Worüber zu streiten lohnt

Was die Garnisonkirche Potsdam mit der deutschen Geschichte zu tun hat
Foto: Bernd Wannenmacher

Die Potsdamer Garnisonkirche, der Wiederaufbau des Turms: ein rechtsradikales Projekt? Das ist die Insinuation, mit der Philipp Oswalt in seiner „Störfall“-Kolumne im Aprilheft von zeitzeichen operiert. Oswalt ist fraglos einer der profilierten Gegner des Vorhabens – umso bedauerlicher, dass er den lohnenden Streit auf falsche Ebenen hebt und Tatsachenverdrehungen nicht scheut, statt sehenden Auges durch die Welt zu gehen und sich an den wichtigen Diskussionen zu beteiligen.

Die Stiftung Garnisonkirche Potsdam hat sich mit ihrer Gründung 2009 und seitdem eindeutig von den Umtrieben Max Klaars distanziert, sein Geld hat sie nicht genommen. Sie wirbt auch nicht um „rechte Spender“. Die Landessynode der berlin-brandenburgischen Kirche (EKBO) hat ihre eigene Unterstützung kontrovers diskutiert und den antirassistischen und pazifistischen Auftrag des Vorhabens unterstrichen. Der Bundespräsident hat die Schirmherrschaft übernommen, und Oswalt weiß genau, dass man das Projekt dort ebenso kritisch-aufmerksam begleitet, wie den Versuch nach Kräften unterstützt, im Zentrum Potsdams einen Lernort der Demokratie und ein Zeichen der Versöhnung zu schaffen.

Tatsachenverdrehungen: Das Glockenspiel war ein Geschenk an die Stadt, die es etwas naiv auf die sogenannte „Plantage“ gestellt hat. Zum Einbau im Turm war es nicht vorgesehen; dort wird es ein eigenes Geläut und ein Friedenscarillon geben. Der Wissenschaftliche Beirat legte ein glasklares Gutachten vor, das die Inschriften des Plantage-Glockenspiels für unzumutbar erklärte. Aufbau des Kirchenschiffs: Es war Potsdams OB Mike Schubert, der den Ball letztes Jahr überraschend ins Rollen brachte mit dem Vorschlag, den Platz oder die Kubatur mit einem Jugendbegegnungszentrum zu füllen. Nun werden Ideen entwickelt und geprüft – der Wissenschaftliche Beirat wird eine historistische Rekonstruktion des Kirchenschiffs gewiss nicht empfehlen.

Der Wiederaufbau des Garnisonkirchturms ist umstritten – oder sollte man sagen: Er war umstritten, weil der Rohbau inzwischen seiner Vollendung entgegengeht? Schade, dass Oswalt die Chance nicht nutzt, die gewichtigen Argumente zu skizzieren, die lohnenden Debatten zu führen. Drei Beispiele: Erstens wird nach Sinn und Funktion von Rekonstruktion in Architektur und Städtebau gefragt, mit Recht. Die Deutschen sind da übrigens, aus guten historischen Gründen, skeptischer als ihre Nachbarn. Zugleich gibt es ein Bedürfnis nach historischer Behausung, das viele Menschen in die wilhelminischen Altbauquartiere zieht, vor denen die Kahlschlagsanierung der SED oder des West-Berliner Senats gerade noch stoppte. Der Streit um die Rekonstruktion im öffentlichen Raum hat in den letzten Jahrzehnten noch stets die kritischen, die demokratischen Konnotationen solcher Bauten verstärkt; was für das Berliner Stadtschloss gilt, ist längst auch an der Garnisonkirche erkennbar. Keiner dieser Bauten ist übrigens zu einem „rechten Ort“ geworden, im Gegenteil.

Zweitens ist die Potsdamer Garnisonkirche eine Projektionsfläche für die schwierige Geschichte Preußens, einschließlich des Militärstaates und des „Bündnisses von Thron und Altar“. Im Berlin-Potsdamer Raum begegnet man allenthalben dem freundlichen Kulturstaat Preußen, den Flötentönen von Sanssouci. Wo werden die Wunden der preußischen Geschichte erinnert, wo kann man an authentischem Ort darüber und daraus lernen? Dazu gehört, selbstverständlich, der „Tag von Potsdam“, der in der Ausstellung einen wichtigen Platz einnehmen wird. Könnte die Garnisonkirche ein Ort sein, um nach dem Verhältnis von Kirche und Staat zu fragen, damals und heute? Nach der Rolle des Militärs in der Gesellschaft, im 18. Jahrhundert, im Nationalsozialismus? Oder das heutige Ringen um friedensethische Positionen in der evangelischen Kirche historisch zu unterfüttern?

Drittens wird diskutiert, wofür der Garnisonkirchturm bei seiner Eröffnung steht. Klar, für das Stiftungsmotto „Geschichte erinnern, Verantwortung lernen, Versöhnung leben“. Aber wie füllt man das? Wie „kirchlich“ präsentiert sich der Bau; wie lassen sich historische, theologische und demokratiepädagogische Impulse verbinden? Der Begriff der Versöhnung ist kontrovers; er klingt christlich anders als erinnerungspolitisch. Können die Deutschen, die Täter, überhaupt Versöhnung „anbieten“?

Wie lange noch, fragt Philipp Oswalt. Solange die Wunden der Vergangenheit nicht geschlossen sind. Also eine Daueraufgabe. Keimfrei machen, entsorgen, wegsperren lässt sich diese Vergangenheit nicht.

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