungen die Bistumshaushalte mit bis zu einer Milliarde Euro belasten könnten – völlig unklar ist, wie eine solche Summe in relativ kurzer Zeit aufgebracht werden könnte. Zwar sind die Kirchensteuereinnahmen – wie bei der evangelischen Kirche auch – derzeit wegen der hohen Beschäftigungsquote in Deutschland noch ziemlich gut. Aber unklar ist, ob man Kirchensteuergeld überhaupt dazu nehmen kann. Gerade kleine und arme Bistümer etwa in Ostdeutschland könnten da schnell in die Pleite rutschen.

Es ist also noch ein großes Tauziehen zwischen den Bischöfen und den Opferinitiativen zu erwarten – und natürlich ein Gerangel innerhalb der Bischofskonferenz. Nicht unwahrscheinlich ist auch, dass Katsch mit seinem Kurs einer versuchten Einigung mit den Bischöfen und dem gemeinsamen Auftritt mit Bischof Ackermann in Fulda für einige Opfer zu viel Nähe mit den Vertretern der Täter-Organisation gezeigt hat. Wenn die Entschädigungszahlungen am Ende für manche sehr viel niedriger als die im Raum stehenden 300.000 Euro sein sollten, könnte das zu großer Enttäuschung führen – und das Zeichen der kirchlichen Reue für die Öffentlichkeit verpuffen.

Überhaupt wirkten viele der deutschen katholischen Bischöfe in Fulda so, als absorbiere der geplante „Synodale Weg“ derzeit fast ihre ganze Aufmerksamkeit – und manche von ihnen träumen ganz offensichtlich davon, das leidige Missbrauchsthema endlich vom Tisch zu haben. Der „Synodale Weg“, also der Gesprächsprozess mit der katholischen Basis, geplant für etwa zwei Jahre ab 1. Advent, ist zwar vor einem Jahr wegen der riesigen Misstrauenskrise in Folge des Missbrauchsskandals gestartet worden. Es spricht allerdings Bände, dass die Bischöfe, auch wegen Querschüssen aus Rom, größte Schwierigkeiten hatten, sich auf ein Procedere des Dialogs mit dem Zentralkomitee der Katholiken (ZdK) für den „Synodalen Weg“ zu einigen. Auch da ist die Kuh noch nicht endgültig vom Eis.

Es entbehrt zudem nicht einer gewissen Komik, dass einer der Bischöfe sofort quer schoss, sobald eine Einigung in der Bischofsrunde über das Vorgehen beim „Synodalen Weg“ in der Domstadt fest gemacht worden war. Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer verkündete pathetisch in der Nacht zu Donnerstag in einer schriftlichen Erklärung: „Ich möchte, dass zu Protokoll gegeben wird, dass es zumindest eine Minderheit von Bischöfen gibt (und aus der Perspektive der Geschichte, die einmal darauf schauen wird, dass es wenigstens eine Minderheit ‚gab‘), die von der Sorge erfüllt ist, dass die wahren Probleme nicht angegangen werden und durch das Wecken von bestimmten Erwartungen und Hoffnungen nur noch mehr Frustration erzeugt wird.“ Zwar wolle er am „Synodalen Weg“ erst einmal weiter teilnehmen, halte sich aber einen späteren Ausstieg vor – eine Position, die bei seinen Mitbrüdern sehr schlecht ankam, dachte man doch, nach Stunden langen Verhandlungen einen gangbaren Weg für den Gesprächsprozess mit den Laien gefunden zu haben.

Hier schließt sich übrigens der Kreis zum Missbrauchsskandal. Denn der konservative Oberhirte aus Bayern betonte in seiner Erklärung zugleich: „Ich bin im Übrigen auch der Meinung – und ich habe das immer gesagt – dass an der Wiege des Synodalen Prozesses eine Unaufrichtigkeit steht. Aus den Fällen des sexuellen Missbrauchs den Schluss zu ziehen, dass es bei der Erneuerung um die genannten Themen ‚Ehelosigkeit‘, ‚Machtmissbrauch‘, ‚Frauen in der Kirche‘ und ‚Sexualmoral‘ gehen müsse, ist angesichts fehlender wissenschaftlicher Studien in anderen Institutionen, also ohne wirklichen ‚Institutionenvergleich‘, nur als pseudowissenschaftlich anzusehen.“ Das Ganze ist so zusammen zu fassen: Bischof Voderholzer passt also die ganze Richtung nicht – und die genannten Gesprächsthemen des „Synodalen Wegs“ mit der katholischen Basis erst recht nicht.

Bleibt am Ende die Frage was das ganze Tohuwabohu der katholischen Brüder in Fulda für die Evangelische Kirche in Deutschland bedeuten könnte. Wenn es richtig ist, wie manche Fachleute vermuten, dass die Opferzahlen im Raum der EKD bei etwa einem Drittel der katholischen Zahlen liegen, müssten rund 1.000 Betroffene entschädigt werden. Auch wenn das eine sehr wackelige Schätzung ist, könnten auf die deutschen Landeskirchen ebenfalls hohe dreistellige Millionenzahlungen zukommen, sollten die voraussichtlichen katholischen Summen so hoch werden, wie Katsch und andere Opfervertreter es erhoffen. Und damit ist zugleich jetzt schon klar: Das Missbrauchsthema wird beide Volkskirchen noch Jahre beschäftigen.

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