Von Männerbünden und Garagendächern

Anmerkungen zu quicklebendigen Geschlechterstereotypen und Stürzen vom Garagendach
Foto: privat

Männer haben es heute schwer, wenn sie selbst überkommene, toxische Männlichkeitskonstrukte kritisieren und versuchen, dagegen an zu leben. Das ist schade, meint zeitzeichen-Onlinekolumnistin Eske Wollrad, wo es doch durchaus schon gechilltes Mannsein gibt. Es müsste halt mehr werden.

„Es ist an der Zeit, es den Frauen zu überlassen. Männer hatten ihre Chance, die Welt zu führen, und schaut, wohin es uns gebracht hat…“ postete der Sänger und Musikproduzent Lenny Kravitz kürzlich. Genau. Die Männer – vor allem die weißen – haben‘s einfach vermasselt mit ihrer Zerstörungswut und ihrem Gewaltpotential, das mit Mühe in Schach gehalten werden muss. Erst MeToo und jetzt Black Lives Matter: Gewalt – so weit das Auge reicht. Die einzigen, die jetzt noch helfen können, sind die Frauen. Das sagt auch Christian Pfeiffer, ehemaliger Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Auf die Frage, ob diese massive Gewaltausübung durch die Polizei, wie sie in den USA geschieht, auch bei uns passieren könnte, antwortete er: Nein, eben wegen der Frauen. Und er verwies auf die Tatsache, dass in Deutschland der Frauenanteil in der Polizei in den vergangenen 20 Jahren auf rund 50 Prozent gestiegen ist, und man wisse ja, dass Polizistinnen kommunikativer und in bestimmten Konfliktsituationen souveräner sind. Sie besänftigen, bevor die Kollegen Mist bauen.

Dazu fällt mir eine Sendung über Landwirtschaft ein, in der es um die Frage ging, wie man hochaggressive Bullen beruhigt. Die Antwort: Man muss nur ein paar Kühe auf seine Weide treiben, und schon ist Frieden. Genauso ist es bei der Polizei. „Feminisierung“ nennt man das, sagt Herr Pfeiffer. Ob der Herr Pfeiffer aus Erfahrung spricht? Kommt bei ihm Zuhause auch seine Frau ins Wohnzimmer gestapft, wenn er in einem Wutanfall im Begriff ist, das Mobiliar zu schrotten?

Sie sind noch quicklebendig, diese uralten Geschlechterstereotypen, bei denen die Männer richtig schlecht wegkommen: als kommunikationsunfähige Gewalttäter, hyperaggressiv und unberechenbar. Das ist diskriminierend – und verletzend. Sexismus lässt eben niemanden ungeschoren davonkommen – auch Männer nicht. Nur wer redet darüber? Im öffentlichen Diskurs tauchen diejenigen Männer, die diese Verletzung und andere negative Auswirkungen des Sexismus auf Männer thematisieren, kaum auf. In den Social Media gibt es zwar solche wie Moritz Neumeier, der tiefenentspannt erklärt, warum Sexismus blöd ist, oder Benjamin Scholz, der bei Youtube Jungen erzählt, wie das geht mit dem gechillten Mannsein und dem Respekt zwischen den Geschlechtern. Dennoch bleiben es vereinzelte Stimmen, was möglicherweise auch damit zu tun hat, was passiert, wenn sich ein Mann beispielsweise „Feminist“ nennt und toxische Männlichkeitskonstrukte kritisiert. Da kriegt er in den Medien (von Männern!) gleich eine Ladung toxische Rhetorik ab: Er sei ein sich anbiedernder Häretiker, ein Geschlechtsverräter, lila Pudel oder Beischlafbettler. So viel Hass…. Niemand untergräbt das Männerbündnis ungestraft.

Sexismuskritik ist eine gute Sache. Nur sind Männer die letzten, von denen man erwartet, dass sie sich daran beteiligen. Und doch geschieht es da und dort: bei Pink Stinks beispielsweise geht es um Sexismus in der Werbung, und neben Frauenfeindlichkeit wird selbstverständlich auch männerfeindliche Werbung an den Pranger gestellt, unter anderem solche, die Männer als wilde Tiere oder Väter als Volltrottel darstellt. Es gibt Männergruppen, die sich kritisch mit stereotypen Zuschreibungen auseinandersetzen, es gibt das Bundesforum Männer und die Männerarbeit der EKD, die Sexismus problematisieren. Doch das reicht nicht. Es braucht eine breite Bewegung und viele, die mitmachen. Nur – was muss geschehen, damit viele Männer die Seiten wechseln?

Meine Nichten kennen sich hier bestens aus. Ihr Vater ist ein ausgesprochener Anti-Macho im Unterschied zu seinem Vater, der ein Patriarch par excellence war. Wieso werden manche Söhne patriarchaler Väter ebensolche Patriarchen und andere nicht? Opposition gegen den Vater? Ein frühkindliches Erlebnis? Meine Nichten wissen genau, warum ihr Papa anders ist. „Er ist als Kind vom Garagendach gefallen.“ erklärt die Jüngere. Ich bin verdutzt. „Ja und?“ – „Er hat sich den Kopf angehauen.“ ergänzt die Ältere. Ich glaube, es ist genau anders herum: es sind die Sexisten, die auf den Kopf gefallen sind und sehr viel Energie darauf verwenden, ihre Narben zu verbergen.

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