Kreuzzüge

Homosexualität im Vatikan

Der französische Autor Frédéric Martel verbindet in seinem umfangreichen Buch Sodom zwei Themenkomplexe, die jeweils schon für sich genommen für die katholische Kirche ausgesprochen heikel sind. Da ist der immer noch geheimnisumwitterte Vatikan, die römische Zentrale der Weltkirche mit ihrem Sonderstatus. Und da ist die Homosexualität, als gelebte Ausdrucksform von Sexualität noch immer offiziell inkriminiert, gleichzeitig aber in einem ausschließlich von zölibatären Männern geführten System wie der katholischen Kirche als eine Art Damoklesschwert immer präsent. Martels These, um die das Buch mit gelegentlichen Abschweifungen kreist: Gerade im Vatikan, bis hin zum Spitzenpersonal, gab es unter den letzten Päpsten und gibt es nach wie vor einen hohen Anteil an – auch aktiven – Homosexuellen und herrscht dementsprechend eine höchst problematische Doppelmoral.

Frédéric Martel hat für sein Buch breit recherchiert, zahlreiche Gespräche geführt, etwa mit vielen Kardinälen. Es handelt sich offensichtlich insgesamt um eine seriöse Analyse, die jedenfalls mehr ist als eine reißerische „chronique scandaleuse“ kirchlich-vatikanischer Vorgänge und Personalien. Seine Darstellung geht bis zum Pontifikat Pauls VI. (1963 – 1978) zurück und lässt dann die lange Amtszeit von Johannes Paul II. und die darauf folgende von Benedikt XVI. unter dem Blickwinkel des Themas Homosexualität im Vatikan Revue passieren. Dabei fällt sein Urteil über das Pontifikat des polnischen Papstes besonders kritisch aus; er spricht mit der Formulierung eines kurialen Gesprächspartners von „Ringen der Wollust“, die sich unter Johannes Paul II. ausgebildet hätte. Demgegenüber bescheinigt er Papst Franziskus, dem seine unverhohlene Sympathie gilt, die ehrliche Bereitschaft zu einer Neubewertung von Homosexualität und verweist dabei auf die päpstliche Politik im Zusammenhang mit der Bischofssynode von 2014/15 zu Ehe und Familie.

Man erfährt bei Martel Einzelheiten über die Inneneinrichtungen der Wohnungen von Kardinälen, auf die er ruhig hätte verzichten können. Andererseits enthält sein Buch zum Beispiel ein Kapitel über die männliche Prostitution am römischen Bahnhof Termini und ihren klerikalen Anteil, das durchaus unter die Haut geht. Ein anderes Kapitel beschäftigt dankenswerter Weise sich mit der in Mexiko entstandenen, schnell mächtig und einflussreich gewordenen Ordensgemeinschaft der „Legionäre Christi“ und dem skandalösen Doppelleben ihres Gründers Marcial Maciel.

Martel geißelt mit Recht immer wieder die nicht selten von in Wirklichkeit selber homosexuellen Protagonisten ins Werk gesetzten homophoben Kreuzzüge des Vatikans und deren damit gegebene Unehrlichkeit. Er liefert in diesem Zusammenhang interessante Psychogramme wichtiger Akteure, etwa des 2008 verstorbenen kolumbianischen Kardinals López Trujillo, und versucht sich nicht zuletzt auch an einer Analyse des Umgangs von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. mit dem Problem Homosexualität.

Gleich, ob man die Einschätzungen und Wertungen des Autors im Blick auf das Ausmaß und die Auswirkungen klerikaler, speziell kurialer Homosexualität in Gänze teilt, oder ob man sie im Einzelnen eher mit Vorsicht genießt: Als unbestreitbarer Kern bleibt das gravierende Problem einer dem katholischen System gleichsam eingestifteten Unehrlichkeit, die der Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Moralverkündigung massiv schadet und gegen die bisher letztlich kein Kraut gewachsen scheint – leider!

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Rezensionen