Adventsbaum und Weihnachtszwillinge

Der Schmuck vor den Festtagen treibt wilde Blüten. Aber noch gibt es Hoffnung.

Vor geraumer Zeit habe ich einmal versucht, einer Institution den Unterschied zwischen Weihnachten und Advent deutlich zu machen. Es handelte sich um eine größere deutsche Bildungsinstitution, in deren Eingangshalle pünktlich zum ersten Advent ein Tannenbaum mit goldgelben und roten Kugeln sowie üblicherweise schief stehenden elektrischen Kerzen aufgestellt wird. Naiv, wie ich damals noch war, dachte ich, es sei ganz einfach, diesen Unterschied zu erklären. Ich ging zum Hausmeister und sagte: „In diesem Jahr hängen Sie doch bitte während der Adventszeit einen Adventskranz von der Decke, denn noch vor dem vierten Advent brechen hier die Akademischen Ferien aus und zu Weihnachten ist entsprechend niemand da. Und vorher ist Adventszeit und zu der passt nun eben mal der Adventskranz und noch nicht der Weihnachtsbaum“.  Der ebenso kluge wie zuverlässige Hausmeister hörte mir aufmerksam zu, nickte und ging seiner Wege. Am Montag nach dem ersten Advent betrat ich die erwähnte Eingangshalle und ein riesiger grüner Kranz hing an breiten lila Bändern von der Decke, direkt über der Haupttreppe. Ich war beseligt. Allerdings auch nur so lange, bis mir auffiel, dass der Kranz insgesamt zwölf lila Kerzen trug, viermal jeweils drei Kerzen. In diesem Augenblick trat der Hausmeister heran und musterte mich erwartungsvoll: „Schön, nichtwahr?“. Ich rang nach Worten. Er erläuterte: „Vier Kerzen sehen so mickrig aus, da habe ich ein paar mehr drauf gemacht“.

Die Geschichte vom selbst gestalteten Adventskranz spielt im Osten Deutschlands und dazu an einer Institution, die dem staatlichen verordneten Atheismus bis 1989 sehr viel stärker verbunden war als viele andere Institutionen. Ich muss auch unumwunden zugeben, dass ich mit meiner Absicht, den Unterschied zwischen Advent und Weihnachten einer Institution zu vermitteln, wahrscheinlich gescheitert bin. Zwar gelang es mir dann im folgenden Jahr, die Zahl der Kerzen der Zahl der Adventssonntage anzunähern, aber schon unter meinem Nachfolger wurde wieder das Weihnachtsbäumchen hingestellt. Und so steht es auch in diesem Jahr erneut in der Eingangshalle, übrigens wie auch in zwei anderen Universitäten im Osten wie im Westen dieses Landes, die ich während der Adventszeit diesen Jahres besuchte, um dort Vorträge zu halten.

Eigentlich wollte ich diese Kolumne mit pessimistischen Bemerkungen zu immer bunterem und größerem Weihnachtsschmuck in der Adventszeit schließen – in der häuslichen Nachbarschaft klettert ein riesiger Weihnachtsmann auf einer Strickleiter die Hausfassade hoch, offenbar auf der Suche nach seinem Zwillingsbruder, der in einem riesigen grünen Sessel auf dem Dach thront und beim etwas schärferem Wind fortzufliegen droht. Bunte Weihnachtssterne blinken in den Fenstern und stilisierte Geschenkpakete kündigen das große Fest schon Wochen zuvor an. Aber dann sah ich gestern in der Straße, in der ich wohne, erstmals im einen Erker unseres Nachbarhauses zwei echte Flammen zucken – und erkannte beim Näherkommen den Adventskranz, der deutlich sichtbar im Fenster stand. Und da erinnerte mich an den wunderschönen Adventskranz im Bundestag, der zwar auch deutlich mehr als vier Kerzen hat, aber mit seinen vier großen weißen und zwanzig schmalen roten Kerzen ja eigentlich die Urform des Kranzes ist, die Johann Hinrich Wichern vor einhundertachtzig Jahren erfunden hat. Advent ist also keineswegs ausgestorben und es ist vermutlich auch noch nicht zu spät, andere Menschen mit ein paar Zeichen daran zu erinnern, dass wir – Gott sei Dank – nicht einfach ins Weihnachtsfest stolpern, sondern die Vorbereitungszeit von Advent haben. Eine heilsame Zeit, in der wir nicht selbst unsere Zeit bestimmen, sondern sie uns von einem anderen gesetzt wird. Wenn Menschen in dieses Geschenk einer so besonderen Vorbereitungszeit mitgenommen und dafür öffentlich Zeichen (nicht nur in Eingangshallen) gesetzt werden, gewinnt die ganze Gesellschaft. Davon bin ich nach wie vor überzeugt, trotz der vielen Weihnachtsbäume und riesigen Weihnachtsmänner auf Strickleitern.

 

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