Bedingt versöhnlich

Sachsens zurückgetretener Landesbischof bricht sein Schweigen
Foto: Walter Amos Mueller-Waehner
Foto: Walter Amos Mueller-Waehner

Direkt nach seiner Verabschiedung in Dresden hält der sächsische Landesbischof a.D. Carsten Rentzing nach wochenlanger Funkstille eine Rede, die teilweise um Versöhnung bemüht scheint, aber auch viel Apologetik in eigener Sache und Vorwürfe gegen seine Gegner enthält. Nun steht die evangelische Kirche in Sachsen vor einem schwierigen Weg zur Versöhnung.

Es gibt ein Sprichwort, dass die Kirche noch nicht aus sei, solange die Orgel spielt. An Freitag vor dem Volkstrauertag ist es in der Martin-Luther-Kirche in Dresden-Neustadt anders. Die Orgel verklingt nach dem Gottesdienst, und es beginnt der spannendste Teil des Vormittags: Der gerade entpflichtete Landesbischof Carsten Rentzing schickt sich an, zu der Synode und der versammelten Gemeinde zu sprechen.

Wochenlang hatte der 52-Jährige geschwiegen, nachdem er am 11. Oktober überraschend seinen Rücktritt angeboten hatte, den die Kirchenleitung zehn Tage später auch annahm. Am Tag nach dem Rücktrittsangebot wurde durch Recherchen der tagesschau-Redaktion bekannt, dass Rentzing als junger Mann 1989 bis 1992 nationalistische und demokratiefeindliche Texte in einer rechten Nischenpublikation namens Fragmente veröffentlicht hatte.

Unmut hatte es schon in den Wochen zuvor gegeben, als bekannt geworden war, dass Rentzing immer noch Mitglied einer schlagenden Verbindung ist. Aus diesem Grund und weil sie ein klares Wort des Bischofs nach dem Wahlerfolg der AfD bei den sächsischen Landtagswahlen vermisst hatten, war Ende September von zwei Leipziger Pfarrern eine Petition aufgesetzt worden. In dem Aufruf wurde unter anderem gefordert, Rentzing möge sich „öffentlich und deutlich“ von allen „antidemokratischen und menschenfeindlichen Ideologien“ distanzieren. Und weiter: „Nächstenliebe verlangt Klarheit – das gilt auch und besonders für den Bischof als Repräsentant der Kirche. Diese Klarheit verkörpern Sie für uns nicht.“

Nun war eine verworrene Lage entstanden: Zum einen durch das lange Schweigen des Landesbischofs, der zwischenzeitlich selbst für das Landeskirchenamt nicht erreichbar war, und zum anderen durch eine weitere Petition. Diesmal von Befürwortern Rentzings, die seinen Verbleib im Amt wünschten und einen Rücktritt vom Rücktritt forderten.

„Suche nach dem Angelhaken“

An diesem Freitag vor dem Volkstrauertag aber redet Rentzing. Endlich! Er bleibt konziliant im Ton, aber sieht sich vordringlich als Opfer lang geplanter Machenschaften: „Man“ sei, so Rentzing, schon „seit langem auf der Suche nach einem Angelhaken in meinem Leben (…). Man hat gesucht und schließlich hat man gefunden.“ Auch eigene Fehler räumt Rentzing ein: Er sei mit der Situation „überfordert“ gewesen und „bitte um Verzeihung für alle falsche beziehungsweise unzulängliche Kommunikation nach innen und nach außen.“

Recht ausführlich stellt Rentzing seine jugendliche Politisierung im West-Berlin vor 1989 dar, seine Verzweiflung an der fehlenden deutschen Einheit und seine politischen Gedanken in den Jahren um 1990, die dann Eingang in seine jüngst enthüllten Fragmente-Texte fanden. Rechtfertigung, ja Reue für seine damaligen Texte hält Rentzing nicht für nötig: „Warum sollte ich auch? Gott ist seinen Weg mit mir damals weitergegangen.“ Als er sich Mitte der 1990-er-Jahre entschlossen habe, in den landeskirchlichen Dienst zu gehen, habe seine Loyalität „nicht mehr einer Nation, nicht einer Philosophie oder politischen Anschauung“ gegolten, sondern: „Von da ab galt meine Loyalität Jesus Christus und der Familie Gottes aus vielen Völkern und Nationen.“ Dass er bisher von seiner früheren Vergangenheit öffentlich nichts erzählt habe, habe einen „einfachen Grund“. Er sei dem Wort des Apostels Paulus gefolgt „das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden“ (2.Korinther 5,17) und dem Worte Jesu „wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“(Lukas 9,62).“

Bitter beklagt sich Rentzing über Anfeindungen. In der öffentlichen Bedeutung des Amtes des Landesbischofs liege „ein zerstörerisches, sogar vernichtendes Potential, das ich bisher nur vom Hörensagen her kannte. Nun haben es meine Augen gesehen und meine Familie und ich haben es am eigenen Leibe erfahren. Was meiner Familie aufgrund der Art und Weise der öffentlichen Diskussion über meine Person angetan wurde, das kann wohl nur sie selbst ermessen.“ Dann zitiert Rentzing seine Tochter, unter anderem mit diesen Worten: „In dem Moment, als ich in der Tagesschau las, dass mein Vater rechtsextrem sei, brach für mich eine Welt zusammen. Wie können Mitglieder der Kirche, Nachfolger von Jesus so etwas initiieren? Das ist Rufmord, Verleumdung.“

Hier brandet Applaus auf, obwohl in der tagesschau-Veröffentlichung immer nur von „rechtsextremen Texten“ die Rede war und nicht etwa, dass Rentzing selbst rechtsextrem sei. Für seine Anhängerschaft aber und für Rentzing selbst scheinen solche Differenzierungen unwichtig. Ob es geschmackvoll ist, die eigenen Kinder in dieser Sache vorzuschicken, kann bezweifelt werden.

Ein Korn Wahrheit

Zumindest stellt der Landesbischof a.D. klar, dass er nicht zum Rücktritt gedrängt worden sei, sondern von sich aus das Amt niedergelegt habe, da er seiner Kirche eine Diskussion um einen vermeintlich rechtslastigen Bischof nicht habe zumuten wollen. Damit dürfte er mancher Legendenbildung, die in den Wochen zuvor aufgekommen war, den Boden entzogen haben. Auch sichert Rentzing zu: „Meiner Nachfolgerin oder meinem Nachfolger möchte ich schon jetzt zurufen, dass sie meiner unbedingten Loyalität gewiss sein können.“

Dann kommt er zum Schluss: „Ich gehe heute nicht im Zorn. Ich gehe heute im Frieden.“ Doch danach teilt er nochmal aus: „Von Anfang an“ sei das knappe Ergebnis der Wahl von 2015 „von einer kleinen Gruppe in der Landeskirche nicht akzeptiert und unter die Hermeneutik des Verdachts gestellt worden. Formen der politischen Agitation und des politischen Kampfes sind dabei zur Anwendung gekommen, die schon im Bereich der Politik verderbliche Wirkung entfalten können. Im Bereich der Kirche aber zerstören sie das Entscheidende: Die kirchliche Gemeinschaft.“

Ein Korn Wahrheit mag darin stecken, wenn Rentzing sagt, „es gibt keine progressive, keine liberale und auch keine konservative Kirche. Es gibt nur die Kirche unseres Herrn Jesus Christus. Diesem Christus nähern wir uns von verschiedenen Seiten und bilden doch durch Ihn eine Gemeinschaft“. Beschreibt der Landesbischof a.D. damit doch eine Herausforderung, vor der die real existierende Volkskirche der zwanzig Landeskirchen im Verbund der EKD zurzeit vielerorts steht. Die kirchlich Verantwortlichen in Sachsen stehen nun vor der Aufgabe, die Grabenkämpfe in der Landeskirche zu befrieden – darum sind sie nicht zu beneiden.

Keine leichte Aufgabe ist es auch, eine geeignete neue Person für das Amt des Landesbischofs oder der Landesbischöfin zu finden. Schnell muss es gehen, denn bereits am 1. März 2020 soll auf einer außerordentlichen Tagung der Landessynode die Wahl stattfinden.

Nur eine Woche danach wird eine neue Landessynode gewählt. Wahlberechtigt sind alle Kirchenvorsteher und Kirchenvorsteherinnen der Landeskirche, sowie alle ordinierten Theologinnen und Theologen – auch jene, die sich schon im Ruhestand befinden.

Drei Tage nach dem Abschiedsgottesdienst verabschiedet die sächsische Synode eine Erklärung, in der es unter anderem heißt: „Die Landessynode hat den Rücktritt von Dr. Carsten Rentzing als Landesbischof und die damit verbundenen Diskussionen mit Betroffenheit zur Kenntnis genommen. Nicht alles wird sich klären lassen. Vieles wird offen bleiben. Als Landessynodale nehmen wir auch unter uns keine einmütige Beurteilung der Ereignisse der letzten Wochen wahr. Wir klagen über die entstandenen Verwerfungen. Mit unseren Fragen treten wir vor Gott, erkennen unsere Unvollkommenheit und bitten um Vergebung.“

Der sächsischen Landeskirche ist auf ihrem weiteren Weg alles Gute zu wünschen. Möge wahr werden, was in der allerersten Liedstrophe des Dresdner Gottesdienstes klang: „Herr Jesu Christ, dich zu uns wend, / dein’ heilgen Geist du zu uns send, / mit Hilf und Gnad er uns regier / und uns den Weg zur Wahrheit führ.“ (Evangelisches Gesangbuch, Lied 155,1).

Einen ausführlicheren Artikel, der auch die Vorgeschichte des Konfliktes um den Landesbischof schildert, finden Sie unter www.zeitzeichen.net/node/7942. Dort steht auch die Rede Carsten Rentzings sowie die Erklärung der Sächsischen Landessynode im Wortlaut.

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