Mit dem Gesicht zum Volke

Ein Livestream macht noch keine offene Kirche. Wie neue Medien unser Verständnis von Kirche herausfordern.
Foto: privat

Dass der Auftakt des Synodalen Weges der Katholischen Kirche und die Vorstellung der Kandidaten für das sächsische Bischofsamt live im Internet übertragen wurde, gefällt zeitzeichen-Onlinekolumnist Philipp Greifenstein. Aber es gibt für ihn durchaus noch Luft nach oben.

Der sächsische Liedermacher Gerhard Schöne besingt in seinem Lied „Mit dem Gesicht zum Volke“ (1988) eine Bürgersprechstunde in Nicaragua: „Mit dem Gesicht zum Volke. Nicht mit den Füßen in 'ner Wolke.“ Ich fühle mich dieser Tage daran erinnert, wenn ich von der Gemütlichkeit des eigenen Schreibtischs aus die Livestreams aus den Kirchen anschaue.

Auf der ersten Tagung des „Synodalen Weges“ in Frankfurt wird Wahrheit gesprochen. Wir sind live dabei, wie sich manche Bischöfe in der Öffentlichkeit winden und andere Kirchenobere und Frauen und junge Menschen – Vorsicht Buzzword! – authentisch ihren Glauben bekunden. Wenigstens ein paar Happen davon gibt es beim „Domradio“ des Erzbistums Köln auch jetzt noch zum Nachschauen: www.domradio.de/video/synodaler-weg-mara-klein-bistum-magdeburg
 

Die mediale Repräsentation des Kirchengeschehens muss einige Hürden überspringen. Tagungen und Synoden lassen sich nicht ohne Verluste abfilmen. Wie wäre es z.B. mit einer Kamera, die allein die Gesichter der Bischöfe einfängt, während ihnen vom Kirchenvolke Grundkurse in Realitätssinn verabreicht werden?

Aber auch so ist der Livestream vom „Synodalen Weg“ ein richtiger Fortschritt, denn die Sitzungen der Deutschen Bischofskonferenz finden hinter verschlossenen Türen statt. Die Kameras stellen Transparenz her und tragen zur Demokratisierung des Geschehens bei. Toll, dass man heute bei Kirchens Mäuschen spielen kann! Am Second Screen diskutieren interessierte Christ*innen eifrig mit.

Am vergangenen Montag dann durfte ich per Livestream Zeuge der Kandidat*innenvorstellung zur Bischofswahl in der Sächsischen Landeskirche werden, die in der Himmelfahrtskirche in Dresden-Leuben stattfand. Dem Publikum im vollen Kirchenschiff, an den Radiogeräten und vor dem Livestream zugleich gerecht zu werden ist eine Kunst, die niemand kann. In Kirchenmikrofonanlagen muss langsam und deutlich gesprochen werden. Am Radio hört sich das dann an, als ob man die Geschwindigkeit runtergeregelt hat.

Und das bewegte Bild zeigt vor allem: Wenig Bewegung. Die Kandidat*innen verbergen sich während ihrer Impulsvorträge – mit der löblichen Ausnahme Tobias Bilz – hinter dem Pult. Später versammeln sie sich hinter einer Theke, die man aus einem Gesundheitsjournal des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gemopst haben könnte. So ganz können sie die Kanzel nicht lassen! Fleißig notieren sie mit gesenktem Haupte griffige Gedanken, die sie dann doch nicht sagen. Ab und zu nicken sie zustimmend zu dem, was der liebe Konkurrent*in sagt. Sorry, lapsus linguae, es muss natürlich „Bruder und Schwester“ und geschätzte Kolleg*in heißen, denn Gewinner*innen und Verlierer*innen darf eine Wahl auch in den evangelischen Kirchen natürlich nicht haben. Bisschen mehr „Dschungelcamp“ wär‘ nicht schlecht.

Zur Auflockerung des Podiumsgeschehens schwenkt die Kamera ab und zu ins Publikum, wo wir dann der weißbekrönten Häupter des Kirchenvolkes gewahr werden. Aber dieses Problem kennen wir ja aus den hierzulande immer noch reichlich übertragenen Fernsehgottesdiensten. Gelegentlich soll es ja vorkommen, dass extra junge Menschen und Geschwister mit sichtbarem Migrationshintergrund nach vorne gesetzt werden. Und aufgepasst: Bitte schauen Sie nicht in die Kameras, unterlassen Sie das Winken und andere dem Gottesdienstgeschehen nicht angemessene Lebensäußerungen! Warum eigentlich?

Eine verwegene Forderung: Wo wir den Dreh mit der Bild- und Tonübertragung jetzt raushaben, könnten wir doch auch die Kirchenräume verlassen, oder? Das wäre auch pekuniär günstiger. Fernsehsendungen aus Kirchen sind nämlich deutlich teurer als Studioproduktionen. Aber bitte, das hier ist kein Plädoyer für gemächliche Tratschsendungen aus steriler Studioatmo! Kirchensendungen im TV orientieren sich da leider Gottes immer noch am Ideal, das Pastor Fliege vor 20 Jahren gesetzt hat. Richtig zuhören kann man scheint’s nur mit geneigtem Haupte. Ich meine auch keinen Export kirchlicher Gottesdienststeifheit zum Zwecke eines Open-Air-Gottesdienstes von der Bundesgartenschau!

„Mehr „Inas Nacht“ wagen!“, möchte ich stattdessen den Verantwortlichen in den Kommunikationsabteilungen zurufen. Also ab an eine richtige Theke und so nah ran ans Publikum, dass wir einander in die Augen schauen können. Fragen werden live von Twitter reingereicht. Vielleicht hilft Geistiges aus der Flasche auch beim Lockern der Zunge? Die Erzbischöfe Marx und Woelki beim gemeinsamen Ebbelwoi – wer wäre da nicht gern dabei?

Die mediale Repräsentation der Kirche scheitert trotz aller technischen Fortschritte allzu häufig am gleichen Denkfehler wie so viele gutgemeinte Projekte im Real Life: Wir wollen so gerne, dass die Leute zu uns kommen. Das Setting ist klar: Die Menschen stehen der Kirche zunächst als „die Anderen“ gegenüber, die man im besten Fall einlädt. Das Maß an Transparenz und Beteiligung bestimmen die Leute, die schon „drin“ sind. „Mit dem Gesicht zum Volke“ hieße demgegenüber: Protagonist*innen der Kirche sind wir alle und die Kirche keine Verkündigungsanstalt mehr, sondern Forum des Glaubens.

„Hier las kein Mensch vom Zettel ab,

Hier sprach man alles aus.

Oft gab es Zwischenrufe und Gelächter

Und Applaus.

Das findet immer wieder statt

Und jeder darf da rein

Und keine Frage ist zu heiß

Und kein Problem zu klein.“

 

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