Ein Pyrrhussieg

Die Neuregelung der Organspende könnte das Gegenteil von dem bewirken, was sie soll
Foto: Rolf Zöllner

Täuscht der Eindruck? Wenige Tage nach der Entscheidung des Bundestages über die Organspende-Praxis hält sich die Freude derer in Grenzen, die in der Abstimmung obsiegten, nämlich die Abgeordneten, die für eine Zustimmungsregelung votierten. Es hat etwas von einem Pyrrhussieg. Pro forma wurde die Autonomie der Bürgerinnen und Bürger über ihren Körper auch über ihren Tod hinaus gestärkt. Aber klar ist schon jetzt: Auch die neue Regelung wird die Zahl der Organspenden aller Voraussicht nach nicht wachsen lassen, ja, manche Fachleute glauben sogar, dass die sie wieder sinken könnte, weil die regelmäßige Abfrage einer möglichen Organspendebereitschaft in einer Behörde oder Arztpraxis kontraproduktiv sein könnte.

Wir werden sehen. Aber der Entscheid bestärkt mich eher in einer stark persönlichen Betrachtung des Themas, die ich, wie viele Abgeordnete, in dieser Frage für ehrlicher halte als eine pseudo-objektive Herangehensweise. Deshalb an dieser Stelle: Ich war dabei, als mein Vater viel zu früh an einer Herzkrankheit gestorben ist. Vielleicht hätte ihm eine Herztransplantation geholfen. Aber wäre überhaupt ein Spenderherz für ihn verfügbar gewesen, so wenige, wie es gibt? Hätte er es bekommen? Immerhin war er schon 76 Jahre alt.  Jüngere Patientinnen und Patienten hätten ob des Mangels an Spenderherzen vielleicht eher ein Recht darauf gehabt. Aber was heißt das schon: Recht?

Ich habe einen Organspende-Ausweis, schon seit etwa 30 Jahren, also schon lange vor dem Tod meines Vaters. Aber sein Tod hat mich darin bestärkt, stets einen mit mir zu tragen. Ich weiß nicht, ob die Organe meines Körpers nach meinem Ableben noch anderen von Nutzen sein werden. Je älter ich werde, desto weniger, nehme ich an. Aber die Vorstellung, dass ich selbst im Tod noch anderen helfen könnte, finde ich ein wenig tröstlich.

Und das habe ich mir auch gedacht: Sollte ich je als hirntot diagnostiziert werden, dürfte eine Rückkehr ins Leben, so sie denn glückte, nicht sehr vielversprechend sein: Wahrscheinlich wäre es eher ein Vegetieren. Nicht zuletzt deshalb habe ich keine Angst vor einer möglichen Organentnahme, also dem endgültigen Aus – zumal mein Glaube hofft, dass es selbst dann nicht das ewige Aus wäre. Dennoch, ist das die richtige Entscheidung?

Der Bundestag hat in der Frage der Organspende den Vorschlag einer weiter gehenden „doppelten Widerspruchslösung“ verworfen. In vielen Ländern Europas, etwa in Frankreich, Belgien, Spanien, Portugal, Italien, Norwegen und Schweden, gibt es jeweils unterschiedliche Widerspruchslösungen, die meist eine höhere Zahl von Transplantationen ermöglichen, auch wenn das, zugegeben, oft nicht nur an dieser Art von Lösung liegt. Ich kann mir jedoch nicht vorstellen, dass in diesen Ländern die Autonomie der Menschen über ihren Körper auch über ihren Tod hinaus weniger geachtet wird als bei uns – aber das nur nebenbei.

Ich hätte mir jedenfalls gewünscht, dass sich der Bundestag für die „doppelte Widerspruchslösung“ ausgesprochen hätte. Ich weiß, der Staat hätte dadurch tendenziell Grundrechte angetastet, um nur eines der wichtigen Gegenargumente zu nennen. Aber das höhere Gut der viel leichteren und häufigeren Lebensrettung und einer nötigen Solidarität innerhalb der Gesellschaft wiegen für mich schwerer, auch aus einer christlichen Motivation heraus. Ich würde gern meinen Vater fragen, was er von der Entscheidung des Bundestages hält. Ich kann ihn nicht mehr fragen.

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