Weckruf

Die Rückkehr des Nationalismus

Der Untertitel führt ein wenig in die Irre. Der Nationalismus in Deutschland braucht nämlich nicht erst zurückzukommen, er war sozusagen ständig da – im Westen wie im Osten. Dort auch zu Zeiten der DDR, die doch den Antifaschismus zur Staatsraison erklärt hatte. Ein vierköpfiges Autorenteam gegenwärtiger und ehemaliger Historikerinnen und Historiker an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena hat die Konjunktur, die Nationalismus, Rechtpopulismus und Fremdenfeindlichkeit derzeit in Deutschland erleben, zum Anlass genommen, die Gefährdungen für die liberale Demokratie herauszuarbeiten.

Die liberale Demokratie als Staats- und Lebensform stehe in Deutschland vor Herausforderungen wie nie zuvor seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, warnen sie. Der genaue Blick auf die Jahrzehnte nach 1945 zeige, dass die vermeintlichen Randprobleme auf der Rechten die bundesdeutsche Geschichte anhaltender durchzogen haben als vielfach angenommen.

Ende der 1940er-Jahre habe im Westen die andauernde Rede vom endlich nötigen „Schlußstrich“ unter die NS-Vergangenheit begonnen, während man im Osten begann, diese Vergangenheit unter den großen Teppich des Antifaschismus zu kehren.

Aber erst eine Analyse, die sowohl die Geschichte der alten Bundesrepublik als auch der DDR einbezieht, mache den Rechtsruck der vergangenen Jahre als gesamtdeutsches Problem deutlich. Das Buch unternimmt den gelungenen Versuch, die Geschichte der beiden deutschen Staaten noch einmal in den Blick zu nehmen, sie unter dem Eindruck der rechten Konjunktur nicht als gängige Erfolgsgeschichte zu erzählen.

Denn Ende der 1950er-Jahre habe eine antisemitische „Schmierwelle“ auf jüdischen Friedhöfen die Beharrungskraft rechter Feindbilder in der westdeutschen Gesellschaft offenbart. Schändungen jüdischer Friedhöfe habe es auch in der DDR gegeben. Vor allem in den 1980er-Jahren hätten sich diese Phänomene zu den heutigen massiven Herausforderungen verdichtet, haben die Historikerinnen und Historiker beobachtet.

Sie verstehen die verbreiteten Konflikte und Krisengefühle als fundamentale Herausforderung der Gesellschaft, die sich ihrer Liberalität, ihrer Weltoffenheit und ihrer erfolgreichen Aufarbeitung der Vergangenheit vielleicht allzu gewiss geworden sei und dabei zu wenig beachtet habe, dass unter dem Dach des einen Grundgesetzes nach wie vor zwei sehr verschiedene politische Kulturen wohnen.

Die hiesige Situation erinnere inzwischen ein wenig an die Vereinigten Staaten, an die dortige fundamentale politische Polarisierung der Gesellschaft, die durch eine aggressive, um keine Verzerrung, Zuspitzung und im Zweifel auch Lüge verlegene Medienstrategie vorangetrieben wird und die eine wichtige Rolle für die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA gespielt habe. Rechtspopulistische Erfolge seien in Europa schon seit den 1990er-Jahren zu verzeichnen. Die Historiker denken dabei an Silvio Berlusconi in Italien, der mit seinen großspurigen Sprüchen einiges von Donald Trump vorwegnahm, und an den Aufstieg von Jörg Haider in Österreich.

Das Autorenteam sieht aber nicht nur schwarz für Gegenwart und Zukunft der Bundesrepublik, sondern auch Hoffnungszeichen. Denn parallel zum Vordringen des Rechtspopulismus in die Mitte der Gesellschaft wachse auch deren Bedürfnis nach Orientierung, Selbstvergewisserung und demokratischer Standfestigkeit. Der Aufstieg der Rechten habe viele Bürgerinnen und Bürger aktiviert und ein ungekanntes Engagement für die Republik hervorgebracht.

Ein Weckruf zur rechten Zeit. Mit umfangreichem Anhang und der nützlichen Rubrik „Zum Weiterlesen“.


 

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